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Arbeiterversicherung (Allgemeines)
fassung der Arb V als sozialpolitische Fürsorge so-
wohl für die Auslegung, als für die beabsichtigte
Reform unserer Gesetze. In erster Richtung durch
die Forderung, Rechtssätze der Privatversicherung
nur nach besonderer Prüfung ihrer Vereinbarkeit
mit der sozialpolitischen Absicht des Gesetzgebers
zur analogen Anwendung zu bringen, diese sozial-
politische Absicht aber als vornehmstes Auslegungs-
prinzip zu verwenden. In der Richtung der ge-
setzgeberischen Reform aber durch die Warnung,
das formale Prinzip der Versicherung als an sich
wertvoll oder gar als wertvoller gegenüber einer
bedeutsamen Verbesserung unserer sozialpoliti-
schen Einrichtungen in die Wagschale zu werfen.
Mit der erörterten Streitfrage verbindet sich
zum Teil eine zweite nach der öffentlich-rechtlichen
oder privatrechtlichen Natur der Arb V. Die Auf-
fassung derselben als einer sozialpolitischen Für-
sorge mit gesetzlich geregelter Mittelbeschaffung
führt folgerichtig auch zur Verweisung der ganzen
Materie, und zwar beider zu ihr gehöriger Rechts-
verhältnisse, sowohl der Fürsorgerechte wie der
Beitragspflichten, in das Gebiet des öffentlichen
Rechts. Doch hat auch die Ansicht Vertretung ge-
funden, welche das Beitragsverhältnis zum öffent-
lichen, die Unterstützungsansprüche aber zum Pri-
vatrecht rechnet. Ebenso ist in anderer Kombina-
tion (unter Scheidung der drei Versicherungs-
zweige oder unter Gegenüberstellung der Zwangs-
und der freiwilligen Versicherung) eine Mischung
von öffentlichem und Privatrecht für die Arb V
verteidigt worden.
Die Praxis der Höchstgerichte darf prinzipiell
für den hier vertretenen Standpunkt in Anspruch
genommen werden. So hat das Re für die K V
sowohl Unterstützungen wie Beiträge als „Gegen-
stand einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung“
bezeichnet (RG# Z#56, 353) und von dem IVG
ausgesprochen, daß es „eine öffentliche Fürsorge
für die Arbeiter bezwecke“ und „dementsprechend
sein ganzer Charakter wesentlich und prinzipiell
ein öffentlich-rechtlicher sei“ (R##3 58, 103 f). Auch
die der Arb V eigentümliche und sie vom privat-
rechtlichen Versicherungs Vt unterscheidende recht-
liche Selbständigkeit von Fürsorge und Beitrag
ist sowohl vom R (a. a. O. und Erk. v. 12./26.
6. 96, abgedruckt in RV Nachr. 96, 362), wie
vom Reichsversicherungsamt (RVBA Nachr. 94,
Ju AV Sy79 Nr. 331; 95 JuA# S 136 Nr. 418;
96 S 152 Nr. 479; 02 S 479 Nr. 983) wieder-
holt ausführlich hervorgchoben worden. Im
einzelnen hat das Reichsversicherungsamt gele
gentlich mit mehr oder weniger Recht auch ver-
sicherungsrechtliche Sätze und Analogien heran-
gezogen, daneben aber auch in einer Reihe von
Entsch den Gedanken, „es handle sich nicht um
eine privatrechtliche Versicherung, sondern um
eine öffentliche Fürsorge“ zur Anwendung ge-
bracht (Näheres in meinem unten zitierten
Aufsatz „Die Rechtsnatur der Arb V“ 57 ff, 120 ff
und dazu neuestens Erk. kgl. sächs. OVG v. 31.
