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Elsaß-Lothringen (Verfassung)
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d. h. die Gesamtheit der dazu verbündeten Staa-
ten, gibt diese Staatsgewalt nicht aus der Hand,
sondern läßt sie nach wic vor in oberster Spitze
ausüben durch den Bundesvorstand, den Kaiser.
Das Recht der Bundesgenossen ist insofern mehr
betont, als jetzt die für das Land zu erlassenden
Gesetze in Form von Reichsgesetzen ergehen, also
durch Beschluß von Bundesrat und Reichstag
ohne den Kaiser, dem nur Ausfertigung und Ver-
kündigung zusteht. Dafür kann jetzt von diesem
in der alten Form der Gesetzgebung für E., also
mit bloßer Zustimmung des Bundesrats, eine Art
selbständiger Verordnungen erlassen werden, zu-
lässig nur so lange der Reichstag nicht versammelt
ist, und diesem bei seinem nächsten Zusammen-
tritt vorzulegen (Gv. 25. 6. 73 &. 8).
3. Eigene Bolksvertretung und Landesregie-
rung. Anfang September 1871 hatte der Kaiser
an die Stelle des General-Gouverneurs einen
Oberpräsidenten von Elsaß-Loth-à
ringen gesetzt. Das Verw v. 30. 12. 71
bildete das Amt weiter aus. Vorbildlich war die
Preuß. Dienst Instr v. 31. 12. 1825. Wie der
Preuß. Ober-Präsident die Provinzialverwaltung
der Bezirksregierungen zusammenfaßte behufs
Bermittelung mit dem Ministerium, so sollte auch
der Ober-Präsident zu Straßburg über den drei
Departements, jetzt Bezirken, stehen als „oberste
Verw Behörde in Elsaß-Lothringen“, in unmittel-
barer Unterordnung unter den Reichskanzler, den
Minister für E., dem das Reichskanzleramt Ge-
hilfenschaft und Vertretung stellt. Zum Unter-
schied von dem Preuß. Vorbild zieht sich aber hier
zwischen Ober-Präsident und Minister eine be-
deutsame Grenzlinie: jener ist der oberste Landes-
beamte, im Dienste des Landes stehend, und in
seinem Namen handelnd; der Reichskanzler aber
bleibt Reichsbeamter, auch wenn er Elsaß-Loth-
ringische Angelegenheiten leitet. Beide sind sie
vom Kaiser ernannt, aber dieser in Ausübung des
ihm zustehenden Teiles an der Reichsgewalt, jener
in Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Loth-
ringen.
Um die Bevölkerung des Landes selbst zu Worte
kommen zu lassen, wurde durch Koaiserlichen Erl
v. 27. 10. 74 ein von den Bezirkstagen abzuord-
nender Landesausschuß gebildet, zunächst
nur mit beratender Stimme für VerwMaßregeln
allgemeiner Bedeutung. Die Mitgliederzahl ist
später (Gv. 4. 7. 79) durch Erteilung von Wahl-
rechten an die Gemeinderäte auf 58 erhöht wor-
den. Durch R v. 2. 5. 77 erhielt aber dieser
Landesausschuß im wesentlichen die Stellung
einer Elsaß-Lothringischen Volksvertretung. Fort-
an können Landesgesetze erlassen werden vom Kai-
ser mit Zustimmung des Bundesrates und des
Landesausschusses, also ohne den Reichstag: der
Weg der Reichegesetzgebung ist nur für den Not-
fall offen gehalten. Dem Landesausschuß wird
außerdem der in Form eines Gesetzes festzustel-
lende Landeshaushaltsetat vorgelegt; er prüft die
Rochnungen und erteilt die Entlastung; nötigen-
falls kann sie an seiner Stelle der Rcichstag erteilen.
Daraus ergab sich von selbst das Bedürfnis
einer Verlegung des Schwerpunktes der Regie-
rung in das Land, welchem das R v. 4. 7. 79
entgegenkam durch die vorgesehene Bestellung
eines Statthalters (#l nebst ihm beizu-
gebendem Ministerium für E. (unten B é 3).
