II. Reichsgesetzgebung. Art. 3. 85
dem Staate das Recht verliehen, in den Bezirken, in denen die Sicherung
des gefährdeten Deutschtums nicht anders als durch Stärkung und Ab-
rundung deutscher Niederlassungen mittels Anfiedlungen möglich erscheint,
die hierzu erforderlichen Grundstücke bis zu einem gewissen Maximum der
Gesamtfläche nötigenfalls im Wege der Enteignung zu erwerben. Auch
durch diese Bestimmung wird Art. 8 R.V. nicht berührt, weil an eine
ungleichmäßige Behandlung der Angehörigen verschiedener Bundesstaaten
dabei nicht gedacht und nicht zu denken ist. Die Repressivmaßregel, der
das preußische Gesetz dient, richtet sich ebenfalls nur gegen die politische
Agitation, die der Entwicklung eines National-Polentums in Preußen dienen
soll. Auch die Vorschriften des Freizügigkeitsgesetzes find nicht verletzt.
Das preußische Gesetz beschränkt die Freiheit des Grunderwerbs grundsätzlich
nicht; es giebt lediglich dem Staate unter gewissen Voraussetzungen das
Enteignungsrecht, und neu ist in dieser Hinsicht an dem Gesetz nur, daß
während früher in Preußen die Enteignung nur für wirtschaftspolitische
Zwecke zugelassen war, fie jetzt für die Ziele der Nationalitäten-Politik der
Staatsregierung angewendet werden kann. Die Reichsverfassung und die
sonstige Reichsgesetzgebung enthält keine Bestimmung, die einer landesrecht-
lichen Gesetzgebung solcher Art entgegensteht; vgl. die Verhandl. des preuß.
Abgeordnetenhauses v. 29. Nov. 1907 St. B. Sp. 72.
9. Rechtsverfolgung und Rechtsschutz.
Auch für die Rechtsverfolgung und den Rechtsschutz enthält Art. 3
ebenso wenig pofitive Bestimmungen wie für die Voraussetzungen zu dem
Erwerbe eines festen Wohnsitzes, zur Ausübung des Gewerbebetriebes, der
Erlangung öffentlicher Amter, der Erwerbung von Grundstücken, zur Er-
langung des Staatsbürgerrechts und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen
Rechte, sondern bestimmt ebenso wie für alle diese Rechte nur, daß die
Angehörigen anderer Bundesstaaten den Einheimischen gleich zu behandeln
find; vgl. Laband 1 S. 168.
Es kann fraglich sein, ob die Worte „Rechtsverfolgung und Rechts-
schutz“ lediglich die prozeßrechtlichen Vorschriften betreffen. Jedenfalls
umfassen sie in Verbindung mit den Worten „alle sonstigen bürgerlichen
Rechte“ auch die anderen Gebiete der Rechtsordnung. Die Bedeutung dieser
Bestimmung ist allerdings jetzt dadurch sehr eingeschränkt oder genauer: die
Bestimmung ist jetzt in der Hauptsache gegenstandslos geworden, weil die
Materie der Zivil- und Strafprozeßordnung und der größte Teil des Straf-
und Zivilrechts reichsgesetzlich geregelt ist, und zwar einheitlich und gleich-
mäßig für alle Deutschen und das ganze Bundesgebiet, sodaß in keinem
Bundesstaat ein Unterschied in der Behandlung der Angehbrigen verschie-
dener Bundesstaaten mehr möglich ist; vgl. Laband I S. 171, Zorn 1
S. 349.
Dagegen find erhebliche Gebiete des Zivil- und Strafrechts und ferner
das Prozeßrecht in Verwaltungsstreitsachen der Landesgesetzgebung vorbehalten
(vol. u. a. die Einführungsgesetze zum B.G.B. und Str.G. B.), und hier
ist Art. 3 noch von praktischer Bedeutung. Zwar unterliegt es keinem
Zweifel, daß für die Stoffgebiete, die der Landesgesetzgebung vorbehalten
find, Personen, welche nicht die Staatsangehörigkeit des das Gesetz erlassenden
Staates befitzen, Ausländer find — wenn auch die moderne Gesetzgebung aus