Disziplin (Dienstvergehen)
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Zulässigkeit disziplinaren Einschreitens auch wegen
Handlungen, die ein aus dem aktiven Dienst ausge-
schiedener B begangen hat, beruht auf der Erwä-
gung, daß, wenn auch das Dienstverhältnis gelöst ist,
der Pensionär doch seine BEigenschaft nicht ver-
loren hat, diese vielmehr in der Weiterführung
des Amtstitels und in dem Bezug eines staatlichen
Ruhegehalts fortdauernd zum Ausdruck gelangt.
Im Reiche und in Preußen können da-
gegen Handlungen, die ein B nach dem Ueber-
tritt in den dauernden Ruhestand begeht, niemals
zum Gegenstand einer Disziplinarbestrafung ge-
macht werden. Zwar hat der B, auch nachdem
das Dienstverhältnis aufgelöst ist (vgl. 5 11 RB0O),
eine Verschwiegenheit zu beobachten;
allein die Verletzung dieser Pflicht ist nicht mit
Strafe bedroht.
#§# 6. Dienstvergehen, die zugleich gegen das
Strafgesetz verstoßen. Der Begriff des Dienst-
vergehens (oben §# 1 und 3) liegt an sich außerhalb
jeder Beziehung zu dem gesetzlichen Tatbestande
eines strafrechtlich verfolgbaren Vergehens
oder Verbrechens. Gleichwohl sind der diszipli-
naren Verfolgung von Dienstvergehen, die zu-
gleich unter das Strafgesetz fallen, gewisse Schran-
ken gesetzt:
a) Verhältnis des Disziplinar-=
verfahrens zu einem schwebenden
gerichtlichen Strafverfahren. Die
Einleitung eines Disziplinarverfahrens muß un-
terbleiben und ein bereits eingeleitetes Verfahren
ausgesetzt werden, wenn wegen der nämlichen
Tatsachen eine gerichtliche Untersuchung einge-
leitet ist (Bayern: wenn in einem strafrechtlichen
Verfahren die öffentliche Klage erhoben oder in
einem militärgerichtlichen Verfahren die Anklage
verfügt worden ist, BG a 115). Diese Vorschrift
gründet sich auf die Erwägung, daß es sowohl im
Interesse des B wie in dem der Strafrechtspflege
liegt, wenn nicht dieselbe Handlung zum Gegen-
stand einer doppelten Untersuchung gemacht wird,
daß ferner das strafgerichtliche Verfahren in vie-
len Fällen von entscheidender Bedeutung für das
Disziplinarstrafverfahren sein kann (s. unter b
und c). Dagegen hindert diese Vorschrift an und
für sich nicht die Einleitung eines Disziplinarver-
fahrens auch wegen einer zugleich im gemeinen
Strafrecht vorgesehenen Handlung, die sich als
Dienstvergehen kennzeichnet, solange eine
Untersuchung vor dem Strafrich-
ter noch nicht eingeleitet ist. In-
dessen wird die Disziplinarbehörde in der Regel
der Staatsanwaltschaft Kenntnis zu geben haben,
wenn sich im Laufe des Disziplinarverfahrens
herausstellt, daß der Fall sich zur strafgerichtlichen
Verfolgung eignet.
b) Disziplinarverfahren im Fall
eines vorausgegangenen strafsgec-
richtlichen Urteils.
1. Im Fall der Freisprechung findet
wegen derjenigen Tatsachen, die in der gericht-
lichen Untersuchung zur Erörterung gekommen
sind, ein Disziplinarverfahren nur noch insofern
statt, als diese Tatsachen an sich und ohne ihre Be-
ziehung zu dem gesetzlichen Tatbestande der straf-
baren Handlung, die den Gegenstand der Unter-
suchung bildete, ein Dienstvergehen enthalten.
