Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
  
Auslieferung 
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weist (so im Verkehr zwischen den deutschen Staa- 
ten mit Oesterreich-Ungarn). Eine A.Pflicht be- 
steht daher nur, soweit sie vertragsmäßig über- 
nommen ist. In der Gegenwart vertritt besonders 
v. Liszt den Gedanken eines Weltaus- 
lieferungsvertrags in dem Sinne, daß 
einzelne Staaten die maßgebenden Grundsätze 
vereinbaren und dritten die Möglichkeit des Bei- 
tritts eröffnen. S. hierüber die Brüsseler Ver- 
handlungen der internationalen kriminalistischen 
Vereinigung vom August 1910. 
#s4, Asfylrecht und Auslieferungsgesetze. Ent- 
hält sich der Staat sowohl der A. wie der 
Ausweisung und der eigenen Bestrafung, so ge- 
währt er dem Verbrecher ein Asyl. Hierzu ist 
er befugt (aktives Asylrecht), sesern er 
keine entgegenstehende völkerrechtliche Verpflich- 
tung übernommen hat. Ob beim Mangel einer 
solchen der Verbrecher einen Anspruch auf Asyl 
hat (passives Asylrecht), beurteilt sich 
nach dem Rechte des Zufluchtsstaates. In Deutsch- 
land und verschiedenen andern Staaten hat sich 
der Satz entwickelt, daß eine A. ohne Vertrag und 
über einen Vertrag hinaus gewährt werden kann. 
Das passive Asylrecht wird also nicht anerkannt. 
Selbstverständlich gilt eine Ausnahme bezüglich 
der Exterritorialen, weil sie von der inländischen 
Staatsgewalt befreit sind 3Z. B. darf Deutsch- 
land nicht den Gesandten des Staates & an den 
Staat 9 ausliefern. Macht ein Gesandter sein 
Hotel zum Asyl für Verbrecher, so handelt er 
völkerrechtswidrig, dagegen darf ein Jurisdiktions= 
konsul zum mindesten denjenigen Personen 
ein Asyl gewähren, die seiner Gerichtsbarkeit 
unterworfen sind, ja, es steht diesen Personen 
gegenüber dem Konsul auch ein passives Asyl- 
recht zu. 
Einzelne Staaten haben die Frage, ob und 
unter welchen Voraussetzungen eine A. stattfinden 
darf, durch besondere Auslieferungs- 
gesetze geregelt, die zuweilen auch andere 
mit dem A.-Wesen zusammenhängende Fragen 
betreffen. Das alteste dieser Gesetze ist das belgische 
v. 1. 10. 33; an seiner Stelle gilt jetzt ein neues 
Gv. 15. 3. 74 (Abdruck der verschiedenen A.Gesetze 
bei Martitz, 2. Abt. Von später hinzugekomme- 
nen ist namentlich das norwegische v. 13. 6. 08 
zu erwähnen). In Deutschland hat die auf Erlaß 
eines A.Gesetzes gerichtete auf v. Bar zurück- 
gehende Bewegung bis jetzt keinen Erfolg gehabt. 
Immerhin hatte schon die freie Stadt Frankfurt 
am 6. 6. 66 ein A.G erlassen, das allerdings im 
folgenden Jahre von Preußen wieder aufgehoben 
wurde. Das bayrische G v. 16. ö. 68 kann nicht 
als eigentliches A.G bezeichnet werden, weil es 
nur die Beachtung des Grundsatzes der Speziali= 
tät (59) sichert. 
5. Auslieferungsverträge im allgemeinen. 
Die Uebernahme der A. Plicht geschieht durch 
Abschluß eines Auslieferungsvertra- 
ges. Denkbar ist ein solcher als genereller oder 
spezieller. Das Hauptinteresse knüpft sich an die 
generellen A. Verträge. 
Alle A-Verträge fallen unter den Begriff der 
völkerrechtlichen Verträge. Solche können in 
Deutschland sowohl vom Reich als von den Einzel- 
gaten abgeschlossen werden. Dagegen steht in 
en Bereinigten Staaten von Amerika und in der 
üchweiz den Einzelstaaten die Vertragsfähigkeit 
  
