Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
  
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Durchsuchungsrecht 
  
Zweck der Prüfung der Schiffspapiere ist außer 
der Feststellung der Nationalität des Schiffes die 
Feststellung der Destination des Schiffes und des 
Charakters der Ladung. Ist das Schiff ein feind- 
liches, so wird es in Beschlag genommen, um in 
einen Hafen des Kriegführenden oder eines Ver- 
bündeten verbracht zu werden. 
Die Anhaltung eines Privatschiffes, das unter 
neutraler Flagge fährt, ist schon um deswillen 
gerechtfertigt, weil das Schiff in Wirklichkeit ein 
feindliches sein kann. Die Ausübung des Be- 
sichtigungs= und Durchsuchungsrechts dient also 
in erster Reihe dem Zweck der Feststellung der 
Nationalität des Schiffes. Ergibt die Prüfung der 
Papiere den neutralen Charakter des Schiffes, 
so ist festzustellen, ob das Schiff verbotene Ware 
an Bord führt; erfolgte die Anhaltung wegen ver- 
suchten Blockadebruchs, so kann das Schiff im 
Falle voraufgegangener spezieller Notifikation 
der Blockade daraufhin untersucht werden, ob die 
Notifikation in den Schiffspapieren eingetragen 
ist. Zweck der Besichtigung und Durchsuchung 
kann auch die Wegnahme des an Bord des neutra- 
len Schiffes etwa beförderten feindlichen Staats- 
eigentums sein [J Blockadelj. 
55. Immnnitäten, insbesondere der geleite- 
ten neutralen Handelsschiffe. Die D. ist ausge- 
schlossen gegenüber neutralen Kriegsschiffen. Neu- 
trale Postdampfer sollen nach a 2 des Abkommens 
XI der Haager Konferenz 1907 nur im Notfall 
unter möglichster Schonung und mit möglichster 
Beschleunigung durchsucht werden. Bisherige 
Uebung befreit auch Staatspostdampfer unter 
Führung eines Seeoffiziers vom Dienststande von 
der Durchsuchung. 
Die Frage der Durchsuchung neutraler Privat- 
schisfe gab in der zweiten Hälfte des 17. und im 
18. Jahrhundert Anlaß zu lebhaften Kontrover- 
sen. Das im Pyrenäenfrieden von 1659 a 17 an- 
erkannte Erkundigungsrecht wurde in 
der nun folgenden Periode des mächtigen Auf- 
schwungs der großen Seemächte und des Handels 
nicht als genügend zur Wahrung der Interessen 
der Kriegführenden erachtet; cs kam zur grund- 
sätzlichen Anerkennung eines förmlichen Durch- 
suchungsrechts. Die zahlreichen Miß- 
bräuche dieses Rechts seitens der mächtigen See- 
staaten führten auf Seite der Neutralen zur An- 
wendung eines Mittels, das die kollidierenden 
Interessen der Kriegführenden und Neutralen 
wirksam wahren sollte. Im späteren Mittelalter 
wurden Handelsschiffe durch Kriegsschifse zum 
Schutz gegen Secraub geleitet; seit der An- 
erkennung des D. der Kriegführenden hielten 
einige Staaten zum Schutz des legitimen Handels 
ihrer Angehörigen an dieser Uebung fest; so zuerst 
Schweden 1653 in dem Kriege zwischen England 
und Holland; gleiches Vorgehen beobachteten 
Holland 1656, 1680, Dänemark 1683, Schweden 
1781; Rußland berief sich zur Wahrung der Im- 
munität geleiteter Handelsschiffe auf die be- 
waffnete Neutralität von 1780; partikularrechtlich 
wurde die Frage geregelt in den Verträgen zwi- 
schen Rußland und Dänemark 1782, den Vereinig- 
ten Staaten und Holland 1782, den Ver. St. und 
Schweden 1782, den Ver. St. und Preußen 1785, 
Rußland und Frankreich 1787. Die konstante 
Mißachtung der Rechte der Neutralen führte zur 
zweiten bewaffneten Neutralität (1800), durch 
  
