Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
II. Armenverwaltung (Organe, Grundsätze) 
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gung in Familien zu gewähren sei; auch können, 
wie es vielfach geschieht, gewisse reglementarische 
Verpflegungssätze, z. B. für Witwen mit 1, 2, 3 
oder mehr Kindern, für jugendliche und für alte 
Personen, namentlich aber für Anstaltspflege, auf- 
gestellt werden. Die Entsch, wie im einzelnen Falle 
zu helfen sei, macht aber gleichwohl noch eine be- 
sondere Erwägung unter Berücksichtigung aller in 
Betracht kommenden Umstände erforderlich, eine 
Erwägung, die zu um so wertvollerem Ergebnis 
kommen muß, je mehr sie die Besonderheiten des 
Einzelfalles zu würdigen und ihn vom Standpunkt 
der AnPflege aus zu „individualisieren“ 
weiß. In dieser Beziehung ist von den Organen 
der APflege zu ermitteln: Arbeits= und Erwerbs- 
fähigkeit in ihren Uebergängen von völliger Un- 
fähigkeit bis zur teilweisen oder ganzen Fähigkeit; 
Umstände, welche trotz vorhandener Arbeitsfähig- 
keit das Eintreten der A#Pflege erfordern, mit 
Scheidung der verschuldeten und unverschuldeten 
Ursachen, wie allgemeine Arbeitsstockung, Notlage 
einzelner Gewerbe, Teuerung, elementare Er- 
eignisse, wie Feuer= und Wasserschäden, epide- 
mische Krankheiten auf der einen, Müßiggang, 
Trunksucht, Liederlichkeit, Strikes u. dgl. auf der 
anderen Seite; ferner Alter und Familienstand, 
Witwentum, Hilflosigkeit durch Verlassen seitens 
des Ernährers; Vorhandensein bezw. Mangel 
unterhaltungspflichtiger Verwandter, Dienstherr- 
schaften und Arbeitgeber; Maß der U aus privaten 
Mitteln; Art der Bedürftigkeit nach ihren Erschei- 
nungsformen; namentlich Krankheit als vorüber- 
gehende Erkrankung oder dauerndes Siechtum; 
überhaupt vorübergehende und dauernde Bedürf- 
tigkeitsursachen usw., kurz, eine nicht zu erschöp- 
fende Mannigfaltigkeit in den Erscheinungen des 
täglichen Lebens. Ihnen in entsprechender Weise 
gerecht zu werden, ist nur möglich, wenn einer- 
seits genügende Geldmittel und Veranstaltungen 
für die einzelnen Kategorien von Bedürftigen vor- 
handen sind und andererseits die AVerw hin- 
reichende Organe zur Erkenntnis der Individua- 
lität des einzelnen Falles besitzt. Die verwaltungs- 
mäßige Regelung der APflege erfolgt in größeren 
Gemeinden regelmäßig durch A, Geschäftsan- 
weisungen und dgl.; je größer das Gemeinwesen 
ist, um so sorgfältiger müssen die Einzelheiten fest- 
gesetzt werden, wie dies z. B. in den AO von 
Berlin und Hamburg (die beide von dem Verfasser 
dieser Zeilen herrühren) geschehen ist. Diese O 
sind aber nicht nur für den eigentlichen Geschäfts- 
betrieb von Wichtigkeit, um eine finanziell geord- 
nete und sozial wirksame ApPPflege herbeizuführen; 
sie sind auch von Bedeutung für das Verhältnis 
der A## zu einander, da im Erstattungsverkehr 
des vorläufig fürsorgepflichtigen zu dem endgültig 
verpflichteten AB die Verwrundsätze des ersten 
maßgebend sind. In den Landes Ggebungen selbst 
sind derartige Grundsätze nur vereinzelt aufge- 
stellt (uvgl. hierzu preuß. Min Instruktion v. 10. 4. 
71, Bayern AG# a# 28, 29, Sachsen AO §# 23 ff 
und die genannten AE# und V). Doch hat das 
Bein sehr zahlreichen Entsch gewisse aus der Natur 
der Sache und der allgemeinen Erfahrung her- 
geleitete Grundsätze darüber aufgestellt, ob eine 
U als berechtigter Akt der Apflege betrachtet 
werden könne und damit für die Praxis der 
Aßerw Richtlinien gegeben, die bei der durch- 
greifenden Autorität des BA durchweg beachtet 
  
