Ausland, Ausländer
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gen gezogen wurden, und späterhin im Mittel-
alter unter dem Einfluß kanonischer Rechtsgedan-
ken aus der mißtrauischen Duldung und Ueber-
wachung vielfach eine durch besondere, dem Stand
oder Beruf erteilte Privilegien rechtlich geschützte
Stellung der Fremden sich herausbildete, so blieb
doch jener antike Grundsatz des Fremdenrechts
bis in die Neuzeit der die Staatenpraxis beherr-
schende. Das entgegengesetzte Extrem bildet jene
mit Recht als „chiliastisch“ bezeichnete Vorstellung
eines allgemeinen Weltbürgerrechts, in dessen
Rahmen der Unterschied zwischen Staatsangehö-
rigen und Fremden sich auflösen könne und solle.
Diese durch französische Revolutionsideen (aber nie-
mals durch die französische Gesetzgebung) getragene
Vorstellung hat auch die deutsche Literatur stark
beeinflußt und mehrfach auch auf die Gesetzgebung
eingewirkt. Die neuere Zeit hatte sich von diesem
Chiliasmus frei gemacht und war von einem
starken, mit den Staatenbildungen der Neuzeit
in Kausalzusammenhang stehenden Bestreben be-
herrscht, die Grenze zwischen Staatsangehörigen
und Fremden scharf zu fixieren; die neueste Zeit
ist unter dem Eindruck der Haager Konferenzen
wieder vielfach in jene weltbürgerlichen Ideen zu-
rückgefallen. Auch von einem „Völkerindigenat"
wird man, wenn auch im Sinne einer allgemeinen
Kultur, so doch kaum in dem einer Rechtsgemein-
schaft zu reden in der Lage sein (vgl. Stoerk §120).
2. Der prinzipielle Satz der antiken Rechtsauf-
fassung ist insoweit auch Grundsatz des heutigen
Rechtes, als der Fremde kein Recht an
den Staat hat. Demgemäß kann jeder
Fremde jederzeit ausgewiesen werden, sowohl
durch Zwangspaß als durch Zwangstransport.
Ueber Ausweisung wegen Verarmung bestehen
vielfach vertragsmäßige Vorschriften (Bulmerincq,
Holtzendorff RL „Afylrecht“, Stoerk 2, 605“", Frhr.
v. Overbeck, Niederlassungsfreiheit und Auswei-
sungsrecht, 1907). Das Ausweisungsrecht ist die
prinzipielle Grundlage des Fremdenrechts (über
eine interessante Einschränkung des belg. Rechts s.
Stoerk 646). Mehrfach ist dieses Recht noch in be-
sonderer Weise spezialgesetzlich anerkannt (RSt GB
88 39, 284, 3612, 362 Abs 4), doch bedarf es solchen
spezialgesetzlichen Titels nicht. Wahrgenommen wird
das Ausweisungsrecht meist durch die Lds Pol Beh;
es bezieht sich regelmäßig bloß auf den Einzelstaat,
nur in den durch die Reichsgesetzgebung normier-
ten Fällen auf das Reichsgebiet. Durch Staats-
verträge wie durch Landesgesetze ist mehrfach
das Ausweisungsrecht für bestimmte Staaten von
gewissen Voraussetzungen abhängig erklärt, bis-
weilen sogar den Ausländern ein Recht auf Auf-
enthalt im Inlande eingeräumt worden. — Nur
Fremden gegenüber ist Ausweisung zulässig, nicht
gegenüber den eigenen Staatsangehörigen. Das
Reichsgebiet ist nach dieser Richtung volle Einheit;
nur Bayern kann verarmte Angehörige anderer
Einzelstaaten ausweisen und umgekehrt (s. unten
#s4 Nr. 6). — Wie eine spezielle, so muß auch eine
generelle Ausweisung sei es aller sei es der einem
bestimmten Staate angehörenden Fremden als
luristisch zulässig erklärt werden. Der modernen
mvilisation widerspricht allerdings eine derartige
Maßregel. IX Ausweisung s.
