Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

Doppelbesteuerung (Reich) 
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II. Schranken durch Gesetz und 
Vertrag. Diese auf Freiwilligkeit beruhen- 
den Maßnahmen haben sich aber doch vielfach 
nicht als ausreichend erwiesen. Namentlich auf 
dem Gebiete der direkten Besteuerung, und 
besonders dann, wenn es sich um Gebiete handelt, 
welche einem gemeinsamen höheren 
politischen Gebilde zugehören, haben sich 
infolge der gemeinsamen wirtschaftlichen In- 
teressen, des regen gegenseitigen Verkehrs soviel 
steuerliche Reibungsflächen gezeigt, daß ohne Auf- 
stellung bestimmter fester, für die verschiede- 
nen StGewalten bindender Grund- 
sätze zur Vermeidung einer D. im eigentlichen, 
technischen Sinne nicht auszukommen ist. Dies 
hat vielfach zur Folge gehabt, daß die gemeinsame 
höhere Gewalt gesetzliche Grundsätze zur Be- 
seitigung der D. vorgeschrieben hat (für das Reich 
unten § 3, wegen der Kommunen § 7), oder daß, 
wenn keine gemeinsame höhere StGewalt vor- 
handen war, die beiden koordinierten St Gewalten 
entsprechende Vereinbarungen zur Be- 
seitigung der D. getroffen haben (unten §# 8). 
Im folgenden wird gesondert behandelt wer- 
den die Frage der D. I. innerhalb des Deut- 
schen Reiches, a) zwischen Staat und Staat (54), 
b) Gemeinde und Gemeinde (§5 7). II. Im Ver- 
hältnis von Einzelstaaten und Reichs ausland. 
§s 3. Doppelbesteuerung im Reiche im allge- 
meinen. Umschließt den Deutschen in der Heimat 
ein politisches, ein wirtschaftliches und in sich stets 
erweiterndem Maße ein gesetzliches Einheitsband, 
so widerspricht ein regelloses Hinübergreifen der 
Besteuerung aus dem Staate des Wohnsitzes nach 
dem in einem andern Staat belegenen Objekte 
den Grundsätzen gesunder Wirtschaftspolitik. Durch 
die Trennung von seinem Objekte in einem andern 
Bundesstaate sollte Niemand innerhalb der Reichs- 
grenzen schlechter (allerdings auch nicht besser) 
gestellt sein, als wenn er es in demselben Bundes- 
staat besäße. M. a. W., für die Besteuerungs- 
frage soll nicht die rechtliche Seitc, die 
Staatsangthörigkt it, sondern die wirt- 
schaftliche Seite, die wirtschaftliche Zu- 
grhörigkeit entscheidend sein. Dieser Ge- 
dankengang bildet die Grundlage zum RG v. 
13. 5. 70. Ein Eingreifen der Bundesgewalt in 
das unbeschränkte Besteuerungsrecht der Einzel- 
staaten erwies sich besonders als notwendig, seit- 
dem im Norddeutschen Bunde der Grundsatz der 
Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiete für die 
Angehörigen aller zum Bunde gehörigen Staaten 
gesetzlich anerkannt worden war. Nachdem zu- 
nächst Preußen und Sachsen durch eine Ueberein- 
kunft v. 16. 4. 69 (preuß. GS 1870, 142) versucht 
hatten, Abhilfe zu schaffen, erging das Bundes G 
wegen Beseitigung der D. v. 13. 5. 70 (B #l 119). 
Es trat im Gebiet des Norddeutschen Bundes, so- 
wie in Baden, Südhessen und Württemberg am 
1. 1. 71 in Geltung, in Bayern am I. 7. 71, in 
Elsaß-Lothringen am 1. 1. 72. Durch G v. 16. 
4. 71 4 2 wurde es zum Reichsgesetz erklärt. Zu 
seiner Ausführung in Preußen ist ein RundErl 
des Finanz Min v. 8. 10. 70 ergangen (Mli V 287; 
auch 1871 S 125, 224; 1872 S 121). Unterm 
22. 3. 09 ist eine Novelle zu dem D. Gesetze er- 
schienen (R# Bl 329). 
Vorauszuschicken ist, daß das Rönichtjede 
D. ausschließt, wie dies schon bei der Beratung 
  
