Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

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Geschäfte, ohne Befugnisse als selbständiges 
Staatsorgan zu haben (Verf # 30, 31). 
II. Wirkungskreis: Der Senat besorgt 
einen Teil der Staatsgeschäfte im Zusammen- 
wirken mit der Bürgerschaft (darüber § 6). Da- 
neben hat er einen eigenen Wirkungskreis als 
„Regierung" des Staates (Verf § 57). Während 
die Bürgerschaft nur beschließendes Organ ist, ist 
der Senat das handelnde Organ des Staates. 
Er hat die oberste Leitung des Staatswesens; die 
Sorge für seine Sicherheit und gedeihliche Fort- 
entwicklung. Er vertritt den Staat nach außen, 
auch in seinen Rechten im Deutschen Reich. Im 
Innern hat er die Oberaufsicht über alle Behör- 
den und Beamten; er übt die Rechte des Staates 
in kirchlichen Angelegenheiten aus, das Begna- 
digungsrecht in Strafsachen. Er besorgt die aus- 
wärtige Verwaltung und die Polizeiverwaltung 
alein ohne Mitwirkung der Bürgerschaft (unten 
9 Iu. II. 
s 5. Die Bürgerschaft, I. Zusammen- 
setzung (Verf # 38 ff: G die Bürgerschaft betr. 
K&# 1—15). Die Bürgerschaft besteht aus 150 Mit- 
gliedern, die auf 6 Jahre gewählt werden bei 
halbschichtiger Erneuerung, so das alle 3 Jahre 
die Hälfte der Vertreter ausscheidet. Das Wahl- 
recht ist ein allgemeines. Wähler und wählbar 
sind alle über 25 Jahre alten Staatsbürger, die 
mindestens 2 Jahre zuvor den Staatsbürgereid 
geleistet und sich seit 3 Jahren nach vollendetem 
21. Lebensjahr im Besitz der Bremischen Staats- 
angehörigkeit befunden haben (G v. 26. 2. 04). 
Ausgenommen sind Mitglieder des Senats; ferner 
zählt das Gesetz einige besondere Ausschließungs- 
gründe auf, wie Stellung unter Vormundschaft, 
Konkurs, Armenunterstützung u. a. (G die Bür- 
gerschaft betr. 88 3, 15). 
Das Wahlrecht ist kein gleiches. Aus der Masse 
der Wähler sind einige Wahlklassen teils nach der 
Bildung, teils nach dem Beruf der Wähler heraus- 
gehoben, während der Rest der Wählerschaft in 
weiteren nur nach dem Wohnsitz abgeteilten 
Klassen das Wahlrecht ausübt. Jeder Wahlklasse 
sind durch das Gesetz eine bestimmte Anzahl von 
Vertreterstellen zugewiesen. Das Gesetz sieht 8 
Wahlklassen vor: 1. Die 1. Klasse besteht 
aus den in der Stadt B. wohnenden Bürgern, 
die „auf einer Universität gelehrte Bildung“ er- 
worben haben, sie wählt 14 Vertreter. 2. Die 
2. Klasse bilden die den Kaufmannskonvent bil- 
denden Großkaufleute; sie wählt 40 Vertreter. 
3. Die 3. Klasse bilden die Teilnehmer des Ge- 
werbekonvents, mit 20 Vertretern. 4. Die 4. 
Klasse besteht aus allen in der Stadt B. wohnen- 
den Bürgern, die weder zu einer der 3 vorher- 
gehenden, noch zur 7. Klasse gehören; sie wählt 
52 Vertreter. 5. Die 5. Klasse bilden die in der 
Stadt Vegesack wohnenden Bürger, mit 4 Ver- 
tretern. 6. Die 6. Klasse bilden die in Bremerhaven 
wohnenden Bürger, mit 8 Vertretern. 7. Die 
7. Klasse besteht aus den zu der Kammer für Land- 
wirtschaft wahlberechtigten Landwirten, mit 8 
Vertretern. 8. Die 8. Klasse umfaßt alle zu keiner 
andern Klasse gehörenden Bürger des Land- 
gebiets, mit 4 Vertretern. 
Die ersten 3 Klassen bilden je einen Wahlkör- 
per; die andern Klassen sind wieder in örtliche 
Bezirke geteilt, die jeder einen Vertreter bei den 
regelmäßigen Ergänzungswahlen wählen. Für 
Bremen 
  
