Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Domkapitel und Stifter 
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für die Geistlichen, welche an einer Kirche den alten 
canones entsprechend leben wollten. 
Solche Kirchen mit notwendig mehreren Geist- 
lichen waren nun aber die Kollegiat= und 
Domkirchen. 
Im Mittelalter waren die Stifte eine regel- 
mäßige Erscheinung, geradezu die Hauptzentren 
der städtischen Seelsorge. Die berühmtesten Pfarr- 
kirchen waren Stiftskirchen, deren Geistliche 
ebenso wie die Domgeistlichen ein kanonisches oder 
gemeinsames, dem klösterlichen ähnliches Leben 
führten, also Kanoniker waren. 
Die vita canonica, welche in alter Zeit ein ge- 
meinschaftliches Wohnen und Essen bedeutete, und 
nur eine Folge der frühchristlichen Gesamtwirt- 
schaft und Verw Gemeinschaft war, und die sich 
dann in ein klosterähnliches Leben verwandelt 
hatte, lockerte sich vom 11.—13. Jahrhundert aber 
mehr und mehr. Bei dem wachsenden Reichtum 
der Kirche und dem Weltsinn der Kleriker entwik- 
kelte sich der Wunsch nach Teilung, während Pöschl 
umgekehrt die Abschichtung durch Präbenden 
gerade als eine Folgeerscheinung der vita commu- 
nis begreift und in ihr eine Reaktion gegen die 
Verweltlichung des Kirchengutes erblickt. An 
Stelle des einheitlichen Einnahmeverbands trat 
das Pfründesystem mit seinen Dompräbenden, 
an Stelle eines intensiven Gemeinschaftsgottes- 
dienstes ein beschränktes Chorgebet (an diesem 
kanonischen Chorgebet erhielt sich der Name 
Kanoniker), wobei für Stellvertretung durch 
eigene Vicarü (Dompvikare) gesorgt wurde. 
Seitdem ein Zusammenleben nach der regula 
nicht mehr erforderlich ist, unterscheidet man 
canonici regulares und saeculares. 
3. Im Jahr 1215 erhielten die D. das Recht 
der Bischofswahl (unten § 4), und durch Wahlka- 
pitulationen wußten sie ihren Einfluß noch mehr 
zu steigern. In den geistlichen Fürstentümern. 
hatten sie die Funktion der Regierung. 
4. Die Säkularisation 1803 vernichtete die Bis- 
tümer und D.; neu errichtet haben diese jetzt 
einen rein kirchlichen Charakter. 
Die wenigen Kollegiatstifter der Neuzeit haben 
keine praktische Bedeutung mehr:; deshalb be- 
schränkt sich die folgende Darstellung auf die 
Domkapitel. 
# 2. Berfassung. Die Kapitelsverfassung ist 
der Klosterverfassung nachgebildet. So erklären 
sich die beiden Dignitäten (Propst, Dekan), 
die Personate (Scholastikus, Primicerius, 
Custos usw.) und die Offizien des Theologen und 
Pönitentiar, wobei der erstere den Bischof im 
Lehramt, der andere in der Verwaltung des Buß- 
sakraments vertritt. 
Der Propst, anknüpfend an den Archidiakon, 
ist im allgemeinen der rechtliche Vertreter und 
Verwalter, während sich dann der Dekan an die 
Stellung des Archipresbyter anlehnt und der 
Leitung des Chordienstes widmet. Dieses und 
anderes bestimmt sich nach den Statuten. Denn 
die D. haben Autonomie, und zwar heute nach 
Maßgabe der Zirkumstriptionsbullen und anderen 
staatlichen Abmachungen mit Rom, welche nach 
der großen Sakularisation, als alle D. in Deutsch- 
land neu errichtet werden mußten, nötig gewor- 
den sind. Die Missionsbistümer haben keine 
Domkapitel. 