im Reichstage ausdrücklich anerkannt wurde (Sten. 
Verh. 638), sondern nur die wichtigsten und 
häufigsten Fälle. Auch die Motive stellen 
nur Abhilfe „nach Möglichkeit“ in Aussicht. 
Nach dem Gesetze soll daher gegen D. Schutz 
gewährt werden: a) nur Deutschen, also 
Personen, welchen nach dem R v. 1. 6. 70 die 
Reichsangehörigkeit zukommt (Rög 13, 142. 
AM Bad. V# v. 7. 4. 86 und Maatz 725). 
b) Nicht nur physischen, sondern auch ju- 
ristischen Personen (Prot des Bf v. 31. 3. 
87 &184). c) Nur zwischen Bundesstaaten 
(einschl. Elsaß-Lothringen, G v. 14. 1. 72 — 
GBl 61 — und der Schutzgebiete — R v. 15. 
3. 88 5 6 und v. 25. 7. 00 99 —), nicht gegenüber 
außerdeutschen Staaten. d) Nur bezüglich der 
Staats-, nicht der Gemeinde besteuerung 
(RuSt 27, 141). Daher findet in Preußen, wo 
durch das Gesetz wegen Aufhebung dirckter Staats- 
steuern v. 14. 7. 93 die Grund-, Gebäude= und 
Gewerbe St [M als Staats St außer Geltung 
gesetzt und den Gemeinden überwiesen sind, das 
D.Gv. 13. 5. 70 auf diese Strten keine An- 
wendung mehr. Auch auf die Warenhaus St N 
findet das D.Gesetz keine Anwendung. e) Nur 
in Bezug auf die direkte Besteuerung, also auf 
die Einkommen--, Ergänzungs-, Ertrag St, nicht 
bezüglich der Erbschafts- und StempelSt (171 
(RGZ 39, 12). 1) Die Vorschriften regeln fer- 
ner die gesetzliche Berechtigung der in 
Frage kommenden Bundesstaaten, den Zensiten 
heranzuziehen, nicht etwa nur die tatsächliche 
Ausübung dieser Berechtigung. Indem daher 
im Gesetz der ausschließlich besteuerungsberech- 
tigte Staat positiv bezeichnet wird, wird jedem 
anderen unbedingt und ohne Räücksicht darauf, 
ob jener von seinem Rechte Gebrauch macht, 
die Besteuerung untersagt. g) Die Bestimmungen 
richten sich endlich nur gegen die doppelte Be- 
steuerung desselben Steuersubjekts (O#V# 
in Steuers. 2, 319; 6, 214; 8, S 99, 268. RZ3 
13, 143). Wenn also bei einer in einem Bundes- 
staate entstandenen Erbschaft der in einem andern. 
Bundesstaat wohnende Erbe verpflichtet ist, in 
ersterem Staate die vom Erblasser geschuldeten 
Steuern zu entrichten und zugleich in dem letz- 
teren Staate selbst zur Einkommen St wegen Erb- 
anfalls herangezogen wird, so liegt keine D. im 
Sinne des Gesetzes vor. Ebensowenig, wenn in 
einem Staate die Ges. m. b. H., im anderen der 
Gesellschafter, sowie, wenn in einem Staat der 
Nutznießer, in einem andern der Eigentümer 
eines zinstragenden Kapitals besteuert wird (Druck- 
sachen Nr. 42 und § 435 der Prot des BR, 14 
Sitzung Session 1902). (S. hiezu aber unten § 5). 
#s 4. Einzelheiten des Gesetzes. I. Grund- 
satz. Ein Deutscher darf zu den direkten 
Staats steuern nur in demjenigen Bundes- 
staate herangezogen werden, in welchem er seinen 
Wohnsitz hat (5 1 Abs 1). Der Begriff des 
Wohnsitzes wird § 1 Abfs 2 bestimmt als der Ort, 
an dem man eine Wohnung unter Umständen 
inne hat, die auf die Absicht der dauernden Bei- 
behaltung einer solchen schließen lassen. Nach den 
Motiven entspricht diese Bestimmung nicht dem 
zivilrechtlichen, sondern „dem natürlichen und 
tatsächlichen Begriffe, der nach der allgemeinen 
Bedeutung des Wortes mit jenem Begriffe ver- 
bunden ist“. Ueber die Auslegung hat sich eine 
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch, 2. Aufl. I. 39
	        
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