Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
62 Adel 
  
Baden stellt der grundherrliche A. acht Abgeord- 
nete zur ersten Kammer, außerdem kann der Groß- 
herzog den Häuptern adeliger Familien mit einem 
Grundbesitz von gewissen Qualitäten die erbliche 
Landstandschaft daselbst verleihen (vgl. die badische 
Verf in der Novelle v. 24. 8. O4). In Hessen 
stellt, abgesehen vom Senior der Familie von 
Riedesel als geborenem Mitglied, der grund- 
besitzende A. zwei Abgeordnete aus seiner Mitte 
für die erste Kammer (Gv. 8. 11. 72 in der Fassung 
des Gv. 6. 6. 85 & 7). — Partikularrechtlich gibt es 
vereinzelt noch andere Vorrechte des A. auf dem 
Gebiete des öffentlichen Rechts. So hat in 
Württemberg die gesamte „Nitterschaft"“ 
in Sachen der freiwilligen Gerichts- 
barkeit vor dem Amtsgericht einen befreiten 
Gerichtsstand sowohl für ihre Familien als für 
ihre exemten Besitzungen in demselben Umfang 
wie für die Standesherren (ogl. AS z. BG B 
a 14, 24 ff, 55, 78, 270. WVv. 5. 7. 97), ferner 
das Recht auf das hergebrachte Kirchengebet und 
Trauergeläute für sich und ihre Familien (iDetl. 
von 1821, § 18). Aehnlich wie die „Nitterschaft“ 
in Württemberg über die besondere parlamenta- 
rische Vertretung hinaus öffentlich-rechtlich pri- 
vilegiert ist, so auch der grundherrliche A. in 
Baden. „Grundherren“ des Großherzogtums 
sind einmal diejenigen Adeligen, die zu einer 
Familie der früher reichsunmittelbaren Ritter- 
schaft gehören, sodann die land sässigen Adcligen, die 
sich im Eigentum oder Miteigentum eines im Lande 
befindlichen Gutes befinden, dem im Jahre 1806 
das Recht der Patrimonialgerichtsbarkeit zustand. 
Die Grundherren haben die Befugnis zur Aus- 
üÜbung der niederen Orts Pol im Umfange der in 
ihren grundherrlichen Bezirken gelegenen Schlössern 
und Wohnungen samt Zubehör in Unterordnung 
unter die Pol Gewalt des Bezirksamts und nach 
Maßgabe der allgemeinen G. Die Grundherren 
selbst sind außerhalb des grundherrlichen Bezirkes 
von der Pol Strafgewalt der Bürgermeister insofern 
ausgenommen, als die Bürgermeister auf Haft- 
strafen gegen Grundherrn der Gemarkung nicht 
erkennen dürfen. Von der Vornahme von Orts- 
bereisungen ist den Grundherrn seitens der Be- 
zirksämter behufs des Vortrages etwaiger Wünsche 
Kenntnis zu geben, auch sind sie in den, nicht der 
Städte O unterstehenden Gemeinden berechtigt, 
bei der Aufstellung der Gemeindevoranschläge 
mitzuwirken. Die Bezirksämter müssen ihre Er- 
lasse an die Grundherrn diesen unmittelbar zu- 
senden und den Grundherrn dabei das Prädikat 
„Hochwohlgeboren“ bezw. „Hochgeboren“ geben. 
Die Grundherren genießen weiter eine gewisse 
Erleichterung bezüglich der Lehntaxen und der 
Allodifikation von Lehen, und sind Patrone gegen- 
über der evangelisch-protestantischen und der 
römisch-katholischen Kirche. Endlich haben sie das 
Ehrenrecht einer eigenen Uniform. Noch weiter 
gehen die öffentlich-rechtlichen Privilegien der ehe- 
mals reichsunmittelbaren Grundherrn. Sie haben 
bei Sterbefällen ritterschaftlicher Familienmit- 
glieder eine gewisse Zuständigkeit der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit innerhalb der grundherrlichen Fa- 
milie, ferner das Ehrenrecht des Kirchengebets 
(auf Anordnung der Kirchenbehörde), des Stägigen 
Trauergeläutes bei dem Tode eines Familien- 
hauptes und der gleichzeitigen Einstellung der 
Tanzmusik innerhalb der Grundherrschaft (ogl. 
  