3. 09, Jahrb. 13, 329)
# 5. Allgemeine Grundlagen des Arbeiter-
versicherungsrechts. Obwohl die drei Zweige der
Arb V im einzelnen sehr verschieden gestaltet sind,
lassen sich doch gewisse gemeinsame Grundlagen
und Grundbegriffe erkennen, welche kurz zusam-
mengestellt werden sollen:
1. Formen der Versicherung. Je
nach dem mehr oder weniger dringenden Interesse,
welches die Reichsgesetzgebung der Versorgung
bestimmter Personenklassen entgegenbringt, ist
auch die Einbeziehung derselben in die Versiche-
rung eine mehr oder weniger entschiedene. Am
entschiedensten erfolgt dieselbe bei den „versiche-
rungspflichtigen“, dem „Versicherungszwange“
unterliegenden Personen, bei denen das Fürsorge-
recht („Recht auf Unterstützung", „Anwartschaft"“)
d. h. das Recht, vermöge dessen vorkommenden
Falls Fürsorge beansprucht werden darf, kraft
rechtlicher Notwendigkeit (wenn auch nicht stets
unmittelbar kraft Gesetzes) begründet wird. Ihnen
stehen dann die versicherungsberechtigten Perso-
nen gegenüber, für welche die freiwillige Ver-
sicherung, in gewissen Fällen „Selbstversicherung“
genannt, Platz greift. Die freiwillige Versicherung
kann sich entweder als freiwilliger Eintritt in die
Versicherung oder als freiwillige Fortsetzung der
Versicherung nach dem Wegfall der die bisherige
Versicherung, insbesondere Pflichtversicherung,
begründenden Verhältnisse betätigen.
Der Kreis der versicherungspflichtigen und ver-
sicherungsberechtigten Personen ist keineswegs auf
allen 3 Gebieten der Arb V gleich bestimmt. Die
Bestimmung erfolgt grundsätzlich durch die RG
selbst, sei es positiv oder negativ, durch Begrün-
dung der Versicherungspflicht oder Versicherungs-
berechtigung oder durch „Ausschließung“" von der-
selben. Doch setzt das Rüoe durch Ermächtigung
oder Vorbehalt auch untergeordnete Autoritäten
(Landesgesectz, BR, RK, Kommunalstatut, Statut
eines Versicherungsverbandes usw.) in den Stand,
Pflicht oder Recht zur Versicherung allgemein für
gewisse Personenklassen zu „erstrecken“ oder aus-
zuschließen. Auch eine „Befreiung" von der Ver-
sicherungspflicht für bestimmte einzelne Personen
ist ermöglicht.
2. Versicherungsbegründende Tat-
bestände. Versicherungspflichtigkeit oder Ver-
sicherungsberechtigung knüpfen kraft RG oder
untergeordneter Satzung an gewisse Verhältnisse
an, die sich in positive oder negative Tatbe-
standsmomente zerlegen lassen. Dabei sind ins-
besondere die wirtschaftlichen Elemente der „Be-
schäftigung“ und des „Betriebes“ von Einfluß.
In erster Reihe wendet das Gesetz seine Fürsorge
Personen zu, welche in wirtschaftlich unselbständi-
ger Stellung von Anderen „beschäftigt werden“
(Arbeiter im weitesten Sinne), während halb-
selbständige (Hausgewerbetreibende) oder Unter-
nehmer nur bedingt, letztere insbesondere nur bei
Kleinbetrieb, der Versicherung hinzutreten. Unter
den Arbeitern im weitesten Sinne werden dann
wiederum verschiedene Klassen, Arbeiter im eng-
sten Sinne, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Hand-
lungsgehilfen, Betriebsbeamte, Werkmeister, Tech-
niker, Seeleute, Dienstboten usw. zwecks Bejahung
oder Verneinung der Versicherung differenziert.
In gewissem Umfange, namentlich bei der Unfall-
und K, ist die Beschäftigung in bestimmten Be-
trieben (Versicherungs= oder versicherungspflich-
tigen Betrieben) entscheidend, welche in den Ge-
setzen nach Gegenstand, Art, Gefährlichkeit, Größe,
Sitz, Gewerbsmäßigkeit näher bezeichnet werden.
Namentlich kommen aber auch Verhältnisse des Ar-
beitsverdienstes, die Entgeltlichkeit der Beschäf-
tigung überhaupt, die Art des Bezuges, die Höhe
desselben, z. B. bei Betriebsbeamten, in Betracht.