214
Armenwesen
her gehörigen Fragen, in denen wieder gesund-
heitliche und vor allem erziehliche Gesichtspunkte
mitsprechen, sind gegenwärtig noch im Flusse.
Doch darf von ihnen die wichtigste, ob Kinder besser
in Anstalts= oder in Familienpflege
unterzubringen sind, als zu Gunsten der letzteren
Fürsorgeart entschieden betrachtet werden. Die
Mängel der ersteren haben sich namentlich darin ge-
zeigt, daß sittliche Schwächen einzelner Pfleglinge
sehr leicht auf die Gesamtheit übertragen werden
und daß die Abgeschlossenheit in der Anstalt die
Kinder dem wirklichen Leben entfremdet, dem sie
beim Verlassen der Anstalt meist hilflos gegenüber-
stehen. Die Familienpflege hat den Vorzug, daß
ie die Kinder in dauernder Berührung mit den
Anforderungen erhält, welche den sie künftig er-
wartenden Verhältnissen entspricht; an Stelle
oft schablonenhafter Anstaltsdisziplin tritt die Indi-
vidualität des Familienhauses, die vielfach eltern-
gleiche Liebe der Pflegeeltern, welche oft sogar zur
Annahme der Pfleglinge an Kindesstatt führt;
endlich ist Familienpflege billiger als Anstalts-
pflege. Man wird letzterer gleichwohl für gewisse
Charaktere, sowic auch da nicht entraten können,
wo geeignete Familien zu ermitteln schwer ist und
die Lebenshaltung der Bevölkerung dicht an der
Grenze der Armut steht. Die Familienpflege er-
fordert die sorgfältigste Auswahl geeigneter Fami-
lien, die Zahlung eines angemessenen Pflege-
geldes und endlich eine gut geregelte Ueberwa-
chung, die entweder durch eigene Inspektoren oder
mit Hilfe der ländlichen Geistlichen und Lehrer zu
besorgen ist; als besonders wertvoll ist hier die
Heranziehung der privaten Wohltätigkeit, nament-
lich durch Beteiligung des Frauenelements zu be-
zeichnen. — In Ansehung der Aufnahme
von Kindern zur A Pflege sind die Verhältnisse des
einzelnen Kindes sorgsam zu berücksichtigen. Von
der unbeschränkten Aufnahme und dem absicht-
lichen Unterlassen jeder Nachforschung nach dem
Ursprung bei Kindern, die hilflos ausgesetzt oder
von ihren Eltern verlassen sind (älteres franz.
System), ist man ganz und mit gutem Fug zurück-
gekommen, weil dadurch der Hang zum unehe-
lichen Beischlaf, zum frühen Heiraten ohne ge-
nügende Unterhaltsmittel, zur Vernachlässigung
der elterlichen Pflichten außerordentlich gefördert
wird. Es ist umgekehrt die Herkunft des Kindes
auf das sorgfältigste zu ermitteln, der unterhaltungs-
pflichtige Elternteil zur Unterhaltung und Ueber-
nahme anzuhalten, nötigenfalls auch wegen Ver-
lassung strafrechtlich zu verfolgen; wo Kinder
unterstützt werden, deren Eltern noch am Leben
sind, da ist die U nicht bloß armenrechtlich, sondern
auch moralisch eine dem betr. Elternteil gewährte,
die auf ihn bedeutend zurückwirkt. Das Bedürfnis
muß daher sorgfältig erwogen, die U der Zahl der
vorhandenen Kinder angepaßt werden; Kinder
von Witwen können gefahrloser unterstützt werden,
als die von verlassenen Ehefrauen, weil bei letz-
teren der Vater, dem die Sorge für seine Kinder
abgenommen wird, zur ferneren Vernachlässigung
leicht verführt wird. Ganz unge fährlich ist daher
nur die U völlig verwaister Kinder, die des Schutzes
und der U auch doppelt bedurfti sind. — Wegen
verwahrloster Kinder sFürsorge—
erziehung
5 3. Ersathasprüche der Armenverbände.
a) Gegenüber den Unterstützten.
