Donauschiffahrt
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des Verkehrsrechts kann vom Standpunkt parti-
kularer Interessen auf die Dauer nicht abgelehnt
werden. Es handelt sich in der Tat um die prin-
zipiell wichtige Frage, ob der Standpunkt des
Wiener Kongresses dem hier in Betracht kommen-
den internationalen Interesse in den Ufer-
staatenkommissionen die unter allen
Umständen hinreichenden internationalen Mittel
zur Verfügung gestellt hat, oder ob die Ansätze
einer Weiterbildung dieser Mittel, die in dem
Pariser Bt vom Jahre 1856, ferner in den Ver-
trägen von 1878 (Berlin) und 1883 (London)
bezüglich der Donau, und in der Kongoakte 1885
bezüglich des Kongo enthalten sind, durchgreifende
Beachtung beanspruchen. Ersteres dürfte zu ver-
neinen sein im Hinblick auf die praktischen Be-
dürfnisse, welche bei der Regelung der Verhält-
nisse an der Donau, soweit sie schiffbar ist (und
am Kongo) hervortraten; für letzteres sprechen die
schon oben geltend gemachten Gesichtspunkte in
der Beurteilung des Völkerrechts zur Zeit des
Wiener Kongresses, und des Geistes, von dem die
Kollektivakte der Mächte seit dem Pariser Kongreß
bei der Lösung internationaler Probleme be-
herrscht sind. Jedenfalls handelt es sich heute um
einen erhöhten und gegenüber partikularen In-
teressen durchgreifenden internationalen Schutz
der Freiheit der Flußschiffahrt; zu diesem Zwecke
müssen von den unmittelbar beteiligten Staaten
unabhängige Organe zur Verfügung stehen.
Es ist oben bemerkt worden, daß die Signatar-
mächte des Pariser Vertrags von 1856 die Schiff-
fahrts O v. 7. 11. 57 unter anderem aus dem
Grunde nicht genehmigt hatten, weil den Nicht-
uferstaaten die Binnenschiffahrt versagt wurde.
Man hat diesen Standpunkt der Uferstaaten neben
anderen Argumenten auch damit rechtfertigen
wollen, daß der Grundsatz der absoluten Freiheit
der Schiffahrt aller Flaggen im Pariser Vertrag
nicht anerkannt werden wollte; es fehle eine all-
gemeine formelle Anerkennung dieses Grund-
satzes. Allein gegen diese Ansicht spricht der Um-
stand, daß schon a 109 der Wiener Kongreßakte
eigentlich doch mur im Sinne voller Freiheit der
Schiffahrt auf internationalen Flüssen inter-
pretiert werden kann, wenn man erwägt, daß der
durch den Kongreß geschaffene Rechtszustand
offenbar einen Fortschritt gegenüber der Behand-
lung dieser Materie im letzten Dezennium des
18. Jahrhunderts bedeutet, wonach der Grundsatz
der Freiheit der Schiffahrt nur für die Ange-
hörigen der Uferstaoten anerkannt wurde (Haa-
ger Vt v. 16. 5. 1795 zwischen Frankreich und der
batavischen Republik, wo lediglich für die Schiffe
der Kontrahenten die Freiheit der Schiff-
fahrt auf dem Rhein, der Mosel, der Schelde
und den Nebenflüssen stipuliert wurde; Frieden
von Campo Formio v. 17. 10. 1797, wo den
Angehörigen der kontrahierenden Staa-
ten die Freiheit der Schiffahrt auf den Grenz-
flüssen und Kanälen der beiden Länder zugesichert
wird; aber auch Dekret des provisorischen Exe-
kutivrats des französischen Nationalkonvents v.
