Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Ausweisung (Gründe und Schranken) 
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sich früh im Gothaer Vertrage § 7). Damit ist für 
die Rechtfertigung gar nichts gesagt; denn es 
kommt eben darauf an, das „lästig" zu begründen. 
Als Gründe finden sich im Landesrechte herkömm- 
lich erwähnt: Straftaten (Bayern, Baden, Sachsen- 
Altenburg) und Mittellosigkeit (Bayern, Baden). 
Daneben aber wird auch eine allgemeiner gehal- 
tene Ermächtigung in verschiedenem Umfang 
ausgesprochen: Gefährdung der inneren oder 
äußeren Sicherheit des Staates (Baden) oder gar 
Rücksicht auf die öffentliche Wohlfahrt (Bayern). 
Nicht anders steht es mit der außerdeutschen 
Gesetzgebung. Der durchdachte Versuch einer 
Spezialisierung der Gründe in den Vorschlägen 
des Instituts für Völkerrecht beweist nur die Un- 
möglichkeit einer erschöpfenden Aufzählung der 
Gründe, da die einzelnen Gruppen selbst wieder 
einen weiten Spielraum öffnen. Also darf man 
in dem allgemeinen Vorbehalte, wie es unsere 
Niederlassungsverträge formulieren (oben # 2 I), 
das völkerrechtliche Anerkenntnis einer überein- 
stimmenden Auffassung der Staaten erblicken, 
die allgemeine Geltung beanspruchen kann. Sie 
geht dahin: der Aufenthalt des Fremden muß 
für die Interessen des Staates eine Gefahr bilden. 
Die einzelnen Interessen lassen sich nach gewissen 
Richtungen gruppieren — wenn auch die Abgren- 
zung nicht scharf durchführbar ist — die übrigens 
ihren Unterschied in der verschiedenen Form der 
A., ihrer zeitlichen und räumlichen Erstreckung 
und in den anordnenden Organen äußern. 
1. Eine Gefahr für politische In- 
teressen, sei es des Aufenthaltsstaates un- 
mittelbar, sei es eines befreundeten Staates, 
wenn der Aufenthalt zu Anschlägen gegen diesen 
mißbraucht wird (Präsident Castro v. Venezuela?) 
— von dem „lästigen“ Journalisten (Institut a 28 
Ziff. 9) angefangen, zum agent provocateur und 
Anarchisten (ausdrücklich Verein. Staaten, Me- 
xiko); Auswanderungsagenten (Hessen); Deser- 
teure oder Militärpflichtige (Vi mit Niederlanden 
à 3, Schweiz a 9) und frühere Staatsangehörige 
des Aufenthaltsstaates, die ihre Staatsangehörig- 
keit gewechselt haben (Option, Auswanderung), 
um ihren Pflichten gegen den Aufenthaltsstaat zu 
entgehen. Deshalb soll den Deutschen, die vor 
Erfüllung ihrer Militärpflicht nach den Verein. 
Staaten ausgewandert und dort naturalisiert sind, 
die dauernde Niederlassung in Deutschland nicht 
gestattet werden (pr. Min Inn Erl v. 1. 2.01, MBl 
100, bayr. ME 8. 12. 75). Ueber die Schwierig- 
keiten aus der Praxis des Bancroftvertrages 
Moore III 5 393, Bendix, Fahnenflucht 1906 
S. 176. Die Gefahr steigert sich allgemein in 
politisch weniger sicheren (Grenz-) Bezirken oder 
zu erregten Zeiten (Belagerungszustand!). 
2. Eine Gefahr für die allgemeine 
Sicherheit. Hier kommen vor allem Straf- 
taten in Betracht (Bayern a 39 Ziff. 5, 6, Ba- 
den § 3 Abs 2; besonders in Oesterreich und in 
der Schweiz, darüber Finger, Oesterr. Strafrecht 
1 381, v. Martitz 1 27), auch zurückliegende und im 
Auslande begangene. Es wird sich nur um schwerere 
Berfehlungen oder um solche handeln können, 
die eine besondere Immoralität erkennen lassen; 
nur einen Anhalt bieten die Auslieferungsdelikte. 
Es genügt i. allg. Verdacht der Tat; der Verdacht 
muß aber hinreichend begründet sein, da die A. 
nicht dazu dienen soll, dem Zufluchtsstaate Um- 
  