Die Vorschrift beruht auf der Erwägung, daß es
dem Wesen des Disziplinarstrafverfahrens wider-
sprechen würde, wenn es dazu benutzt werden
könnte, eine Strafe nachzuholen, die der Straf-
richter zu verhängen abgelehnt hat. Als Beispiel
für die Ausnahme kann dienen, wenn der B wegen
Vergehens wider die Sittlichkeit angeklagt war,
jedoch freigesprochen wurde, weil nicht alle Merk-
male für den strafrechtlichen Tatbestand gegeben
waren, immerhin aber eine — zwar nicht krimi-
nell strafbare, aber — ärgerniserregende, den An-
stand verletzende Handlung vorlag. Oder wenn
ein B angeklagt war, amtliche Gelder unterschla-
gen zu haben (5 350 Ste#B), aber freigesprochen
wird, weil die Aneignung der amtlichen Gelder
nicht erwiesen wurde; hier könnte immerhin noch
wegen unordentlicher Kassenführung, Mangels
an Sorgfalt in der Ansbewahrung der Gelder im
Disziplinarwege eingeschritten werden.
2. Ist eine Verurteilung erfolgt, die
den Verlust des Amtes kraft Gesetzes nach sich
zieht (Is 31, 33, 35 StB; Preußen ##.7 Diszi-
plinarG, wonach auch die Verurteilung zu einer
Gefängnisstrafe von längerer als einjähriger Dauer
den Verlust des Amtes von selbst zur Folge hat)
oder die direkt den Verlust des Amtes ausspricht
(&& 81, 83, 84, 87—91, 94 95 StGVB), so ist für
ein nachfolgendes Disziplinarverfahren kein Raum
mehr. In allen anderen Fällen der straf-
gerichtlichen Verurteilung kommt dagegen der
Grundsatz der Selbständigkeit des Disziplinar-
verfahrens gegenüber dem strafgerichtlichen Ver-
fahren zur Geltung, wonach die kriminelle Be-
strasung nicht ausschließt, daß der B wegen der-
selben Handlung oder Unterlassung auch noch
disziplinarisch zur Verantwortung gezogen wird.
Im letzteren Falle ist streitig, ob der Dis-
ziplinarrichter an die tatsächli-
chen Feststellungen des Strafrich-
ters gebunden ist: In Preußen wird
die Frage vom Staatsministerium und dem
Großen Disziplinarsenat des Kammergerichts
verneint, dagegen vom Oberverwaltungsgericht
(in Uebereinstimmung mit dem Kaiserlichen Dis-
zipinarhofe und dem Disziplinarhof für die Schutz-
gebiete) bejaht. Das Badische BG hat die
Frage zugunsten der Gebundenheit des Diszi-
plinarrichters entschieden (&§ 86 Abs 3). Wo aber,
wie in Preußen und im Reiche, eine gesetzliche
Regelung der streitigen Frage nicht stattgesunden
hat, da muß der Grundsatz der Unabhängigkeit
des Disziplinarverfahrens vom Strafverfahren
gewahrt und der Disziplinarrichter als sowohl be-
fugt wie verpflichtet erachtet werden, den Tatbe-
stand nach seinem freien Ermessen zu beurteilen.
87. Berjährung der Dienstvergehen. Weder das
RB# noch die Gesetze der Bundesstaaten kennen
eine Verjährung; denn das Interesse an der Rein-
haltung des Beamtenstandes erfordert es, daß die
Möglichkeit der Ausschließung unwürdiger Elemente
jederzeit gegeben sei. In Bayern verjährt aller-
dings die disziplinare Verfolgung von Dienstver-
gehen in fünf Jahren (Bé3, RichterdG a 2);
jedoch soll um zu verhüten, daß ein B wegen einer
Handlung nocl strafrechtlich verfolgt und möglicher-
weise zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt
wird, während ein dienstliches Einschreiten wegen
der gleichen Handlung ausgeschlossen wäre, die
Verfolgung des Dienstvergehens nicht verjähren,
solangc nicht auch die Strafverfolgung der Straf-
tat verjährt ist