Manche D. haben die beiden Dignitäten, andere 
  
nur den Dekan, der dann die beiden Funktionen 
vereinigt. Die D. haben außerdem eine Zahl von 
Domkapitularen (10—4) und Domvikaren oder 
Präbendaten (8—2), welche letztere zwar nicht 
zum D. gehören, aber zur Aushilfe im Chordienst 
bestellt und deshalb zum Kapitel in Verbindung 
gesetzt sind. Es gibt übrigens mancherorts auch 
noch Ehrendomherrn. 
3. Stellenbesetzung. An Stelle der gemein- 
rechtlichen collatio simultanea von Bischof und 
Kapitel gelten in den deutschen Staaten beson- 
dere Vereinbarungen. 
Die Vikarsstellen werden durch den Bischof 
frei besetzt. Im übrigen gilt folgendes: In 
Preußen besteht Kgl Nominationsrecht be- 
züglich der Propsteien und derjenigen Kanoni- 
kate, die in den ungleichen oder päpstlichen Mo- 
naten (Januar, März usw.) frei werden. Auf 
Grund, aber ohne Erwähnung dieser Nomina- 
tion, stellt dann der Papst die Verleihungsurkunde 
aus. In allen anderen Fällen besteht freies Be- 
setzungsrecht des Bischofs. Nur muß in Breslau 
und Münster je eine Kanonikatspfründe an einen 
Professor der dortigen theologischen Fakultät ver- 
liehen werden. In Hannover und derober- 
rheinischen Kirchenprovinz ist der 
Regierung eine Liste von 4 Kandidaten vorzu- 
legen, in welcher die mißliebigen Kandidaten ge- 
strichen werden können. Alternativ besteht bi- 
schöfliches Besetzungsrecht und Nominationsrecht 
des Kapitels. 
In Bayernwird der Propst auf Kgl Empfeh- 
lung vom Papst ernannt. Für das Dekanat und 
die in den päpstlichen Monaten frei werdenden 
Kanonikate hat der König das Nominationsrecht, 
welcher dann die kirchenbehördliche Amtsverlei- 
hung, und zwar seit 1824 des Bischofs, folgt, wäh- 
rend für die übrigen 6 Monate zur Hälfte bischöf- 
liche Verleihung, zur Hälfte Kapitelsernennung 
vorgesehen ist, welch letzterer wiederum die bischöf- 
liche insritutio zu folgen hat. 
In Elsaß-Lothringen besetzen die Bi- 
schöfe sämtliche Stellen — unter staatlicher Be- 
stätigung. 
#§s4. Aufgabe. Die Aufgabe der D. hat sich aus 
dem den Bischof umgebenden und beratenden 
Presbyterium der alten Kirche entwickelt. Dar- 
nach bildet das D. für den Bischof ähnlich wie das 
Kardinalkollegium für den Papst den beratenden 
Senat. Der Bischof hat für eine Anzahl von Verw- 
Geschäften den Rat des D. oder wenigstens zweier 
Kapitulare einzuholen, während er für andere An- 
gelegenheiten sogar der Zustimmung des D. bedarf. 
Regierungsstelle ist das D. bei besetztem bischöf- 
lichem Stuhl niemals, wohl aber finden die ein- 
zelnen Kapitulare in der bischöflichen Regierung 
Verwendung. Nach bayerischem Konkordat (a 3) 
ist das sogar notwendig und kann es hier dem- 
gemäß beschäftigungslose Kanoniker nicht geben. 
Die Zuweisung der Geschäftssparte erfolgt übri- 
gens auch hier nach vollkommen freiem Ermessen 
des Bischofs (a 12 lit. a). Nur sede vacante wird 
das D. capitulum regnans, muß aber innerhalb 
8 Tagen aus seiner Mitte einen Vertreter (Ka- 
pitularvikar) wählen, also einen besonderen Bis- 
tumsverweser bestellen, der vom Kapitel gerade 
so unabhängig ist wie der Bischof, in dessen Juris- 
diktionsstellung er mit unbedeutender Minderung 
einrückt. Das wichtigste Recht der D. ist das Recht
	        
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