88
Agrargesetzgebung (Hessen)
das G v. 7. 5.49 (Reg Bl 1849 S 255) von neuem
ein. Es regelt sowohl die Weideservituten wie die
Weidegemeinschaften. Jede bestehende Weide-
berechtigung ist, soweit sie den gesetzlichen Umfang
überschreitet, ohne Entschädigung aufgehoben.
Das Recht zur Ausübung der Ackerweide gewährt
nur die Befugnis, die nicht angebauten Grund-
stücke des Weidedistrikts zu beweiden; die Urbar-
mach ung und der sonstige beliebige Gebrauch des
Feldes kann nicht gehindert werden. Alle einge-
säten, bepflanzten, sowie zur Saat oder Pflanzung
vorbereiteten Grundstücke sind mit der Weide zu
verschonen. Auf eingefriedigten Grundstücken, die
in unmittelbarem Anschluß an Hofraiten oder an-
stoßenden Gärten liegen und als Hofraiten oder
Gärten eingefriedigt werden, ist der Weidegang
ausgeschlossen. Jeder Ackerbesitzer ist berechtigt,
seine weidepflichtigen Stoppeläcker zu einem wei-
teren Ertrage zu benutzen; der Weidegang ist mit
einer solchen Benutzung ausgeschlossen. Die Be-
weidung eines angebauten Feldes darf erst statt-
finden, nachdem die Früchte abgeerntet und vom
Felde entfernt sind. Die Zeit der Aberntung hängt
von dem freien Ermessen des Feldbesitzers ab.
Die Schafweide darf aus Wiesen nur vom 15. Ok-
tober bis zum 22. Februar, oder solange harter
Frost anhält, ausgeübt werden. Andere Tiere als
Schife dürfen nur vom 1. bis zum 15. Oktober
auf Wiesen in Ausübung einer Weidcberechtigung
aufgetrieben werden; Schweine und Gänse sind
von der Weide auf Wiesen ganz ausgeschlossen. —
Zugleich wendet sich das G v. 7. 5. 49 gegen die
Weidegemeinschaften, d. i. die Vereinigung ein-
zelner oder sämtlicher Grundbesitzer einer Feld-
mark zur Beweidung ihrer Aecker, Wiesen und
Weiden. Weidegemeinschaften (gleichgültig ob sie
auf persönlichem Recht oder auf wechselseitigen
Servituten beruhen) sollen aufhören, sobald die
Besitzer des größeren, nach dem Flächeninhalt zu
berechnenden Teiles der weidepflichtigen Grund-
stücke sich für die Aufhebung erklären. Wenn
mehrere Gemeinden ihre Feldgemarkungen wech-
selseitig behuten („bekoppeln“), so kann diese
Koppelhut durch einen übereinstimmenden Be-
schluß der Ortsvorstände mit Genehmigung der
vorgesetzten Regierungsbehörde aufgehoben wer-
den. Mit Genehmigung der Regierung darf auch
eine einzelne Gemeinde auf Grund eines Be-
schlusses ihres Ortsvorstandes aus der Gemein-
schaft austreten.
3. Schaffung freien Eigentums. Die hessische
Reformgesetzgebung blieb bei der Entlastung des
Grund und Bodens nicht stehen. Sie ging weiter
und bemühte sich, dem Inhaber des Gutes Eigen-
tum mit der Möglichkeit freien Verfügungsrechts
zu schaffen. Schon die V des Staat Min v.
26. 11. 1819 (Arch 1I S 906) hatte die streitige
Frage, ob für eine Lehensallodifikation bei Ein-
verständnis des Lehnsherrn und Vasallen außer
dem Konsens der Agnaten die Einwilligung an-
derer Personen notwendig sei, in verneinendem
(die Allodifikation erleichterndem) Sinne ent-
schieden. Durchgreifender waren das G v. 6. 8. 48
betreff. die Allodifikation der Erb-
leihen und Landsiedelgüter (Regl 6
1848 S 245) und das G v. 2. 5. 49 betreff. die
Aufhebung des Lehnsverbandes
(RegBl 1849 S 205). Nach dem erstgedachten
Gesetz können Erbleihen, Landsiedelleihen und
1
andere erbliche Leihen auf Verlangen des Leihe-
trägers in freies Eigen verwandelt werden. Der
Erbleiheherr sollte durch eine Freikaufsumme
(bestehend in ½16 des durch Sachverständige zu
ermittelnden reinen Wertes des Leihegutes) ent-
schädigt werden. Das G v. 2. 5. 49 erklärt den
Lehnsverband für aufgehoben und verbietet die
Errichtung neuer Lehen. Die Aufhebung erfolgte
ohne Entschädigung bezüglich aller Lehen, deren
Lehnsherrlichkeit der Staat auf Grund der V v.
