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Ausweisung (Begriff, Geschichte)
strafe bei Verbrechen von Ausländern; „Ab-
schaffung“ aus einem Orte oder Kronlande, gegen
Ausländer auch aus dem ganzen Staatsgebiete,
als Strafe für gewisse Vergehen oder Uebertre-
tungen oder als polizeiliches Gebot mit Rückkehr-
verbot; grundsätzlich ohne Rückkehrverbot ist die
„Abschiebung“. Daneben aber ist auch die „Aus-
weisung“ bekannt. Diese Unterscheidungen sind
wenig scharf und über die Grenzen ihres Ursprungs-
landes hinaus nicht deutsches Sprachgut geworden.
II. Die A. betraf bis in die neueste Zeit, wenn
auch nicht unterschiedslos, Inländer wie Ausländer.
1. Inländern gegenüber wurde die Verban-
nung aus politischen Gründen gehandhabt, nament-
lich im Altertum, indes auch aus anderen, polizeili-
chen, Gesichtspunkten (z. B. Vagabunden, Aus-
sätzige). Das Zeitalter der Reformation schuf mit
dem jus reformandides Landesherren einen kirchen-
staatsrechtlichen Grund zur A., den der westfälische
Friede zumindest für den Fall anerkannte, daß es
sich um Untertanen anderen Bekenntnisses als der
Landesherr handelte, die sich auf eine Religions-
übung im Normaljahre 1624 nicht berufen konn-
ten (bloß, wenn sie turbationis ansam praebent?
JPO a. V 8 34). In der Regel aber erscheint die
A. als eine Folge von Straftaten z. B. Aufruhr
(Peinl. Gerichts O a. 127), auf die entweder neben
einer Freiheits= oder Körperstrafe, häufig jedoch
an Stelle einer solchen vom Richter erkannt, für
die im 18. Jahrh. indes meist schon eine Bestäti-
ng durch den Landesherrn verlangt wurde.
# Anbetracht der Kosten der Strafvollstreckung,
bei dem Fehlen oder dem üblen Zustande der Ge-
fängnisse wird es auch verständlich, daß dem
Uebeltäter zuweilen die Wahl zwischen Strafe
und Landesverweisung verblieb — ein Modus,
der übrigens noch in den 30er Jahren des 19.
Jahrhunderts im preußischen Staatsrate für poli-
tische Verbrechen seine Verfechter fand (Goltdam-
mer, Materialien zum StB 1, 1851, 123).
Seine Wirkung war freilich auf eine frühere Zeit
mit ihrer gering ausgebildeten Verkehrsmöglich-
keit und ihrer grundsätzlichen Abschließung gegen-
über dem Ortsfremden berechnet — eine Zeit, in
der das Wort „Elend“ (ursprünglich = Ausland)
den uns geläufigen Sinn gewann. Die Bettelei
als Landplage, gesteigert bis zur räuberischen
Erpressung, war die warnende Folge dieser Ent-
wurzelung aus heimischem Boden. In dem
Jahrhundert der Aufklärung und des Merkantilis=
mus mit den Ideen von Humanität und Welt-
bürgertum und den populationistischen Bestre-
bungen der Regierung erwuchs der Widerspruch
gegen eine unfreiwillige Entfernung eigener Un-
tertanen. In Preußen wandelte schon die KabO
v. 4. 1. 1744 (Mylius, corp. const. Marchic. cont II
Sp 169) die Landesverweisung in Zuchthaus= oder
Festungsstrafe auf Lebenszeit; in Bayern tritt
1748 bei Bettel an Stelle der A. das Arbeits-
haus. In jener berühmten Preisschrift von Glo-
big und Huster (1783) „von der Criminal-Gesetz-
gebung“ wird die Landesverweisung allgemein
verworfen. Immerhin kennt noch 1794 das AL
1120 §5 95 als Sicherungsmaßnahme die Verban-
nung der Kinder von Hochverrätern; und als Folge
der Uebertretung von Duellgesetzen wird sie selbst
von Wortführern der französischen Revolution
empfohlen (Kohlrausch, in der Vergleichd. Darstell.
d. deutschen und ausländ. Strafrechts, Besond.