Zugunsten dieses neuen Landesbeamten ist der
Reichskanzler aus der Elsaß-Lothringischen Lan-
desregierung ausgeschaltet. Fortan nimmt an
dieser das Reich nur noch durch seine unmittelbare
Vertreterschaft teil, und zwar im wesentlichen nur
durch den Kaiser, ohne daß es berechtigt wäre, ihn.
deshalb den Landesherrn von E. zu nennen. Der
Kaiser hat Namens des Reichs Gesetzgebungs= und
Verordnungsrecht für das Land auszuüben, sowie
diejenigen Geschäfte der laufenden Regierung,
welche er nicht dem Statthalter überträgt; vor
allem ernennt er alle wichtigeren Landesbeam-
ten, und der Statthalter selbst, die Spitze der gan-
zen Landesverwaltung, steht unter seinem Be-
fchl. Der Bundesrat hat nichts als seinen Anteil
an der Gesetzgebung, diesen freilich auf alle Fälle,
ob der Kaiser sie mit dem Landesausschuß macht
oder der Weg der Reichsgesetzgebung ausnahms-
weise beschritten wird. Dem Reichstag ist die be-
scheidene Rolle vorbehalten, Ersatz-Volksvertre-
tung zu sein für den Fall, daß der Landesausschuß
in Gesetzgebungs-, Haushaltsetat= oder Ent-
lastungssachen versagt.
8 4. Die rechtliche Natur des Reichslandes.
Sie ist im wesentlichen immer noch die einer ge-
meinsamen Eroberung der deutschen Staaten,
die, zum Reiche verbunden, es als ihr gemein-
sames Nebenland beherrschen. Mit dem Be-
griffe Nebenland verträgt sich eine stufenweise
for#tschreitende Ausgestaltung besonderer staat-
licher Einrichtungen. Ursprünglich kriegerisch be-
setzt und durch Entfaltung der Kriegsgewalt ge-
ordnet und verwaltet, wie die Zwecke des Siegers
es mit sich brachten, verharrte es in diesem Zu-
stande zunächst auch nach der Abtretung noch
eine Zeitlang. Seine Lage glich der unserer
Schutzgebiete oder auch derjenigen, in wel-
cher die Elbherzogtümer seiner Zeit als
gemeinsamer Besitz von Preußen und Oesterreich
vor und zunächst auch nach dem Wiener Frieden
gestanden haben. Das Vereinigungs G v. 9. 6. 71
erkennt wenigstens eine besondere Staatsgewalt
in E. an, die als solche bestimmt ist zur Pflege der
Wohlfahrt und der Zukunft dieser Bevölkerung.
Die Einführung der Reichsverfassung stellt die
damit gegebenc Unterscheidung und verhältnis-
mäßige Selbständigkeit unter den Schutz dieser
Verfassung selbst, von den verbündeten Regie-
rungen sortan nur änderbar unter den dafür be-
stehenden besonderen Bedingungen. Was E.
dadurch garantiert bekam, war aber doch nichts
weiter als eben seine Eigenschaft als Nebenland.
Seine Rechtslage entspricht jetzt mehr der des
Herzogtums Lauenburg nach der förmlichen
Besitzergreifung des Königs von Preußen mittelst
Patents v. 13. 9. 65. Wenn dieser nunmehr die
Staatsgewalt dort ausübte, so bedentete das nicht
eine Personal-Union mit Preußen, wie man das
damals wohl zu nennen beliebte. Es war ja kein
selbständiger Staat, sondern stand zur Verfügung
des Königs als Preußisches Nebenland, wie denn
auch die Verf des Nordd. Bundes a 1 einfach
sagt: „Preußen mit Lauenburg". Wenn es gleich-
wohl als ein staatsartig gcordnetes besonderes
Gemeinwesen behandelt wurde, so war ein be-
sonderer lauenburgischer „Fiskus“ nur eine Folge
oder Seite davon, mit mindestens ebenso gutem
Rechte, wie ein Provinzial= oder Gemeinde-Fiskus
anerkannt wird. Irgend welchen weiteren Auf-