Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

90 II. Reichsgesetzgebung. Art. 3. 
einem anderen Armenverbande gewährt worden ist, diesem zu erstatten 
(§ 29). — Bis zur Novelle von 1908 erstreckte sich die Verpflichtung zur 
endgültigen Ubernahme der Kosten nur auf die ersten 13 Wochen der 
Hülfsbedürftigkeit; die Reform dient ebenfalls dem oben angegebenen Ziele 
der Entlastung der weniger leistungsfähigen Verbände. Schwangerschaft an 
sich ist nicht als eine Krankheit im Sinne der vorstehenden Bestimmung 
anzusehen (8§ 29). Im übrigen ist zur Kostenerstattung verpflichtet: 
a) wenn der Unterstützte einen Unterstützungswohnsitz hat, der Orts- 
armenverband seines Unterstützungswohnsitzes; 
b) wenn ein Unterstützungswohnsitz des Unterstützten nicht zu ermitteln 
ist, derjenige Landarmenverband, in dessen Bezirk er sich bei dem 
Eintritte der Hülfsbedürftigkeit befand oder, falls er im hülfs- 
bedürftigen Zustande aus einer Straf-, Kranken-, Bewahr= oder Heil- 
anstalt entlassen wurde, derjenige Landarmenverband, aus welchem 
seine Einlieferung in die Anstalt erfolgt ist (§ 30). 
Eine auf dem letzten Unterstützungswohnsitz beruhende Unterstützungs- 
pflicht besteht auch gegenüber denjenigen Deutschen, die auf Verlangen aus- 
ländischer Staatsbehörden oder auf Antrag eines Konsuls oder Gesandten 
des Reichs aus dem Ausland übernommen werden und bei deren Über- 
nahme der Fall der Hülfsbedürftigkeit vorhanden ist oder innerhalb fieben 
Tagen nachher eintritt (8 33). Streitigkeiten der Armenverbände unter sich 
werden auf dem landesgesetzlich geordneten Wege und in letzter Instanz 
durch das Bundesamt für das Heimatwesen entschieden (88§ 38—51). Im 
§§ 55 ff. ist die Form der Ausweisung näher geregelt. Die Ausweisung 
aus einem Gemeindeverband ist nämlich Inländern gegenüber noch zulässig, 
wenn die Voraussetzungen des § 5 des Freizügigkeitsgesetzes gegeben find. 
§ 5 dieses Gesetzes bestimmt: 
„Offenbart sich nach dem Anzuge die Notwendigkeit einer öffentlichen 
Unterstützung, bevor der neu Anziehende an dem Aufenthaltsorte einen 
Unterstützungswohnsitz (Heimatsrecht) erworben hat, und weist die Gemeinde 
nach, daß die Unterstützung aus anderen Gründen als wegen einer nur 
vorübergehenden Arbeisunfähigkeit erfolgt ist, so kann die Fortsetzung des 
Aufenthalts versagt werden." 
Ebenso ist nach § 4 dieses Gesetzes die Gemeinde zur Abweisung eines 
neu Anziehenden nur dann befugt, wenn sie nachweisen kann, daß er nicht 
hinreichende Kräfte befitzt, um sich und seinen nicht arbeitsfähigen Angehörigen 
den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen und wenn er letzteren weder 
aus eigenem Vermögen bestreiten kann noch von einem dazu verpflichteten 
Verwandten erhält. Den Landesgesetzen bleibt vorbehalten, diese Befugnis 
der Gemeinden zu beschränken. Die Besorgnis vor dürftiger Verarmung 
berechtigt den Gemeindevorstand nicht zur Zurückweisung. 
Da es sich hier also um eine Möglichkeit der Ausweisung handelt, die 
auch gegenüber den Einheimischen besteht, so widerspricht es dem im Art. 3 
Abs. 1 R.V. aufgestellten Grundsatz über das gemeinsame Indigenat und 
seine Folgen nicht, daß unter denselben Voraussetzungen auch gegenüber 
den Angehörigen anderer Bundesstaaten auf Grund des 8 7 des Freizügigkeits- 
gesetzes das Recht besteht, sie aus dem Bundesstaat auszuweisen, in welchem sie 
aus nicht nur vorübergehenden Gründen unterstützungsbedürftig werden, ohne 
dort einen Unterstützungswohnsitz erworben zu haben; vgl. die Ausführungen 
 
	        
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