  
  
nicht zu. Die Frage, ob der Abschluß die Mitwir- 
kung der Volksvertretung erfordert, beurteilt sich 
nach innerstaatlichem Recht. Die Praxis entschei- 
det für die generellen A. Verträge des Reiches in 
bejahendem Sinn, verneint aber für die Preußens. 
Nach dem Vorgange Belgiens haben die Aus- 
lieferunggesetze (§54) mehrerer Staaten, darunter 
die Eidgenossenschaft, ihre Regierungen ermäch- 
tigt, A. Verträge ohne Mitwirkung der Volksver- 
tretung abzuschließen, sofern sie gewissen Nor- 
mativbestimmungen entsprechen. Mit dem Deut- 
schen Reich (Nordd. Bund) schlossen bis jetzt fol- 
gende Staaten eigentliche 
Auslieferungsverträge: 
Belgien 24. 12. 74, und (für die Schutz- 
Brasilien 17. 9. 77, gebiete) 21. 9. 97, 
Griechenland 12. 3. 07, Schweden und Norwe- 
Großbritannien 14.5.72|] gen 19. 1. 78 (zwischen 
und (für die Schutz= Deutschland und Nor- 
gebiete) 5. 5. 94, wegen ergänzt durch 
Italien 31. 10. 71, einen Zusatzvertrag v. 
Kongostaat 25. 6C. 90 (be- 7. 3. 07), 
zügl. der deutsch-afri= Schweiz 24. 1. 74, 
kanischen Schutzgebie- Spanien 2. 5. 78, 
te), Uruguay 12. 2. 80, 
Luxemburg 9. 3. 76, Vereinigte Staaten von 
Niederlande 23. 12. 9661 Amerika 22. 2. 68. 
Ferner hat das Reich mit mehreren Staaten 
vorläufige Vereinbarungen, z. T. nach der Meist- 
begünstigungsklausel, geschlossen; so im Konsular- 
vertrag mit Serbien v. 6. 1. 83 a XXV und im 
Protokoll zum Konsularvertrag v. 4. 4. 96 mit 
Japan. Endlich dehnt die am 11. 12. 71 zwischen 
dem Reich und Frankreich vereinbarte Zusatz- 
konvention zum Frankfurter Frieden in a 18 
gewisse ältere Verträge auf Elsaß-Lothringen aus. 
Die generellen A. Verträge des Reiches werden 
nach Art von Gesetzen verkündigt. Deshalb schreibt 
ihnen die zur Herrschaft gelangte Lehre auch Ge- 
setzeskraft zu (anders namentlich die französische 
Theorie und Praxis). Demgemäß sind sie von 
Amts wegen zu beachten; auf ihre Nichtbeach- 
tung kann eine Revision gestützt werden (Röst 
12, 381; 21, 180). Ferner kann der Angeklagte 
auf ihre Beachtung nicht verzichten. Abzulehnen 
ist dagegen die von der herrschenden Lehre ge- 
zogene Konsequenz, daß durch einen Auslieferungs- 
Vertrag des Reiches die mit demselben aus- 
ländischen Staat bestehenden A. Verträge der deut- 
schen Einzelstaaten ipso iure außer Kraft treten; 
sie beruht auf einer Vernachlässigung des Um- 
stands, daß die Verträge doch immerhin Verträge 
sind und nicht einseitig nur unter dem Gesichts- 
punkt des Gesetzes betrachtet werden dürfen, na- 
mentlich nicht gegenüber dem Ausland. Man 
vermag nicht einzusehen, weshalb ein Einzelstaat 
von seiner vertragsmäßig übernommenen Ver- 
pflichtung, wegen 30 bestimmter Delikte auszu- 
liefern, dadurch entbunden werden sollte, daß das 
Reich eine entsprechende Verpflichtung nur wegen 
einer geringeren Anzahl übernimmt. Im Recht 
wäre die herrschende Lehre höchstens dann, wenn 
dem Vertrage des Reiches die Bedeutung eines 
Verbots der A. wegen anderer Delikte zu- 
käme. Daß das aber nicht zutrifft, ergibt sich aus 
den Ausführungen unter F 4. 
#6. Auslieferungsdelikte. Ihrem Inhalt nach 
bezeichnen die A. Verträge in erster Linie die De- 
likte wegen deren eine A. unter den vertrag- 
 
	        
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