Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

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Enteignung (A. Reichsgebiet) 
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gegeben ist, sondern ausschließlich durch das We- 
sen des Rechtsverhältnisses, aus dem es entspringt. 
Das hier vorliegende Rechtsverhältnis, auch zwi- 
schen Unternehmer und Enteignetem, ist vielmehr 
eine dem öffentlichen Rechte angehörende obli- 
gatio sui generis, eine Anwendung des von O. 
Mayer aufgestellten Rechtsinstitutes der öf- 
fentlichrechtlichen Entschädigung 
I# Entschädigungspflicht!, welche jedem gebührt, 
dem durch einen an sich rechtmäßigen Eingriff 
der öffentlichen Verwaltung in den sonst rechtlich 
geschützten Interessenkreis ein besonderes Opfer 
zugunsten der Allgemeinheit auferlegt wird. Im- 
merhin ist die Entschädigung des Enteigneten 
nicht eine sich aus dem Eingriffe in das Recht des 
Einzelnen von selbst ergebende, sondern nur eine 
vom positiven Gesetze daran geknüpfte Folge, 
keine unbedingte Rechtsnotwendigkeit, aber eine 
Forderung der Gerechtigkeit, der sich der Staat 
als Gesetzgeber nicht entziehen kann. Die Art 
der Verwirklichung dieser Forderung unterliegt 
daher der Freiheit des gesetzgeberischen Ermessens. 
Dies zeigt sich zunächst hinsichtlich der 
II. Subjekte der Ersatzleistung. 
1. Entschädigungspflichtig ist der, 
dem die Ersatzpflicht im Gesetze auferlegt ist: 
immer nur der Unternehmer, zu dessen 
Gunsten die E. erfolgt. Der Staat erkennt sich 
gegenüber auch keine subsidiäre Haftpflicht an 
und unterliegt daher auch keiner solchen. 
2. Entschädigungsberechtigt auf 
Grund der E. können nur diejenigen sein, in 
deren Rechtssphäre durch die E. eingegriffen wird, 
gleichgültig, ob die E. unmittelbar auf diesen 
Erfolg gerichtet ist oder ein dingliches Recht erst 
mittelbar infolge der absoluten Wirkung der E. 
in seinem Bestande betroffen wird. Darnach sind 
grundsätzlich entschädigungsberechtigt alle am 
Gegenstande der E. din glich berechtig- 
ten Dritten, soweit deren Rechte infolge der E. 
der Sache selbst aufgehoben werden, also nament- 
lich die Dienstbarkeits= und Reallasten-Berechtig- 
ten, sowie die Hypotheken-, Grundschuld= und 
Rentenschuld-Gläubiger. Nur hinsichtlich der Art 
der Verwirklichung des Entschädigungsanspruches 
dieser mittelbar Enteigneten kann ein Unterschied 
in der Behandlung gegenüber den unmittelbar 
Enteigneten gemacht werden (s. unter g). An 
sich nicht entschädigungsberechtigt sind die in 
Bezug auf den Gegenstand der E. nur persön- 
lich Berechtigten, denen lediglich ein 
Forderungsrecht gegen den Eigentümer auf Her- 
ausgabe oder Ueberlassung des Gebrauches der 
Sache zusteht, besonders also die Pächter und die 
Mieter. Denn nur die Person des Eigentümers 
ist ihnen rechtlich unterworfen, und es wird dem- 
nach durch die E., welche unmittelbar die Sache 
selbst erfaßt, in ihren Rechtskreis überhaupt nicht 
eingegriffen. Dennoch wird ihre Rechtslage ge- 
gegenüber dem ihnen verpflichteten Eigentümer 
durch die E. erheblich verschlechtert, und sie können 
hierdurch Vermögensnachteile erleiden, für die 
das allgemeine Recht keinen Ausgleich zu bieten 
vermag. Denn einerseits ist ihnen der Unterneh- 
mer als neuer Herr der Sache nicht unterwor- 
fen, da er sein Recht nicht vom frühern Eigen- 