„Istt somit grundsätzlich der Fremde als Gast
iederzeitiger Ausweisung ausgesetzt, so ist doch die
raxis des internationalen Gastrechts in der
modernen Welt die gerade entgegengesetzte wie in
der antiken. Unter normalen Verhältnissen wird
den Fremden volle Freiheit der
Bewegung und des Aufenthalts
gestattet; selbst die früheren Paßbeschrän-
kungen sind fast völlig beseitigt (G v. 12. 10. 67 82),
allerdings unter dem gesetzlichen Vorbehalt jeder-
zeitiger Wiedereinführung, wo und sobald dies im
Staatsinteresse erforderlich ist (s§ 9). Der Ver-
pflichtung, sich auf amtliches Erfordern über ihre
Person genügend auszuweisen, unterliegen Frem-
de wie Deutsche (5 3). Zur Kontrolle des Frem-
denverkehrs ist in allen deutschen Einzelstaaten
eine mehr oder minder weit reichende Melde-
pflicht der Pol Behörde gegenüber eingerichtet
(preuß. G v. 31. 12. 42, für Bayern, Württem-
berg, Baden durch die PolStrafgesetzbücher); die
sog. „Aufenthaltskarten“ dagegen sind reichsrecht-
lich ausgeschlossen (Paß G § 10). In Hinsicht des
bürgerlichen Lebens besteht somit in den mei-
sten Fällen gar keinrechtlicher Un-
terschied zwischen Staatsangehöri-
gen und Fremden mehr. Mehrfach ist
das Recht der Niederlassung durch Staats Vt aus-
drücklich garantiert, so gegenüber den schweizeri-
schen Staatsangehörigen [U Paßwesen).
#§ 4. Das Fremdenrecht im einzelnen (s. Stoerk
5 120, W. Hoffmann, Niederlass. u. rechtl. Be-
handl. v. Fremden, Diss. Würzburg, 1906; In-
ternationales Privatrecht!.
1. Hinsichtlich des Zivilrechts und Zi-
vilprozesses stehen regelmäßig die Frem-
den unter denselben Rechtsregeln wie die Staats-
angehörigen. Vorhehalte sind in manchen Rechten
bezüglich der Eheschließung und Ehescheidung ge-
macht; in ersterer Beziehung enthält auch das
deutsche Reichsrecht in 8 1315 Abs 2 BGB einen
Vorbehalt. Inwieweit bei den Rechtsverhält-
nissen der Ausländer die Herrschaft der deutschen
Rechtsnormen zu Gunsten des ausländischen Rech-
tes eingeschränkt ist, ergeben die a 7 ff des E# z.
BGB. Sie betreffen Geschäftsfähigkeit, Ent-
mündigung und Todeserklärung von Ausländern,
Rechtsfähigkeit ausländischer Vereine, Form der
Rechtsgeschäfte, Eherecht ausländischer Gatten,
Verwandtschaftsverhältnisse, Vormundschaft und
Beerbung. Ergänzungen enthalten die 3 Haager
Abkommen v. 12. 6. 02 (Rl 1904, 221 ff.)
Der Erwerb von Grundstücken durch Ausländer
kann durch Landesrecht von staatlicher Genehmi-
gung abhängig gemacht werden (EG z. BGB a 88).
Hiervon haben Preußen (AG z. BGB a 7),
Bayern, Hessen, Sachsen-Altenburg, Waldeck und
Hamburg Gebrauch gemacht. Die Wechselfähig-
keit der Ausländer entspricht ihrer Geschäftsfähig-
keit (WO v. 3. 6. 08 a 84). — Aehnlich lautet die
Vorschrift des § 55 Z8PO bezüglich der Prozeß-
fähigkeit der Ausländer. #§ 110, 111 3PO ent-
halten Sonderbestimmungen über die Sicherheits-
leistung für Prozeßkosten (entsprechend StPO
#5*419 und Patent G v. 7. 4. 91 # 28 Abs 5). Ge-
genseitige Befreiung von dieser Sicherheitsleistung
sowie Zulassung zum Armenrecht ist durch Staats-
Vt, insbesondere durch a 11—13 und 14—16 des
Haager Abkommens zur Regelung von Fragen
des internationalen Privatrechts v. 14. 11. 96
(Rl 1899, 285) bezw. v. 9. 11. 97 (Anschluß-
protokoll; Re# Bl 1899, 294) mit den meisten Kul-
turstaaten vereinbart worden (Fuld in Holdheims
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