72 II. Reichsgesetzgebung. Art. 3.
b) Die Rechtslage für die juristischen Personen.
Das Reichsgericht (II. Cs. Urt. v. 14. April 1882 Bd. 6 S. 142) hat
den Standpunkt vertreten, daß der im Art. 3 ausgesprochene Grundsag,
wonach kein Einzelstaat die Angehörigen anderer Bundesstaaten ungünstiger
behandeln darf, als seine eigenen Angehörigen, auch für juristische Personen
gelten müsse. Diese Ansicht ist eingehend und mit Recht widerlegt worden
vom Kammergericht (Beschl. v. 27. April 1896 Bd. 16 S. 72). Das Kammer=
gericht hat entschieden, daß Aktiengesellschaften, die ihren Sitz außerhalb
Preußens haben, zum Erwerbe preußischer Grundstücke einer besonderen
Genehmigung der preußischen Staatsbehörden bedürfen, eine Entscheidung,
die natürlich nur unter dem Gesichtspunkt möglich ist, daß Art. 3 auf
Mktiengesellschaften nicht anwendbar ist.
Abgesehen von Rückschlüssen, die das Kammergericht zum Teil im
Anschluß an v. Seydel S. 56 aus positiven Bestimmungen des geltenden
Rechts zieht, ist davon auszugehen, daß die juristische Person als eine zur
Erleichterung des Vermögensverkehrs durch das Civilrecht geschaffene juristische
Form, auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts den phyfischen Personen
grundsätzlich überhaupt nicht gleichzustellen ist, sondern nur soweit es aus-
drücklich vorgeschrieben ist. Die Rechte und Pflichten des öffentlichen Rechts
haben ihre Grundlage in der Untertanenpflicht und dem Staatsbürgerrecht;
sie beruhen auf Gehorsam und Treue, die der einzelne dem Staate schuldig
ist, und andererseits dem besonderen Schutz und dem Anteil an der Ver-
waltung des Staates, den er als Gegenleistung erhält. Diese auf ethischem
— immateriellen — Gebiete liegenden Pflichten und Rechte sind losgelöst
von der physischen Person nicht denkbar, nur der einzelne kann sie per-
sönlich leisten und empfangen, Stellvertretung ist ausgeschlossen und deshalb
ist die Stellung der juristischen Personen im öffentlichen Recht grundsätzlich
anders zu beurteilen als im Civilrecht, wo sie allerdings in vermögens-
rechtlicher, aber auch nur in dieser Hinficht im Zweifel dieselben Rechte
und Pflichten haben wie die phyfischen Personen. — Die richtige Ansicht
ist zuerst vertreten worden von v. Seydel, S. 55 f.; ihm haben sich an-
geschlossen u. a. Laband 1 S. 169 A. 2, Meyer S. 793, Zorn! S. 349, Arndt
S. 52. — Das Kammergericht hat diesen Standpunkt außer in der vor-
genannten auch in einer späteren Entscheidung v. 14. März 1898 RPd. 18
S. 76 angenommen, und derselben Ansicht folgt Menzen (Johow Bd. 18
S. 403). Der entgegengesetzte Standpunkt wird außer vom Reichsgericht
von Hänel Staatsrecht Bd. 1 S. 589 vertreten, vgl. auch die bei Meyer
S. 793 A. 3 angeführte Literatur.
Für das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch war in der
Reichstagskommission der Antrag gestellt worden, dem Art. 86 — der die
Anfrechterhaltung landesgesetzlicher Vorschriften über die Beschränkung des
Erwerbs von Rechten durch juristische Personen betrifft — die Bestimmung
hinzuzufügen:
„Daß die einem anderen Bundesstaat angehörenden juristischen Per-
sonen, deren Rechtsfähigkeit auf einem neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch
geltenden Reichsgesetze beruhe, nicht weitergehende Beschränkungen im
Erwerbe von Rechten unterworfen werden können, als die dem Bundes-
staat selbst angehörenden juristischen Personen derselben Art."“