Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

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Das katholische Kirchenrecht hat zwei Arten der 
Erteilung von D. ausgebildet. Die regelmäßige 
Art ist die in forma commissoria, d. h. es wird dem 
Bischof des Bittstellers oder einem anderen kirch- 
lichen Oberen die Ermächtigung gewährt, als 
päpstlicher Delegat, nach Untersuchung des vor- 
getragenen Tatbestandes und nach Feststellung 
der die D. bedingenden oder besonders vorge- 
schriebenen Voraussetzungen, dieselbe zu erteilen. 
Nur ausnahmsweise (namentlich bei regierenden 
Fürsten und Bischöfen) erfolgt ihre Gewährung 
unmittelbar und direkt an den Gesuchsteller, d. h. 
in forma gratiosa. 
Darüber, ob die D. entgeltlich oder unentgelt- 
lich erteilt werden, finden sich für das staatliche 
Recht keine allgemeinen Bestimmungen. Das 
Kirchenrecht hält zwar an dem Grundsatz der Un- 
entgeltlichkeit fest. Indessen hat die römische Kurie 
die hierher gehörige Vorschrift des Trienter Kon- 
zils (8. XXII c. 5 de ref.) bloß als Verbot eines 
Aequivalentes für die D. selbst aufgefaßt, nicht 
aber auf die Entrichtung von Kanzleigebühren (an 
die betreffenden Expeditionsbehörden und ihre 
Beamten) für die Dispensschreiben und auf die 
Forderung von Kompositionen, welche von der 
zu häufigen Nachsuchung von D. abhalten sollen 
und bestimmten frommen Anstalten in Rom zu- 
fließen, bezogen. Ebensowenig ist in den evange- 
lischen Landeskirchen das Prinzip der Unentgelt- 
lichke.t ausnahmslos durchgeführt. 
#m5. Boraussetzung der Gültigkeit. Das ka- 
nonische Recht erklärt im Anhalt an das römische 
eine D. oder ein D. Mandat für absolut nichtig, 
wenn die Erteilung durch Sub= oder Obreption 
erlangt worden ist, d. h. sei es durch absichtliche 
Verschweigung von solchen Umständen, sei es 
durch Erdichtung oder wahrheitswidrige Entstel- 
lung von solchen Tatsachen, von denen nach kirch- 
lichem Recht und der Praxis der Kurie die Be- 
willigung oder Versagung der erbetenen D. ab- 
hängt. Diese für jedes päpstliche Restript in 
Gnadensachen sich von selbst verstehende, seine 
Gültigkeit bedingende Voraussetzung (si preces 
veritate nitantur) hat aber keine Bedeutung für 
die sog. D. motu proprio, weil deren Wesen darin 
besteht, daß sie losgelöst von den vom Bittsteller 
angegebenen Gründen und unabhängig davon 
erteilt wird. Ein unmittelbare Uebertragung 
dieser Grundsätze auf das staatliche Gebiet und 
auch auf das der evangelischen Kirche dürfte nicht 
statthaft sein, da dieselben mit dem ausgebrei- 
teten D. Wesen und der infolgedessen bis in 
die Einzelheiten durchgebildeten D. Praxis der 
katholischen Kirche zusammenhängen. Positive 
staatsrechtliche Normen fehlen ganz, jedenfalls 
wird man aber eine D. auch nach staatlichem und 
evangelischem Kirchenrecht für nichtig erklären 
müssen, wenn sie von der Wahrheit der zu ihrer 
Erlangung behaupteten Tatsachen ausdrücklich 
abhängig gemacht worden ist. 
#5 6. Wirkung der Dispensation und Wieder- 
beseitigung ihrer Wirkung. Die D. führt von 
der Zeit ihrer Erteilung ab eine Suspension des 
betreffenden Rechtssatzes auf den in Frage stehen- 
den Tatbestand für die Zukunft herbei, nicht aber 
rückwärts, so daß also der in der Vergangenheit 
liegende Zustand ein nicht dem Gesetze entspre- 
chender bleibt. Das verkennen die in 8 1 be- 
kämpften Ansichten, welche den Begriff der D. 
  
