Auslieferung
265
— —„ — — — —
belgischen A. Gesetz begründet hat, ist unter einem
politischen Delikt ein solches zu verstehen, das sich
gegen Bestand oder Sicherheit des Staates, gegen
das Staatsoberhaupt oder gegen die politischen
Rechte der Staatsbürger richtet. Nach dem StGB
gehören hierher die Delikte des 1. und 5. Ab-
schnitts des II. Teils. Eine gemischte Theorie ver-
tritt Finger. Er will die bezeichneten Delikte
aus dem Gebiete der politischen ausschließen,
wenn sie in eigennütziger (also unpolitischer) Ab-
sicht begangen werden. Ausdrücklich abgelehnt
wird die subjektive Theorie in den Abkommen,
welche Rußland in dem Jahre 1885 mit Preußen
und Bayern geschlossen hat.
Den bisher besprochenen absolut politi-
schen Delikten werden die relativ politischen
gleichgestellt. Zu diesen gehören zunächst die einem
absolut politischen Delikt konnexen. Darun-
ter sind solche zu verstehen, welche begangen wer-
den, um ein politisches vorzubereiten oder zu er-
leichtern, seinen Erfolg zu sichern, oder seine Straf-
losigkeit herbeizuführen. Ferner gehören hierher
die komplexpolitischen Delikte. Ein
solches liegt vor, wenn ein politisches Delikt mit
einem gemeinen in Idcalkonkurrenz tritt. Als-
dann überwiegt der politische Charakter in dem
Maße, daß eine A. Pflicht nicht besteht.
In den Verträgen des Deutschen Reichs ist
stets nur von politischen Verbrechen schlechthin
die Rede, ohne daß der relativen ausdrücklich ge-
dacht würde. Daraus darf aber nicht geschlossen
werden, daß diese der A.Pflicht unterworfen
seien. Denn da von vornherein die absolut politi-
schen Delikte nicht unter denjenigen aufgezählt
sind, welche eine A. Pflicht begründen, so muß
die ausdrückliche Erwähnung politischer Delikte
sogar in erster Linie auf die relativen bezogen
werden.
Eine erhebliche Einschränkung hat der Begriff
der politischen Delikte durch ein aus Anlaß des
Falles Jacquin erlassenes belgisches G v.
22. 3. 56 erfahren. Hiernach werden Mord, Tot-
schlag oder Vergiftung gegen ein Staatsoberhaupt
oder dessen Familienmitglieder nicht als politische
Delikte angesehen. Diese belgische Attenta-
tenklausel hat allmählich in der Vertrags-
praxis der meisten Staaten Anerkennung gefun-
den. Abseits stehen namentlich Großbritannien,
Nalien (dieses jedoch nicht schlechthin) und die
Schweiz. Auch in dem deutsch-griechischen Ver-
trage fehlt die Klausel.
Der Grund für die Nichtauslieferung wegen
politischer Delikte ist historisch auf den Gegensatz
zwischen dem konstitutionellen Staatsleben des
Westens und dem absolutistischen des Ostens zu-
rückzuführen. Aber auch seitdem der Osten kon-
stitutionell geworden ist, hat der Grundsatz seine
Berechtigung. Denn praktisch bleiben die Ten-
denzen des Staatslebens immer noch verschieden,
und es geht nicht an, daß der Staat durch die A.
wegen eines politischen Delikts sich selbst in einen
Gegensatz zu der Richtung bringt, die er nach
innenhin betätigt.
ebrigens ist mit der Verneinung einer A.=
* Fflicht wegen politischer Delikte die Bejahung
aeines A.Rechts an sich sehr wohl verträglich.