deren a III die schwebende Frage der Immunität 
geleiteter Schiffe geregelt werden sollte (vgl. auch 
Naval War Code der Ver. Staaten 1900, zurück- 
gezogen 1904). Jener Uebung gemäß sollte durch 
die Erklärung des Befehlshabers des geleitenden 
Schiffes, daß die unter seinem Schutze stehenden 
Handelsschiffe keine verbotene Ware an Bord 
führen, die Durchsuchung der Schiffe abgeschnitten 
werden. Dagegen hatte England den dieser 
Uebung zugrunde liegenden Gedanken nicht an- 
erkannt und sich lediglich in Verträgen mit Ruß- 
land 1801 und mit Schweden und Dänemark 1802 
zu einem Kompromiß verstanden. — Umso an- 
erkennenswerter ist der Verzicht Englands auf 
seinen bisherigen Standpunkt in den Uhdl der 
Londoner Konferenz von 1908/09. Da- 
durch wurde die alte Streitfrage definitiv in einer 
Weise gelöst, die den Interessen der Kriegfüh- 
renden und Neutralen in gleicher Weise gerecht 
wird. Die Angelegenheit fand ihre Regelung in 
à 61 und 62 der Londoner Deklaration 
v. 26. 2. 09. Hiernach sind die Kriegführenden in 
Zukunft nicht mehr berechtigt, neutrale Handels- 
schiffe, die von einem Kriegsschiff ihrer Flagge be- 
gleitet werden, zu untersuchen. Der Wegfall die- 
ser Berechtigung, die außer dem Falle des Geleits 
in letzter Reihe damit zusammenhängt, daß die 
neutrale Regierung die Aufgabe der Ueberwa- 
chung der ihre Flagge führenden Handelsschiffe 
nicht übernommen hat, ist eben gerade an die 
Voraussetzung geknüpft, daß die neutrale Regie- 
rung jene Aufgabe nun wirklich übernimmt. So 
findet der kriegführende Kreuzer in der Erklärung 
des Kommandanten des Geleitschiffes die Gewähr, 
die ihm die Ausübung des D. selbst verschaffen 
würde. Jene amtliche Erklärung kann nicht in 
Zweifel gezogen werden. Die neutrale Regierung 
kann aber den Anspruch auf Glaubwürdigkeit der 
in ihrem Namen abgegebenen Erklärung nur er- 
heben, wenn sie pflichtmäßig die Handelsschiffe 
bei ihrer Abfahrt überwacht und diese Ueberwa- 
chung auch während der Fahrt fortsetzt, um jeden 
Mißbrauch des Geleits zu verhindern. Praktisch 
wickelt sich der betreffende Vorgang auf See in 
der Weise ab, daß der kriegführende Kreuzer sich 
an den Kommandanten des Geleitschiffes wendet, 
der ihm auf sein Ersuchen über die geleiteten 
Schiffe schriftlich jede Auskunft gibt, zu deren Er- 
langung die Durchsuchung dienen würde. Sind 
Gründe für die Annahme vorhanden, daß der 
Kommandant des Geleitschiffes getäuscht worden 
ist, so liegt der Tatbestand einer Ausnahme von 
der Regel des Wegfalls der Durchsuchung vor; 
es tritt daher ein besonderes Verfahren in Kraft, 
das den Zweck der Wahrung der Interessen des 
Kriegführenden bezweckt. Die bisherige Praxis ge- 
stattete dem Kommandanten des kriegführenden 
Kreuzers die Durchsuchung unter Assistenz des 
Kommandanten des Geleitschiffes; waren weitere 
Nachforschungen notwendig, so konnte das Schiff 
in den nächsten Hafen des Kriegführenden unter 
Assistenz des Geleitschiffes verbracht werden. Die 
Londoner Deklaration stcllt dagegen 
den Grundsatz fest, daß in derlei Fällen es allein 
dem Kommandanten des Geleitschiffes zusteht, 
eine Nachprüfung vorzunehmen; ein Recht 
des Kriegführenden, der Nachprüfung beizuwoh- 
nen, ist (im Gegensatze zur bisherigen Uebung) 
nicht anerkannt worden; es ist nur dem Komman-
	        
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