  
Dispensation 
  
weiter stecken wollen und einen praktischen Unter- 
schied zwischen den verschiedenen Meinungen 
leugnen. Ein solcher tritt allerdings nicht hervor, 
wenn es sich um Akte des obersten Gesetzgebers 
handelt, aber sofort, sofsern in einzelnen Fällen 
von diesem die Befugnis delegiert worden ist. 
Wer unter den Begriff der D. auch die Aufhebung 
der aus einem Rechtssatz schon eingetretenen 
Wirkungen zieht, muß dann den unteren Organen 
auch die Befugnis gewähren, diese Aufhebung 
herbeizuführen, so z. B. den nach dem BGB 5 1322 
mit der Befreiung von Ehehindernissen betrauten 
Landesregierungen und den von diesen dele- 
gierten Behörden (z. B. in Preußen dem Justiz- 
minister) auch das Recht zugestehen, eine in Ge- 
mäßheit des & 1312 zwischen dem geschiedenen 
Ehebrecher und seinem Mitschuldigen nichtig ge- 
schlossene Ehe nach ihrer Schließung von Anfang 
an zu einer vollgültigen zu machen. Davon kann 
indessen keine Rede sein, wie denn auch das katho- 
lische Kirchenrecht gerade, weil es den engeren 
Begriff der D. festhält, für Fälle, wo die Möglich- 
keit ausgeschlossen ist, daß nichtig eingegangene 
Ehen durch nochmalige Eingehung nach erteilter 
D. gültig werden können, die besonders geartete, 
sich als eine, eine solche Ehe durch Spezialgesetz 
heilende, also die eingetretenen Wirkungen der 
Nichtigkeit beseitigende, sog. dispensatio in radice 
matrimonü entwickelt hat. 
Die Wirkung der D. tritt ohne weiteres ein. Es 
ist also eine Annahme seitens des Begünstigten 
nicht erforderlich, und ebensowenig kann der Ver- 
zicht desselben ihr die Wirkung nehmen. Die durch 
den Gesetzgeber vorgenommene Suspension des 
objektiven Rechts ist unabhängig von dem Ver- 
halten des Dispensierten, welchem über dasselbe 
keine Macht zusteht. Auch eine subjektive oder 
konkrete Berechtigung, auf welche derselbe ver- 
zichten könnte, erwächst ihm aus der D. nicht, und 
wenn gesagt worden ist, daß das Recht, von der 
D. Gebrauch zu machen, ein solches subjektives 
Recht sei Friedberg, Lehrb. 275 N. 2) und 
daß, wenn jemandem D. von dem Ehehindernis 
zu naher Verwandtschaft erteilt worden, ihm die 
Berechtigung erwachse, eine Ehe mit einer nahen 
Verwandten zu schließen, so wird dabei übersehen, 
daß der sog. Gebrauch der D. nichts anderes als 
das faktische Herbeiführen des Tatbestandes ist, 
auf welchen der an sich anwendbare Rechtssatz 
wegen der D. keine Wirkung äußert, und selbst 
nicht einmal eine solche haben kann, selbst wenn der 
Berechtigte auf die D. verzichten wollte, und fer- 
ner wird Berechtigung einmal in dem vulgären 
Sinne von Vornahme einer rechtsgültigen Hand- 
lung, das andere Mal in dem technischen Sinne 
eines konkreten Rechts gebraucht. Ebensowenig 
wie es eine subjektiv-konkrete Berechtigung ist, 
eine Ehe gemäß dem allgemein geltenden Recht 
zu schließen, ist und kann es eine solche sein, 
eine Ehe trotz eines sonst obwaltenden, aber im 
speziellen Fall durch D. gehobenen Ehehinder- 
nisses einzugehen, weil es in beiden Fällen ledig- 
lich das objektive Recht ist, welches dicselben ver- 
schieden qualifiziert. 
Aus dem Wesen der D. als einer auf dem Willen 
des Gesetzgebers beruhenden Gnade folgt weiter, 
daß derselbe die D. jeden Augenblick widerrufen 
kann. In diesem Fall äußert der bis dahin sus- 
pendierte Rechtssatz von neuem seine Wirkung auf
	        
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