Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
184 
Arbeiterversicherung (Allgemeines) 
  
oder aber sich mit einem gemeinsamen örtlichen 
Unterbau (Versicherungsamt, Wohlfahrtsamt) für 
die getrennt gehaltenen Versicherungsträger be- 
gnügt. Der bloß organisatorischen steht dann die 
materielle Verschmelzung gegenüber, welche 
sich wiederum entweder bloß auf der Beitragsseite 
vollziehen kann, indem z. B. für die Leistungen 
der KV und der I ein einheitlicher Beitrag er- 
hoben wird, oder zugleich die Leistungen mehrerer 
Versicherungszweige in einander übergehen läßt. 
In letzterer Richtung bewegt sich namentlich der 
Vorschlag, welcher die ganze U## als solche besei- 
tigen und sie, vorbehaltlich der Organisations- 
frage, in einer verbesserten Invaliden= und neu- 
einzuführenden allgemeinen Witwen= und Wai- 
senversicherung aufgehen lassen will. 
2. Diese Witwen= und Waisenversicherung 
ist es, welche in der Richtung einer Erweiterung 
der Arbeiterfürsorge zunächst in Betracht kommt. 
Schon in ihrem gegenwärtigen Bestande enthält 
die Arb V bedeutsame Ansäte zu einer solchen; 
doch ist sie zu einem organischen Gliede des Ganzen 
lediglich auf dem Gebiete der U#gestaltet, insosern 
hier den Hinterbliebenen eines durch Betriebs- 
unfall Getöteten Renten in bestimmtem Umfange 
gewährt werden. Eine eigentümliche organisato- 
rische Verbindung von Unfall-, Invaliden= und 
Witwen= und Waisenversicherung wurde durch 
§ 11—13 JVG angebahnt, nach welchen der 
Seeberufsgenossenschaft durch BR eschl gestattet 
werden kann, unter ihrer Haftung eine besondere 
Kasseneinrichtung für die JüV der in den Genossen- 
schaftsbetrieben beschäftigten Personen zu schaffen, 
sofern zugleich für die Versicherten von der Ge- 
nossenschaft eine Witwen= und Waisenversorgung 
begründet wird. Diese „Invaliden-, Witwen= und 
Waisen-Versicherungskasse“ der See-Berufsge- 
nossenschaft“ ist mit dem 1. 1. 07 ins Leben ge- 
treten. Die Schaffung einer allgemeinen Witwen- 
und Waisenversorgung ist in §5 15 des ZolltarifG 
v. 25. 12. 02 ins Auge gefaßt, insofern hier zu die- 
sem Zwecke die Ansammlung und Verzinsung der 
aus den erhöhten Lebensmittelzöllen sich ergeben- 
den Mehrerträge angeordnet ist; über die gedachte 
Versicherung soll durch ein besonderes, bis zum 1. 
1. 10. in Kraft tretendes Gesetz (ausgedehnt bis zum 
1. 4. 11 durch RE v. 11. 12. 09) Bestimmung ge- 
troffen werden. Nach dem G v. 8.4. 07 geschieht 
die Ansammlung zu einem besonderen Fonds unter 
dem Namen,, Hinterbliebenen-Versicherungsfonds“, 
welcher mit der Verw des Reichs-Invalidenfonds 
verbunden ist (dazu jetzt G v. 1. 6. O9.) 
Eine fernere, demnächst in Aussicht stehende Er- 
weiterung der Versicherungsgesetzgebung bezieht 
sich auf die Pensions= und Hinterblicbenen-Ver- 
sicherung der sog. Privatbeamten, deren ge- 
ringst besoldeter Teil allerdings schon jetzt der IV 
untersteht. Ob auch für die höher besoldeten Mit- 
glieder dieses Standes der Anschluß an die allge- 
meine Arb V gesucht oder mehr oder weniger geson- 
derte Einrichtungen dafür geschaffen werden sollen, 
ist zur Zeit noch Gegenstand lebhafter Erörterung 
in Interessenten= und Reg Kreisen (Denkschrift der 
Reichs Reg. v. 11. 7. 08, RT Drucks. Nr. 986). 
Ueber andere Erweiterungsbestrebungen z. B. die 
der KV anzugliedernde Mutterschaftsversicherung 
kann hier noch hinweggegangen werden. 