4. 2. 1807 an sich gezogen hatte. Unentgeltlich auf-
gehoben wurden auch alle Staats= und Privat-
lehn, wenn außer dem gegenwärtigen Besitzer
noch mehr wie fünf zur Nachfolge befähigte Lehns-
anwärter vorhanden waren: ebenso sollte für die
Aufhebung aufgetragener Lehen keine Entschädi-
gung geleistet werden. In allen übrigen Fällen
war die Entschädigung nach der Zahl der berech-
tigten Lehensanwärter dem Werte der Lehen ent-
sprechend prozentual abgestuft. Die Behandlung
der Lehnssachen unterstand bis zur Vv. 26. 6. 75
(RegBl 1875 S 383) dem durch Edilkt v. 6. 6. 32
eingesetzten Lehnhof, seit 1875 der Oberforst- und
Domänendirektion (an ihre Stelle trat durch V
v. 15. 3. 79 das Ministerium der Finanzen, Mteil.
für Forst= und Kameralverwaltung).
Interesse des freien Verfügungsrechts sollte nuch
die Aufhebung aller Arten von Retrakten, Näher-
und Abtricbsrechten durch die V v. 15. 5. 1812
(Arch 1 S727) und die Anerkennung der Teilbar-
keit der Huben, Stamm= oder Mociergüter durch
die V v. 9. 2. 1811 (Arch 1 S 606) dienen. Eine
Gegenströmung führte im Jahre 1858 zu dem in
Verbindung mit dem G v. 13. 11. 58 betreff. die
Familienfideikommisse (Regl 1858
S521, abgeändert durch a 277 des AG z. BG,
neu abgedr. Reg Bl 1899 S 729) erlassenen Gv.
11. 11. 58 die landwirtschaftlichen
Erbgüter betreff. (Reg Bl 1858 S 537).
8 4. Ergãuzende Gestionmuugen. Die in 88 1
bis 3 behandelten Maßnahmen erhalten ihre Er-
gänzung in einer Reihe von Gesetzen, die zur Un-
terstützung der agrarrechtlichen Reformen dienen
sollten. Zu nennen sind: a) das G v. 20. 3. 80
betreff. die Errichtung einer Landeskultur-Renten-
kasse (Reg Bl 1880 S 33) und das G v. 6. 8. 02,
die Landeskreditkasse betreff. (Reg Bl 1902 S 351).
Näheres W Landceskreditkasse und Lan-
deskultur-Rentenkasse. — b) G v.
28. 9. 87, die Landeskulturgenossen-
schaften betreff. (Reg Bl 1887 S 223, abge-
ändert durch a 272 des AG z. BGB, neu abge-
druckt RegBl 1899 S 678). — F0) Gemeinheits-
teilungs O v. 7. 9. 1814 (Arch 1 S 80) und Gv.
28. 9. 87 betreff. die Feldbereinigung [Reg Bl 1887
S 247, mit Ausführ. V v. 28. 9. 87 (Reg Bl 1887
S 267) und 13. 11. 89 (RegBl 1889 S 133)),
abgeändert durch Gv. 4. 7. 06 (Reg Bl 1906 S219;
Bek v. 7. 7. 06, den Text betreff., Reg Bl 1906
S 232) /(Gemeinheitsteilunge nfhier
auch Allmende) und Feldbereini-
gungl.
Literatur: W. Goldmann, Die Gesetzgebung
des Großherzogtums Hessen in Beziehung auf Befreiung
des Grundeigentums und der Person von Lasten und Be-
schränkungen, 1831, Ergänzung und Fortsetzung, 1841;
Eigenbrodt, HB der Großh. bess. Verordnungen,
1816—13, Mb. 2 5 2253: L. Baur, ## des direkten Steuer-