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Teil III 152). In Bayern wird die A. als Strafe
durch das St GB von 1813 a 36 verboten.
Erst im Verfassungsstaate des 19. Jahrhunderts
ist die unlösbare Verknüpfung der Staatsangehö-
rigen mit dem Mutterlande zum Grundsatze er-
hoben. Das ist in Deutschland gegenwärtig der
durch das FreizügigkeitsG v. 1. 11. 67 anerkannte
Stand, von dem es — für das Reichsgebiet im
Sinne der Reichsverfassung — keine Ausnahme
mehr gibt, nachdem die Abweichungen aus politisch
erregter Zeit ihre Geltung verloren haben (R#
v. 4. 5. 74 betr. Verhinderung der unbefugten Aus-
übung von Kirchenämtern: weniger weit RG v. 4.
7. 72 betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, Sozia-
listen G v. 21. 10.78). Ob der Statthalter von Elsaß-
Lothringen auf Grund des sog. Diktaturparagra-
phen bis zur A. von Inländern schreiten durfte (Fall
Autoinel), ist eine beute nicht mehr zu erörternde
Frage (vgl. Laband I 141, Otto Mayer in der
1. Auflage des WB II 539). Der Fall, daß einem
wegen eines bestimmten Delikts Ausgelieferten,
der noch einer andern Tat beschuldigt ist, nach
Freispruch oder Strafverbüßung eine Frist gesetzt
wird, innerhalb deren er das Land verlassen kann,
ist überhaupt keine Ausweisung.
Der Grundsatz ist allerdings auch in den Kultur-
staaten noch jetzt keineswegs ausnahmslos durch-
geführt. So kennt Frankreich nicht bloß ein
bannissement im code pénal a 32, 33, sondern
wieder in der loi des princes v. 22. 6. 86 (Aus-
schluß der Häupter der einst in Frankreich regie-
renden Häuser und ihrer „héritiers directs“, Mög-
lichkeit des Ausschlusses der übrigen Familien-
glieder von französischem Boden), wennschon diese
Regelung regsame Gegner findet (Materialien
bei Martini 39). Selbst in der Schweiz könnte
trotz a 44 der Bundesverfassung von 1874 die
Landesverweisung noch als Straffolge für eine
Dauer bis zu 10 Jahren verhängt werden (Schol-
lenberger, Komm. z. Bundesverfassung 1905,
344, a. M. v. Martitz 1 15, 16). Auch in Por-
tugal gehört die A. noch zum Strafensystem
(v. Liszt, Strafgesetzgebung der Gegenwart 1, 1894
S645, 537). Abgeschafft ist sie dagegen in Bra-
silien durch V1U 1891 aà72 §J 20 und nunmehr (1896,
1904) in Bulgarien (Karastojanoff, Erwerb und
Verlust der bulgarischen Staatsangehörigkeit 09,
39) wie als Zeichen des Uebergangs zum Kon-
stitutionalismus in der Türkei 1909.
Eine Ausnahme besteht im deutschen Rechte
nur noch für die Kolonien (unten 3§ 7).
Wegen A. von Deutschen aus Einzelstaaten
AFreizügigkeit, Heimatrecht. Was inner-
halb eines Bundesstaats gilt, gilt aber nicht
schon für die Teilstaaten einer Realunion.
2. Auch gegenüber dem Staatsfremden
führte das 18. Jahrhundert einen Umschwung
herbei. Nicht so sehr kosmopolitische und philan-
thropische als merkantilistische Anschauungen ver-
mochten den Staat, arbeitsfähige oder kapital-
kräftige Ausländer möglichst einzubürgern oder
doch ihnen den Abzug zu erschweren (vgl. ALKK
Einl. § 41, II 17 5J§ 131—135: Fremde, die ein
Amt übernommen oder ein Grundstück gekauft
oder ein bürgerliches Gewerbe getrieben oder auch
nur sich 10 Jahre „wirklich niedergelassen“ haben).
Erwägt man, daß, ganz abgesehen von den Ver-
kehrsverhältnissen, infolge der Erschwerung des
Abzugs aus der Heimat einerseits, der Paß-