tümer übertragen erhält; andererseits aber wird 
der frühere Eigentümer infolge unverschuldeter 
Unmöglichkeit der Leistung von seiner Verpflich- 
  
tung befreit. Die persönlich Berechtigten hätten 
mithin Niemanden, an den sie sich wegen des ihnen 
durch die Entziehung des Gegenstandes ihres For- 
derungsrechtes entstehenden, unter Umständen 
sehr erheblichen, Vermögensnachteiles halten kön- 
nen. Die Billigkeit verlangt aber, daß auch ihnen, 
die diesen Schaden ohne jede Verschuldung ihrer- 
seits und wenigstens indirekt infolge der E. er- 
leiden, ein Ersatzanspruch gewährt werde. Des- 
wegen haben die neueren deutschen E. Gesetze 
übereinstimmend wenigstens dem Pächter und 
dem Mieter einen besonderen Entschädigungs- 
anspruch aus Anlaß der E. gegen den Unter- 
nehmer gegeben (so insbesondere Weimar, 
Preußen, Hessen, Württemberg, 
Oldenburg, Baden und Sachsen). — 
An jedem Zusammenhange mit der E. fehlt es 
bei denen, die unabhängig von der E. und ohne 
kausalen Zusammenhang mit dieser (s. unter IV, 2) 
Nachteile nur infolge schädlicher Einwir- 
kungen der betreffenden öffentlichen Anlage 
oder ihres Betriebes erleiden. Es bestimmt 
sich ihr Ersatzanspruch nach den allgemeinen 
Rechtsvorschriften, insbesondere nach denen des 
sog. Nachbarrechtes. 
III. Form der Entschädigung. Der 
Ausgleich kann nicht in Wiederherstellung des 
frühern Zustandes selbst bestehen. Er kann auch, 
abgesehen von seltenen Ausnahmefällen, in be- 
friedigender Weise nicht dadurch herbeige führt 
werden, daß dem Enteigneten für das Entzogene 
etwas Gleichartiges gewährt wird; denn die ent- 
eigneten Sachen und Rechte sind nicht vertretbarer 
Natur. Der Ausgleich kann daher nur auf den 
Ersatz des Wertes gerichtet sein, den der entzogene 
Gegenstand im Vermögen des Enteigneten hatte. 
Hieraus ergibt sich als grundsätzliche Ersatzsorm 
bei der E. die Entschädigung in Geld. 
Hierbei bildet für dauernde EigtEntziehungen 
oder -Beschränkungen die Kapitalentschädi- 
gung die Regel, während bei vorübergehenden 
Beschränkungen sowie anderen Vermögensschä- 
den, deren Dauer sich im voraus nicht übersehen 
läßt, die Entschädigung in Rente mehr am 
Platze ist. 
IV. Gegenstand der Entschädi- 
gung können nur wirkliche Vermögens- 
objekte also solche Güter sein, die einen Geld- 
wert an sich oder im Zusammenhange mit dem 
übrigen Vermögen des Enteigneten haben. 
Hieraus folgt, daß nicht zu ersetzen ist der rein 
immaterielle Schade, die Einbuße an 
ideellen Gütern, wie Ruhe und Behaglichkeit; 
ferner nicht der Wert der besonderen Vorliebe des 
Enteigneten für den entzogenen Gegenstand, 
seine auf Familientraditionen, Gewohnheit oder 
anderen persönlichen Gründen beruhende An- 
hänglichkeit an diesem Gute und das ganze sog. 
Affektionsinteresse überhaupt. Ueber- 
schreitet aber der Affektionswert die Grenze des 
rein Persönlichen und besteht er in Eigenschaften 
des enteigneten Gegenstandes, die dessen Besitz, 
ohne Rücksicht auf Ertragsfähigkeit, nicht bloß 
für den augenblicklichen Eigentümer, sondern auch 
in den Augen Anderer wertvoller zu machen ge- 
eignet sind, z. B. die Ruhe und Abgeschiedenheit 
eines Landsitzes, freie Aussicht, Park= und Garten- 
anlagen, ungestörte Jagd und Fischerei, land- 
schaftlich schöne und gesunde Lage eines Hauses 
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