Ueber den Bestand der heutigen Arb V geht eine 
Arbeitslosen versicherung insofern grundsätz- 
  
  
lich hinaus, als sie von der Anknüpfung an einen 
körperlichen Zustand oder Vorgang und an eine 
daraus sich ergebende Aufhebung und Verminde- 
rung der Arbeitsfähigkeit völlig absieht. 
Auch dieser Zweig der Versicherung ist aber be- 
reits über den Rahmen einer höchst umfassenden 
literarischen Erörterung in das Stadium wenig- 
stens vorbereitender amtlicher Behandlung ge- 
treten. Anknüpfend an eine Resolution des RT 
v. 31. 1. 02 hat unterm 30. 10. 02 der BR be- 
schlossen, „dein NK zu ersuchen, durch das Kais. Sta- 
tistische Amt feststellen zu lassen, welche Einrich- 
tungen bezüglich der Versicherung gegen die Fol- 
gen der Arbeitslosigkeit bisher getroffen und welche 
Ergebnisse dadurch erzielt worden sind“. Das 
Statistische Amt hat sich seiner Aufgabe in einer 
umfassenden Darstellung: „Die bestehenden Ein- 
richtungen zur Versicherung gegen die Folgen der 
Arbeitslosigkeit im Ausland und im Deutschen 
Reich“ und einer damit verbundenen Materialien- 
sammlung (1906) entledigt. 
# 7. Ausländisches und internationales Ar- 
beiterversicherungsrecht. Die Arbeiterfürsorge, 
welche Deutschland zuerst zum Gegenstande einer 
umfassenden Gesetzgebung gemacht hat, zieht auch 
im Rechte des Auslandes immer weitere Kreisc, 
und insbesondere werden auch die Grundprinzi- 
pien des deutschen Rechts, der Versicherungs- 
zwang und seine Durchführung durch öffentliche 
Verbände, gegenüber der freiwilligen, wenn auch 
staatlich geregelten und geförderten, Selbstfür- 
sorge und, speziell auf dem Gebiete der Unfall- 
fürsorge, gegenüber dem System einer bloß pri- 
vatrechtlichen, wenn auch erweiterten, Haftpflicht 
immer mehr auch im Auslande rezipiert. Eine 
reiche Literatur, sowie internationale ArbB- 
Kongresse haben dem vorgearbeitet. Ein näheres 
Eingehen auf das ausländische Recht ist hier nicht 
am Platze. Nur darauf möge hingewiesen sein, 
daß das österreichische Kranken= und U#Recht 
nicht nur dem deutschen Recht am nächsten steht, 
sondern auch in der Lage ist, ihm für seine Fort- 
entwicklung bedeutsame Vorarbeiten zu gewähren. 
So ist in Oesterreich, dem es allerdings noch an 
einer allgemeinen JIV und Altersversicherung 
fehlt, doch durch ein G v. 16. 12. 06 die Pensions- 
versicherung (auf Invaliden-, Alters-, Witwen- 
rente und Erziehungsbeiträge) der Privatange- 
stellten geregelt, und sehr beachtenswert ist das 
von der österreichischen Reg im Jahre 1904 vor- 
gelegte „Programm für die Reform und den Aus- 
bau der Arb V“, welches einen einheitlichen Ge- 
setzentwurf für KV, JV und UBV enthält. (Ueber 
einen neuen Entw. v. 3. 11. 08 vgl. Kaff in 
„Arbeiterversorgung“ 25, 756). 
Die nationale Gesetzgebung der einzelnen Staa- 
ten, auch die deutsche, ist in gewissem Umfange 
in die Lage versetzt, zu Fragen Stellung zu neh- 
men, welche sich aus den Verhältnissen des in- 
ternationalen Verkehrs ergeben. So entsteht ein 
internationales Arb VBRecht (analog dem sog. inter- 
nationalen Privatrecht) zunächst im Sinne einer 
Reihe innerstaatlicher Regeln für Fälle des Zu- 
sammenstoßens verschiedener staatlicher Rechts- 
ordnungen. In diesem Sinne wird auch in den 
deutschen Gesetzen die Frage nach der Anwendung 
des deutschen Arb VRechts namentlich im Ver- 
hältnis zu ausländischen Arbeitern oder ins Aus- 
land übergreifenden Betriebsteilen oder Betriebs- 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.