  
  
werden. Einzelheiten sind oben in # 7 erörtert 
worden (S 199). 
2. Im einzelnen: Unterstützt sollen wer- 
den diejenigen, die aus eigener Kraft und eigenem 
Vermögen nicht imstande sind, sich den für sie und 
ihre Angehörigen erforderlichen Unterhalt zu er- 
werben. Dieser Grundsatz schließt im allgemeinen 
arbeitsfähige Personen von dem Empfang öffent- 
licher U aus. Doch ist schon oben zur Frage der 
Erstattungsansprüche darauf hingewiesen, daß 
dieser Grundsatz sich nicht vollständig durchführen 
läßt und daß unter Umständen auch arbeitsfähigen. 
Personen Hilfe nicht versagt werden kann. Die 
Entsch hierüber bietet jedoch besondere Schwierig- 
keiten. Die eine ist: festzustellen, ob ein durch das 
Individuum nicht zu beseitigender Mangel an 
Arbeit vorliegt, oder ob es sich um mangelnden 
Willen zur Arbeit — Arbeitsscheu — handelt. Die 
andere, daß die U arbeitsfähiger Personen, wenn 
nicht mit größter Zurückhaltung geübt, sehr ernste 
allgemeine Folgen hat, die sich weit über das 
armenrechtliche Gebiet hinaus auf das wirtschaft- 
liche und soziale Gebiet erstrecken. Die hierbei in 
Betracht fallenden Gesichtspunkte sind im engeren 
Sinne armenpolizeilicher Natur. [1 Armen- 
polizei unten S 216.) 
Den Hauptgegenstand öffentlicher APPflege bil- 
den die nicht arbeitsfähigen Personen, 
vor allem Altersschwache, Kranke, Sieche und ge- 
brechliche Personen. Es treten hinzu Frauen, 
die verwitwet, geschieden, getrennt lebend oder 
eheverlassen, d. h. der Hilfe des zur Unterhaltung 
der Familie Verpflichteten entbehren und hierzu, 
auch wenn sie selbst arbeitsfähig sind, nicht aus- 
reichend imstande sind. Alle diese Kategorien von 
Bedürftigen sind in der ihnen zuträglichsten Weise 
im Hause (offene) oder durch Unterbringung in 
eine Anstalt (geschlossene Armenpflege) 
zu unterstützen. Die offene Pflege kann in Ge- 
währung von Geld, Naturalien, Kleidung, Arznei, 
Krankenpflege und ärztlicher Hilfe bestehen und 
entweder als vollständige Unterhaltung oder nur 
als Zuschuß zu den Einkünften aus eigenem Er- 
werb oder privater Beihilfe sich darstellen. Bei der 
Krankenpflege sind technische Anforderungen des 
Gesundheitswesens, bei Geisteskranken, soweit sie 
gemeingefähriich sind, sicherheitspolizeiliche, bei 
aubstummen und Blinden, soweit sie in jugend- 
lichem Alter stehen, erziehliche Gesichtspunkte in 
erster Linie zu beachten; auch wird die Art der 
Pflege von dem Vorhandensein genügender An- 
staltenl Blinden= und Taubstummen- 
anstalten] abhängen. Ihre Herstellung bietet 
z. Z. noch jeder AVerw ein sehr weites Arbeitsfeld, 
da dem Bedürfnis noch nicht entfernt genügt wird. 
Als wesentlich ist noch besonders hervorzuheben, 
daß die Unterhaltung von Armen häusern, in 
denen unterschiedslos Personen jeden Geschlechts, 
Alters, Leumundes und Gesundheitszustandes zu- 
sammen untergebracht werden, sowohl aus sitt- 
lichen, wie gesundheitlichen Rücksichten als unzu- 
lässig erachtet werden muß. Die Pflege armer 
Kinder bildet den wichtigsten Zweig jeder 
Aterw, weil die Erhaltung und Heranbildung 
einer gesunden, sittlich tüchtigen und hinreichend 
unterrichteten Jugend sowohl den allgemeinen 
Wohlstand zu fördern, wie im Sinne einer vor- 
beugenden APflege die Ursachen künftiger Armut 
im Entstehen zu beseitigen imstande ist. Die hier- 
 
	        
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