über die Sonderstellung der badischen Grund- 
herrn: Walz, Das Staatsrecht des Großherzogtums 
Baden, 1909, S. 25 ff). Auf dem Gebiete des 
Privatrechts ist der niedere A. heute grundsätzlich 
denselben Normen unterworfen wie alle übrigen 
Bevölkerungsklassen. Nur in Bezug auf die Fa- 
milienverhältnisse und Güter des vormaligen 
Reichs A. und derjenigen Familien des landsässigen 
A., die vor dem Inkrafttreten des BGB dem vor- 
maligen Reichs A. durch Landes G gleichgestellt 
worden sind, macht a 58 Es z. BGB den Vorbe- 
halt, daß die Vorschriften der Landes G und nach 
ihrer Maßgabe die Vorschriften der Haus Verf un- 
berührt bleiben sollen. Danach ist in den fraglichen 
Materien der Rechtszustand des Landesrechts vor 
1900 aufrecht erhalten. Nach wie vor besitzen in 
Preußen deshalb gewisse Kreise des rheinischen 
und westfälischen A. ein Recht der Autonomie in 
Hinsicht der Disposition über ihren 
Nachlaß vgl. Kab O v. 16. 1. 36, V v. 21. 1. 37 
betr. die autonomische Sukzessionsbefugnis der 
rh. Ritterschaft und das darüber stattfindende 
schiedsrichterliche Verfahren; Kab O v. 26. u. 28. 
2. 37 zu Gunsten der westfälischen Ritterschaft 
in den Bezirken der Obergerichte zu Münster, 
Hamm und Arnsberg, sowie zu Gunsten der 
minden-ravensbergschen Ritterschaft. Die be- 
züglichen Privilegien gehen weit über die Zahl 
der ehemals Reichsunmittelbaren hinaus und sind 
für alle diejenigen erlassen, die sich vor Einfüh- 
rung der Fremdherrschaft einer bezüglichen Auto- 
nomie erfreuten oder gemäß 5 5 der Vv. 21. 1. 37 
in die Genossenschaft ausgenommen sind. Die 
fraglichen Familien sind namentlich von der 
Beobachtung des Pflichtteilsrechtes be- 
freit, wie durch a 216 EG z. BGB ausdrücklich 
anerkannt ist. Eine nachträgliche Erweiterung des 
Kreises dieser Familien ist ausgeschlossen. Aehnliche 
privatrechtliche Privilegien, die unter den Schutz 
des a 58 E fallen, besitzt die württember- 
gische Ritterschaft. Auch diese hat ein Recht der 
Autonomie, d. h. Errichtung von Familienver- 
trägen und sonstigen Familienstatuten, doch müssen 
die neu zu errichtenden Familienstatuten, beruhen 
sie nun auf einer Disposition unter Lebenden oder 
von Todes wegen, soweit sie autonomische Bestim- 
mungen enthalten zu ihrer Gültigkeit der Bestäti- 
gung durch das vorgesetzte Landgericht und sind 
außerdem in der GS zu publizieren (Württ. AG 
z. VGB a 24 Abs 2). Außerdem hat die würt—- 
tembergische Ritterschaft ein Recht auf standes- 
gemäße Kompetenz bei der Immobiliar-Zwangs- 
vollstreckung in Fideikommiß-, Lehen- und Stamm- 
güter in demselben Umfang wie die Standesherren 
(Ac# z. BSGBa 281 und 216). Partikularrechtlich 
findet sich auch noch für A. das ausschließliche Vor- 
recht, Familienfideikommisse zu errichten (vgl. 
Bayr. Verf Beil. VII §5 1). Ob auch das Stamm- 
gut des badischen Rechts unter die Familienfidei- 
kommisse zu rechnen, ist zweifelhaft, jedenfalls ist 
auch dieses Rechtoinstitut in Baden landesrechtlich 
dem A. vorbehalten (AG a# 36 54). Außerdem be- 
sitzen die echemals reichsunmittelbaren Grundherrn 
in Baden das Recht der Familienautonomie über 
ihre Güter= und Familienverhältnisse. Die betr. 
Verfügungen müssen dem Souverän zur Bestäti- 
gung vorgelegt werden, die ihnen aber ohne ge- 
setzliche Ursache niemals erschwert oder verweigert 
werden soll; vgl. Edikt v. 23. 4. 1818 K 11 u. 38.
	        
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