Es liegt in der Natur der Apflege, daß ihre
Gaben unentgeltlich gewährt werden, da eben
die Unfähigkeit des Empfängers, sich das
Empfangene aus eigenen Kräften oder Mitteln
zu verschaffen, die Voraussetzung der U bildet.
Doch schließt dieser Umstand nicht aus, daß
das Empfangene zurückgegeben werden muß,
wenn entweder der Empfänger die Gabe nur
durch Täuschung über seine Vermögensumstände
erlangt hat oder nachträglich in Vermögensum-
stände gelangt, die ihm die Rückgabe ermöglichen.
Es kommen hierbei sowohl armenpolizeiliche wie
rechtliche Gesichtspunkte in Betracht. Aus armen-
polizeilichen Gesichtspunkten ist es geboten, die
A#Pflege gegen Mißbrauch zu schützen; aus recht-
lichen Gesichtspunkten ist allgemein zu folgern,
daß niemand einen Anspruch hat, aus allgemeinen
Mitteln ohne Gegenleistung zu empfangen, was
in der gleichen Art nicht allen gewährt wird, wie
es beispielsweise bei dem unentgeltlichen Elemen-
tarunterricht der Fall ist. Man hat hiergegen ein-
gewendet, daß die unentgeltliche Hingabe aus
öffentlichen Mitteln eben das Charakteristische der
öffentlichen A Pflege sei; doch ist dieser Einwand
ficht stichhaltig, weil es sich nicht um einen privaten
Rechtsanspruch des A handelt, den er dem
Gemeinwesen gegenüber hat, sondern weil das
Gemeinwesen aus öffentlich-rechtlichen Gründen
eine Verpflichtung anerkennt, dem Zustande der
Bedürftigkeit im öffentlich-rechtlichen Interesse ab-
zuhelfen.
Die Frage ist in einigen Bundesstaaten durch
positive Vorschriften dahin beantwortet worden,
daß die den Bedürftigen gewährte U direkt als
Vorschuß bezeichnet wird, der zurückzuzahlen
ist, sobald der Bedürftige durch eigne Tätigkeit und
Erwerb oder auch durch äußere zufällige Glücks-
umstände in bessere Vermögensumstände gelangt,
so Sachsen, Württemberg, Mecklen-
burg-Schwerin, Bremen, Ham-
burg, während andere, ohne das Wort „Vor-
schuß" zu gebrauchen, doch sachlich dasselbe fordern,
wie Baden (der Unterstützte, der zu hinreichen-
dem Vermögen gelangt, ist zur Rückerstattung ver-
pflichtet), Sachsen-Meiningen, bessen,
Oldenburg, Bayern und andere; zum
Teil wird noch hinzugefügt, daß der Unterstützte
die Rückerstattung ohne Gefährdung des eigenen
Unterhalts muß leisten können, oder daß er nicht
durch Rückerstattung erneut der Verarmung aus-
gesett sein würde. Zum Teil ist auch die Ersatz-
pflicht befristet, so z. B. in Bayern auf 10 Jahre
nach Empfang der Uj; in einigen Staaten wie
Württemberg, Oldenburg, Baden sind nur U
zurückzugewähren, die nach vollendetem 18., in
Mecklenburg nach dem 14. Lebensjahr gewährt
sind. In der Praxis sind alle diese Vorschriften
von nicht sehr erheblicher Bedeutung und werden
in milder und verständnisvoller Weise gehandhabt;
immerhin bieten sie in den nicht eben häufigen
Fällen besonders günstiger Veränderungen doch
eine willkommene Handhabe. Preußen ent-
behrt derartiger klarer Bestimmungen, die zweifels-
frei einen Rückgriff gestatten. Der Entwurf des
A enthielt sogar eine ausdrückliche Bestimmung,
wonach der Anspruch auf Erstattung nur soweit
bestehen sollte, als der Bedürftige schon zur Zeit
der Gewährung der U hierzu in der Lage war.
Doch ist diese Bestimmung von der Kommission des
.