Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
  
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Archive 
  
haus, woraus lateinisch archium oder archivum, 
italienisch archivio, deutsch Archiv wurde. Es ist 
also damit das öffentliche Gebäude bezeichnet, 
das vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich 
der Aufbewahrung von wichtigen öffentlichen Ur- 
kunden diente. 
Die Sitte, schriftliche Urkunden, die für eine 
spätere Zeit Bedeutung hatten, aufzubewahren, 
wird so weit zurückgehen wie der Gebrauch der 
Schrift überhaupt. (Im alten Babylon sind Samm- 
lungen von Tontafeln, in Aegypten solche von 
Papyrosurkunden entdeckt.) Namentlich galt das 
von Urkunden staatlichen Interesses. Sie bewahrte 
man an öffentlichen Orten, in Rathäusern, woher 
der Name genommen ist, aber auch in Tempeln, 
wodurch man gleichzeitig den Schutz der Gottheit 
für die verwahrten Urkunden erhielt. In Rom 
war es der Tempel der Ceres, dann der des Sa- 
turn, der aber abbrannte. Diese Sitte setzte sich 
bei den ersten Schriften fort, nur daß an die 
Stelle der Tempel die Kirchen traten. Nach Ju- 
stinian hatten die dort verwahrten Urkunden be- 
sondere Beweiskraft (vgl. § 2). Karl der Große 
ordnete die Einrichtung von A. in seinem Reiche 
an, wenn auch mit wenig Erfolg. Es lag in der 
Natur der Entwicklung, daß die geistlichen Stifter 
zuerst auf Bewahrung ihrer Urkunden bedacht 
waren. Hier findet man daher auch die ältesten 
Urkunden. Die städtischen A. gehen bis ins 12., 
die fürstlichen, veranlaßt durch die Lehnsbriefe, 
auf das 13. Jahrhundert zurück. Naturgemäß ver- 
wahrte jeder die ihm gehörigen Urkunden, denen 
er ein dauerndes Interesse beimaß. Das A. des 
alten Deutschen Reiches befand sich schließlich an 
vier Orten, zu Wien das Reichshof A., umfassend 
die Reichshofregistratur für Staats-, Lehn= und 
Gnadensachen, die Reichshofratsregistratur und 
die Registratur des Reichshoftaxamtes, zu Wetzlar 
das A. des Reichskammergerichtes, zu Regensburg 
das Rirektorial. und zu Mainz das erzkanz- 
lerische Reichshaupt 1. Dazu kamen noch die A. 
der verschiedenen Reichskreise und das der kaiser- 
lichen Plenipotenz für Italien zu Mailand. Die 
Fürsten verwahrten die A. in ihrer Hauptstadt, 
daneben gab es, soweit die Landstände sich be- 
haupteten, besondere landständische A. — Der 
Zweck der A. war durchweg praktischer Natur. 
  
