128 $ 8. Die „gesetzmäßige Verwaltung‘'.
gemeine Maß hinaus erweitern,!°® noch ihm Sonderpflichten auf-
bürden. Wenn das Gesetz den Untertanen öffentliche Pflichten
(öffentliche Abgaben, Wehrpflicht, polizeiliche Pflichten usw.)
auferlegt, so haben die Behörden auf deren Erfüllung zu dringen.
Ein ‚Verzicht‘ auf die Einforderung einer gemäß öffentlichem
Rechte dem Staate geschuldeten Leistung käme einer Nicht-
anwendung des Gesetzes gleich.!* In einer anderen Lage befindet
sich die Behörde, wenn sie auf dem Boden des Privatrechtsin Pacht-,
Miet-, Kaufverträgen dem Bürger als einfacher Gläubiger gegen-
übertritt. Die Geltendmachung eines privatrechtlichen An-
spruchs ist ein Recht, keine Pflicht des Gläubigers, und daher
können im allgemeinen auch die Organe des Staats und der Ge-
meinden dem Schuldner gegenüber rechtsgültig auf eine privat-
rechtliche Forderung verzichten.?”’
Es unterliegt keinem Zweifel, daß auch im Bereiche des öffent-
lichen Rechtes in besonderen Fällen der Verzicht auf einen der
15° Ungültig ist ein Gemeindebeschluß, welcher von der Gemeinde-
Einkommensteuer die Personen befreit, die eine Kurtaxe in Höhe der
„eventuellen Gemeinde - Einkommensteuer‘ entrichten. Preuß. OVG.
15. April 1912 (Entscheidungen Bd. 62, S. 446).
16 Gerber, Privilegienhoheit und Dispensationsgewalt im modernen
Staat (in Gerbers Gesammelten Juristischen Abhandlungen 1878, S. 470).
Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I S. 88, 429. Laband, Das
Gnadenrecht in Finanzsachen nach preuß. Recht (Archiv für öffentliches
Recht VII S. 169£f.). Steinitz, Dispensationsbegriff und Dispensations-
gewalt im deutschen Staatsrecht, 1901 (in den Abhandlungen aus dem
Staats- und Verwaltungsrecht, herausgegeben von Brie, Heft 4). Art.
„Dispensation“ (Hinschius-Kahl) im WB d. VerwR? 1 568. Weitere
Literatur bei Georg Meyer-Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staate-
rechts, S. 6ölff. — Kormann, System der rechtsgeschäftl. Staatsakte,
1910, S. 120 macht mit Grund darauf aufmerksam, daß die Dispen-
sation, nach ihren Rechtswirkungen beurteilt, kein einheitliches Institut ist.
Die Dispensationen zerfallen in solche, die ein Dürfen (eine Erlaubnis)
und in solche, die ein Können (eine Fähigkeit) gewähren.
17 Auch wenn die privatwirtschaftlichen Einnahmen im Etatgesetz
aufgeführt sind, so wird diese Befugnis der Behörden nicht eingeschränkt.
Denn der Etat enthält lediglich einen Wirtschaftsplan über mutmaß-
liche Einnahmen und Ausgaben. Laband, im Archiv f. öffentliches Recht
VII 8. 169 ff. — Von der Frage, ob der Finanzbeamte verzichten konnte,
ist wohl zu scheiden die Frage, ob er auf eine Forderung verzichten durfte.
Verzichtet er, obwohl ihm dies nicht erlaubt ist, so wird er der öffentlichen
Kasse gegenüber schadenersatzpflichtig.