  
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die Einteilung in Klassen und Bezirke gelten die 
Grundsätze: 1. Niemand darf das ihm etwa in 
mehreren dieser Abteilungen zustehende Wahl- 
recht in mehr als einer ausüben; 2. der Vertreter 
braucht nicht der Klasse oder dem Bezirke anzu- 
gehören, von dem er gewählt wird. Das Wahl- 
system, das in seinen Grundzügen seit 1854 be- 
steht, ist hiernach kein einheitliches, eine Mischung 
von Wahlen nach Bildung und Berufsstand und 
allgemeinem, gleichem Wahlrecht. Die Heraus- 
hebung der Gelehrtenklasse, die vorwiegend Ju- 
risten zu Vertretern wählt, und der Berufsklassen 
hat ihre besondere Bedeutung bei den vielfachen 
Verwufgaben der Bürgerschaft, da sie eine Ge- 
währ dafür bietet, daß stets hinreichend durch 
Kenntnisse und Erfahrung dazu geeignete und 
befähigte Mitglieder vorhanden sind. 
Die Wahl ist geheim; es entscheidet absolute 
Stimmenmehrheit; erforderlichenfalls findet eine 
Stichwahl statt. Die Leitung liegt in den Händen 
der Wahldeputation. 
II. Geschäftsgang. Entsprechend ihrer 
verfassungsmäßigen Gleichstellung mit dem Senat 
ist die Bürgerschaft auch in ihrer Tätigkeit von ihm 
unabhängig. Ihm steht nicht das Recht zu, die 
Bürgerschaft aufzulösen. Sie ist perennierendes 
Organ ohne Legislatur- und Sitzungsperioden. 
Sie versammelt sich selbst auf Einladung des 
Bürgeramtes, das aus dem Geschäftsvorstand der 
Bürgerschaft und 18 weiteren Vertretern gebildet 
wird (Verf § 46). Die Geschäftsformen sind die 
parlamentarisch üblichen. Wichtig ist, daß die 
Wahlen in Ausschüsse — Kommissionen, Depu- 
tationen (unten § 6) — nicht von der Bürgerschaft 
im Ganzen, sondern in Abteilungen, von den Ver- 
tretern der einzelnen Wahlklassen, von denen sie 
in die Bürgerschaft gewählt sind, gesondert, vor- 
genommen werden. 
§#6. Gemeinschaftliche Wirksamkeit von Senat 
und Bürgerschaft. Gegenstände derselben sind 
alle Staatsaufgaben, die nicht dem Senat allein 
zugewiesen sind (oben § 4), also die Gesetzgebung 
und aus der Verwaltung vor allem das gesamte 
Finanzwesen im weitesten Sinne, die Verwaltung 
aller staatlichen und stadtbremischen Anstalten, 
Häfen, Eisenbahnen, das Schulwesen u. a. Diese 
gemeinschaftliche Wirksamkeit wird ausgeübt ent- 
weder durch Beschlüsse des Plenums jeder der 
beiden Organe, die stets getrennt beraten und be- 
schließen, oder durch die Deputationen (Verf #(59). 
Die Deputationen sind nach dem Sprach- 
gebrauch der Brem. Verfassung gemeinschaft- 
iche Ausschüsse von Senat und Bürgerschaft. 
Grundsätzlich können nur Mitglieder dieser beiden 
Kollegien stimmberechtigte Mitglieder von Depu- 
tationen sein (Verf § 60). Unterschieden werden 
beratende und verwaltende Deputationen. Erstere 
sind parlamentarische Ausschüsse zur Vorbereitung 
der Plenarbeschlüsse; die verwaltenden Deputa- 
tionen dagegen stehen selbständig als Verw Behör- 
den an der Spitze der einzelnen Verw Zweige der 
gemeinsamen Wirksamkeit (vgl. unten § 9 IV). 
Sie geben der Bremischen Staatsverwaltung das 
eigenartige Gepräge. Als Ausschüsse der beiden 
höchsten Organe im Staat haben sie eine andere 
Rechtsstellung als ähnliche kommunale Selbst- 
verwaltungsorgane. Sie sind nur ihren beiden 
Kommittenten subordiniert; der Senat hat über 
ihre Tätigkeit nur ein formelles Oberaufsichtsrecht 
  
 
	        
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