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Wenn die kirchlichen Stifter zuerst ihre Urkunden 
aufbewahrten, so galt es damit sich die Beweis- 
mittel für künftige Rechtsstreitigkeiten zu sichern. 
Und keinen anderen Zweck verfolgten später die 
Städte und Fürsten. Wenn es dabei in einer 
wenig kritischen Zeit bisweilen gelang, eine falsche 
Urkunde mit einzuschieben, wie das angebliche 
Privilegium maius Friedrich Barbarossas für 
Oesterreich, so bot das einen weiteren Vorteil. 
So lange die A. wesentlich praktischen Verw- 
Zwecken dienten, konnte es auch keinen Stand von 
wissenschaftlich gebildeten A. Beamten geben, son- 
dern es handelte sich um einfache Registratoren. 
In Preußen wurden die alten Akten und Ur- 
kunden meist von den Regierungen, welche ne- 
ben ihrer Stellung als Landesjustizkollegien die 
sog. Hoheits- und Gnadensachen verwalteten, ver- 
wahrt. Nur das aus dem markgräflich branden- 
burgischen hervorgegangene Geh. Staats A. zu Köln 
a. Sp. stand unter dem Kabinetts-Ministerium. 
Das Verdienst, die Bedeutung des A.Wesens 
nicht nur richtig gewürdigt, sondern auch daraus 
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die entsprechenden Folgerungen für die Verw ge- 
zogen zu haben, gebührt dem Staatskanzler 
Fürsten von Hardenberg. Die grundlegende V 
v. 27. 10. 1810 ordnete die A. dem Staatskanzler 
unmittelbar unter. Nach seinem Tode trat an seine 
Stelle die gemeinsame Oberleitung des Ministers 
des Auswärtigen und des Kgl Hauses. Erst durch 
Erl v. 20. 3. 52 wurden Haus= und Geheimes 
Staats A. von einander getrennt. 
Ungefähr um dieselbe Zeit wurden auch ander- 
weit die A. reorganisiert. 
Die große innere Umwälzung in der Bedeutung 
der A. bestand aber darin, daß sie nunmehr wissen- 
schaftlichen Zwecken eroff net wurden. Hatte man 
früher schon einzelnen Gelehrten wie Pufendorf 
das A. zugänglich gemacht, so war das doch die 
verschwindende Ausnahme. Im geschichtsfrohen 
19. Jahrhundert rückt der wissenschaftliche Zweck 
in den Vordergrund. Es bedeutete eine neue 
Epoche in der Geschichtswissenschaft, als Leopold 
Ranke im A. dei Frari zu Venedig die Berichte 
der venectianischen Gesandten fand und darauf seine 
Geschichtsschreibung stützen konnte. Diesen wissen- 
schaftlichen Aufgaben der A. war ein subalternes 
Bureaupersonal nicht mehr gewachsen. Für die 
Verw bedurfte es wissenschaftlich gebildeter Hi- 
storiker. So entstand ein besonderes Archiv- 
Beamtentum, das mit den alten Registra- 
toren nichts mehr gemein hat. (§ 3 
§5l2. Archivrecht. Das Wort A. i. Recht verstand 
man im aktiven und im passiven Sinne, die beide 
mit einander in Verbindung standen. Aktiv war 
das A.Recht die Befugnis, öffentliche A. zu haben, 
ihnen öffentliches Ansehen zu verleihen und für 
die darin aufbewahrten Urkunden die Vermutung 
der Echtheit zu haben. Passiv folgte daraus das 
Vorzugsrecht der Beweiskraft für die im A. auf- 
bewahrten Urkunden, d. h. jede Archivalurkunde 
galt bis zum Beweise des Gegenteils als Original, 
jedes Original, auch die Privaturkunde als öffent- 
liche, jede Archivalurkunde war bis zum Beweise, 
daß sie nicht absichtlich, sondern zufällig in das A. 
gekommen, ihrem ganzen Umfange nach beweis- 
kräftig. Das A.Recht galt als ein Ausfluß der 
Landeshoheit — wenn auch nicht unbestritten —, 
konnte aber vom Landesherrn auch anderen ver- 
liehen werden. Gemeinrechtlich wurde das A.= 
Recht gestützt auf Nov. 49, c. 2 §5 2.: „Si vero 
etiam ex publicis archivis profertur charta, 
velut de suscepto descriptio, mensae glorio- 
sissimorum praefectorum et dquod ex publi- 
cis archivis profertur, et publicum habet 
testimonium, etiam susceptibile hoc esse ad 
collationes manuum ponimus.“ Die gemein- 
rechtlichen Grundsätze werden für Preußen wie- 
derholt in §# 124, 1586 A#O I, 10. 
Dieses A.Recht ist durch den Grundsatz der 
freien Beweiswürdigung im modernen Preozesse 
beseitigt. Denn die vorerwähnten Rechtsnormen 
haben keinen materiellrechtlichen, sondern prozeß- 
rechtlichen Charakter. Der Grundsatz der freien 
Beweiswürdigung wird durch die 8PO # 415ff 
allerdings durchbrochen zu Gunsten der öffentlichen 
und der öffentlich beglaubigten Urkunden. Aber 
der Charakter der Urkunden als öffentlicher oder 
öffentlich beglaubigter ist unabhängig davon, ob sie 
in einem A. niedergelegt gewesen sind oder nicht. 
Insbesondere wird eine Privaturkunde durch Nie- 
derlegung in einem A. nicht mehr zur öffentlichen. 
 
	        
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