2 an wird auch den Wortlaut einzelner Verträge,
er auf ein A. Verbot hinweist, nicht pressen dür-
en, weil ein solches mit dem Vertragscharakter
— — —¡— — — — — — — -
— — —— —
——— —ffl ñ— — —— —
kaum vereinbar ist. Das Auswärtige Amt nimmt
daher eine A. Befugnis auch bei politischen Delik-
ten an. Dem hält man von anderer Seite ent-
gegen, daß das Reich durch die Verkündung des
Vertrages in Gesetzesform ein A. Verbot an die
Einzelstaaten richte. Eine Klärung dieser Frage
ist nur von einem A. Gesetz zu erwarten.
3. Ort der Begehung. Normaler-
weise bezieht sich der A. Vertrag auf Delikte, die
im Gebiete des ersuchenden Staates begangen
sind. Dieser Fall steht denn auch in den vom
Reich abgeschlossenen Verträgen an der Spitze
und zwar in dem Sinn, daß er allein eine
A.pflicht begründet. Jedoch wird meist
auch die Möglichkeit einer A. für den Fall
vorgesehen, daß der Begehungsort in einem
dritten Staate liegt. Dabei macht sich wieder das
Prinzip der identischen Norm geltend: es soll in
diesem Fall nur dann ausgeliefert werden, wenn
auch der Zufluchtsstaat Handlungen dieser Art
bestrafen kann, ohne daß der Begehungsort auf
seinem Gebiete liegt. Vorbildlich war hier das
belgische A.G von 1874 a 2. — Abweichend von
dem Typus setzt der deutsch-niederländische Ver-
trag nur voraus, daß die Handlung nicht in dem
Gebiete des ersuchten Teils begangen ist. Für
diesen Fall wird kein Staat eine A. Pflicht über-
nehmen, weil er seine eigene Strafgewalt nicht
hinter der eines andern zurücktreten lassen wird.
— Formell weicht auch der deutsch-griechische
Vertrag vom Typus ab, insofern er die A. Pflicht
überhaupt nicht an einen bestimmten Begehungs-
ort knüpft. -
4. Res judicata. Hat in dem Zufluchts-
staat ein Strafverfahren wegen der Handlung
stattgesunden, so muß der verfolgende Staat dessen
Ergebnis in dem Sinn respektieren, daß die
A. Pflicht nicht eintritt. Diesem Fall pflegt der
andere gleichgestellt zu werden, daß zur Zeit ein
Strafverfahren anhängig ist.
Bei der Kollision von A. Ansprüchen mehrerer
Staaten sind die unter 2. und 3. hervorgehobenen
Gesichtspunkte maßgebend.
Erwähnt sei endlich, daß die Erledigung des
Aersuchens namentlich dann verschoben werden
kann, wenn sich der Verfolgte wegen einer anderen
Tat im Zufluchtsstaate in Untersuchung befindet.
#8. Das Auslieferungsverfahren spielt sich
grundsätzlich (s # 3 a. E.) als ein völkerrechtlicher
Vorgang zwischen 2 Staaten ab, die dabei
durch die Ministerien der auswirtigen Ange-
legenheiten vertreten werden. Beim Vorliegen
eines bundesstaatlichen Verhältnisses wird der
A. Verkehr bald von den Einzelstaaten, bald
vom Gesamtstaate erledigt. Das letzte gilt für
die Schweiz und die Vereinigten Staaten von
Amerika, das erstere für Deutschland. Aller-
dings wirkt das Reich regelmäßig insofern mit,
als das Auswärtige Amt den geschäftlichen Ver-
kehr vermittelt. Bei einer A. nach Deutsch-
land steht aber die Initiative den Einzelstaaten
zu, und bei einer A. aus Deutschland haben
sie das Gesuch zu prüfen und zu erledigen. Alles
dies gilt auch dann, wenn sich das A. Gesuch auf
einen Vertrag des Reichs stützt.
Die Tätigkeit der Justizbehörden be-
schränkt sich beim aktiven A. Verkehr darauf, daß
sie das an den Aufenthaltsstaat zu richtende Er-
suchen bei den diplomatischen Behörden des ei-