  
  
stände und Kosten des Strafverfahrens zu ersparen. 
Die Verbüßung der Strafe ist ebensowenig ein 
Hindernis wie die Verjährung der Strafverfol- 
gung. Wohl aber wird eine Begnadigung auch 
die A. ausschließen, insofern sie nicht etwa unter 
der Voraussetzung gewährt ist, daß der Begna- 
digte das Staatsgebiet freiwillig verläßt. Bayern 
à 39 Ziff. 8 erwähnt besonders den Fall, daß im 
Gemeindcbezirke die öffentliche Sicherheit durch 
eine Handlung gestört wurde, zu deren Unter- 
drückung das Aufgebot der bewaffneten Macht 
erfolgte oder gesetzlich zulässig war; dann können. 
Personen, die auch nur zu der Störung aufgefor- 
dert haben, für die Dauer eines Jahres wegge- 
wiesen werden, solange die Störung dauert oder 
eine Wiederholung zu befürchten ist (auszudehnen 
sogar auf Personen, die einer Beteiligung an der 
Störung dringend verdächtig sind und weder 
ständigen Arbeitsverdienst noch ausreichende Un- 
terhaltsmittel haben). 
3. Eine Gefahr für die öffentliche 
Ordnungez. B. mangelnder Ausweis (Bayern 
39 Ziff. 1, Baden 3 Abs 3), namentlich aber für 
Gesundheit (z. B. Abkommen gegen Pest usw. 
3. 12. 03 à 37, Rö 07, 452) und Sittlich- 
keit (Dirnen: Bayern a# 39 Ziff. 7), Konkubinat, 
Verwahrlosung der Kinder, die Zwangserziehung 
nötig machen würde; Verbreitung unmoralischer 
Lehren, nicht jedoch Zugehörigkeit zu einer be- 
stimmten Religion, es sei denn daß diese mit den 
Grundlagen unserer Kultur im unlösbaren Wider- 
streite liegt (z. B. Betätigung als Mormonen- 
priester; mehrere Fälle aus dem diplomatischen 
Verkehre zwischen den Verein. Staaten und Preu- 
ßen erwähnt Mvore IV 5 556). In diese Gruppe 
wird auch die Zigeunerplage zu zählen sein (preuß. 
Min V v. 27. 2. 06, MBl 54). 
4. Eine soziale oder wirtschaft- 
liche Gefahr ist mit Vorsicht zu würdigen, 
damit nicht bloße Abwehr wirtschaftlichen Wettbe- 
werbs geargwöhnt wird: A. von Bettlern, über- 
haupt Abweisung wegen Mittellosigkeit (Bayern 
39 Ziff. 2, 3, 4, Baden 3 Abs 3, gegen russische 
Staatsangehörige bayer. Min E 19.2.75, Sachsen 
Min V 7. 12. 93) IJ Landwirtsch. Arbeiter!]. 
III. Mußergewöhnliche Umstände recht- 
fertigen die A. noch in anderen Fällen. 
1. So in Friedenszeiten als Retorsion 
oder Repressalie, wie es Bayern 44 Abs 3, weniger 
deutlich Baden bestimmen. Die Handhabung dieser 
Maßnahme durch den Einzelstaat ist politisch be- 
denklich. Rechtlich ist auch dem Reiche eine Zu- 
ständigkeit beizulegen (oben § 2 III). 
2. Im Kriegs falle ist die (Massen-)A. 
der Angehörigen des feindlichen Staates bloß 
um der Zugehörigkeit willen zwar oft angegriffen, 
aber doch völkerrechtlich zulässig (so auch Entw 
des Instituts 24), sofern sie nicht ausdrücklich weg- 
bedungen ist, wie in einigen Freundschaftsver- 
trägen des Reiches mit amerikanischen Staaten 
(Mexiko 5. 12. 82 a 16, Guatemala v. 20. 9. 87 
a 11, Honduras 12. 12. 87 a 11, Columbia 23. 7. 
92 alo0, Nicaragua 4. 2. 96 a 1). Die Anwendung 
dieser A. wird man allein dem Reiche einräumen 
dürfen; denn sie steht im engen Zusammenhange 
mit der Kriegführung, die sich den Feind nicht im 
Rücken halten will. Sie muß also auch dem mit der 
Kriegsleitung betrauten Organe (RVallgzustehen. 
Die Fragen sind in der Literatur nicht erschöpft.
	        
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