16. 11. 1792, wo der Grundsatz der Freiheit der
Schiffahrt ausgesprochen ist). Es scheint daher von
vornherein ausgeschlossen zu sein, den a 15 des
Pariser Vertrags von 1856 im Sinne der Nicht-
gleichstellung der Angehörigen der Uferstaaten
und der Nichtuferstaaten interpretieren zu können,
zumal auch der Wortlaut keinen Anhaltspunkt
für eine solche Interpretation bietet; ferner bieten
die Worte les principes (des Wiener Kongresses)
seront également appliqués au Danube et ses
embouchures auch keinen Anhaltspunkt für
eine Beschränkung der örtlichen Wirksamkeit des
Grundsatzes.
## 3. Die Donaufrage in den VBerhandlungen
des Institut de droft internatlonal. Anknüpfend
an die Entwicklung der Donaufrage seit dem Pa-
riser Frieden durch den Berliner Kongreß 1878
und die Londoner Konferenz 1883, und an die
Konflikte, die infolge der Beschlüsse dieser Kon-
ferenz hervorgetreten sind, hatte F. v. Mar-
tens im Sinne der Einwendungen gegen den
Standpunkt der Mächte in der Donaufrage die
Frage der Regelung der Schiffahrtsverhältnisse
der internationalen Flüsse vor das Institut de
droit international gebracht (Annuaire de Dlnst.
de dr. intern. VIII, 273 sq.). Nach v. Mar-
tens steht nur jene Regelung der Schiffahrts-
verhältnisse auf internationalen Flüssen in Ein-
klang mit dem heutigen Völkerrecht, insbesondere
mit der Gestaltung der internationalen Verwal-
tungsvereine, welche auf Vereinbarungen der
Uferstaaten beruht. Auf der Grundlage
dieser Anschauung hatte v. Martens in den
Verhandlungen des Institut (1878) einen Ent-
wurf einer Konvention vorbereitet (Annuaire IX,
167 sq.) — unter Berücksichtigung eines analo-
gen Entwurfs von Engelhardt (Annuaire
IX, 156 sd.). Die Beschlüsse des Institut (Projet
de réglement international de navigation flu-
viale — in 40 Artikeln) entsprechen dem v. Mar-
tensschen Entwurf (Annuaire IX, 182 sq.).
Indessen trat der oben vertretene Standpunkt in
den Verhandlungen namentlich in den Ausfüh-
rungen von Kamarovsky hervor, der für
die Notwendigkeit internationaler Kom-
missionen plädierte (Annuaire IX, 166) und zwar
insbesondere im Hinblick auf die hohe, wahrhaft
internationale Entwicklung des Verkehrs auf ein-
zelnen Strömen, ferner auf den vorhandenen
oder voraussichtlich hervortretenden Antagonis-
mus unter den Uferstaaten (wie dies an der un-
teren Donau tatsächlich der Fall ist). Kama-
rovsky sprach sich daher in prinzipieller All-
gemeinheit für internationale Kommissionen
aus, welche die Freiheit der Schiffahrt auf allen
internationalen Strömen zu überwachen und im
Kriegsfalle die Neutralität dieser Verkehrswege
zu sichern hätten.
Duellen: Eine ausführliche Aufzählung sämtlicher
Dokumente bei Strisower s. v. „Donauschiffahrt“ im
Oesterr. Staatswörterbuch, 1904; neuestens Stourdza,
Recuell des documents relatifs à la lliberté de navigation
du Danube. Berlin 1904; Fleischmann, Bölkerrechts-
quellen S 30, 53, 72, 94, 160, 171, 174.
Literatur bei Carath éodory in v. Holtzen-
dorffs HB d. Völkerr. 2, S 347, 348; Strisower in
dem zit. Artikel; Jellinek s. v. „Donauschiffahrt“ im
WStaatsW; Orban, Etude de drolt fluviale inter-
national 1896, 174 sa; Blociszewski, Le nouveau
Canal des Portes de Fer in Revue générale de Droit intern.
publie 1897, 104 so0; Bittel, Ueber dos Flußschiffahrts-
recht der Donaumündungen, 1899; Wittmack, Völler-
rechtliche Bedenken gegen die Einführung von Abgaben auf
die Flußschiffahrt, Arch OefsKR 1904, 145 ff. v. M##a##.