Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Evangelische Kirche 
  
ßen, die reformierten Gemeinden ihrerseits auch 
noch einen gesonderten Charakter tragen, je nach- 
dem sie ursprünglich durch Zwingli oder durch 
Calvin (Hugenotten) bestimmt waren und sich 
darnach in deutsch-reformierte und in französisch- 
reformierte Gemeinden gliedern. 
5. Die ev. K. als Landeskirche ist nicht in sämt- 
lichen deutschen Staaten einheitlich gestaltet. In 
Bayern bestehen zwei Formationen: die unierte 
Kirche der Pfalz und die nichtunierten bei- 
den evangelischen Kirchen des rechtsrheinischen 
Bayerns. In Preußen wurde bei den Neuerwer- 
bungen sowohl von 1815 als auch 1866 eine Aen- 
derung in den kirchlichen Verhältnissen der neuen 
Provinzen grundsätzlich vermieden. Doch wurde 
die ev. K. für die Rheinprovinz und Westfalen 
der landeskirchlichen Zentralinstanz (Oberkirchen- 
rat) unterstellt und ebenso dem landeskirchlichen 
Synodalverband (Generalsynode) eingegliedert; 
im übrigen leben auch diese beiden Provinzen 
kirchlich nach eigenem Recht. Die ev. K. der drei 
neuen Provinzen ist dem altlandeskirchlichen 
Zentralverband überhaupt nicht eingefügt, und 
es biloen Hannover, Schleswig-Holstein, das 
cehem. Kurhessen (Reg Bez. Kassel), das ehem. 
Nassau (Reg Bez. Wiesbaden) und Frankfurt a. M. 
je vollkommen selbständige kirchliche Organisatio- 
nen (Zorn 205 f. Schoen 1, 93 ff). Auch für Ol- 
denburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Lübeck und 
Bremen bestehen einheitliche Organisationen nicht. 
6. Eine deutsche evangelische 
Kirche im Rechtssinne besteht nicht. 
Doch treten seit 1852 Vertreter der deutschen 
cvangelischen Landeskirchen zu einer freien Ver- 
einigung, der sog. Eise nacher Konferenzz, 
in periodischen Zwischenräumen zusammen, um 
über allgemeine Angelegenheiten zu beraten und 
Beschlüsse zu fassen, deren Rechtscharakter aber 
völlig vom Belieben der einzelnen Landeskirchen 
abhängt; auch der 1903 ins Leben getretene 
Deutsche evangelische Kirchenaus- 
schuß ist kein Gesetzgebungsorgan. Erhebliche 
Bedeutung für die Entwickelung des evangelischen 
Kirchenwesens hat die Vereinigung noch nicht 
gewinnen können (aber unten Z. 8). Einzelne 
neuere Kirchenordnungen, so die altpreußische, 
badische, sehen die Möglichkeit einer rechtlichen 
Verbindung der evangelischen Kirchen Deutsch- 
lands vor (preuß. Gen SynO §&.19). Nach dem 
Kirchen G v. 7. 5. 00 (Kirchl. GV l 27) vermittelt 
der pr. Ev. Oberkirchenrat den Anschluß der mit 
der Landeskirche in Verbindung stehenden deut- 
schen Kirchengemeinden außerhalb Deutsch- 
lands; über den Auschluß selbst bestimmt der 
König. 
7. Es kommen mehrfach in Deutschland cvange- 
lische Kirchenbildungen vor, welche außerhalb der 
landeskirchlichen Verbände stehen. Haben die- 
selben sich als selbständige Religionsgesellschaften 
mit besonderer Rechtsgrundlage und eigentüm- 
lichen Kultusformen eingerichtet, so bezeichnet man 
sie als Sekten (was jedoch heute kein Rechts- 
begriff mehr ist), so die Baptisten, Mennoniten, 
Irvingianer, Herrnhuter (oder böhmischen Brü- 
der) u. a.; auch haben sich evangelische Gemein- 
schaften aus äußeren Anlässen rechtlich von der 
Landeskirche getrennt ohne irgendwelche Ver- 
ä#nderung ihres evangelischen Charakters im gan- 
zen wie im einzelnen, so die separierten Alt- 
  
lutheraner in Preußen wegen der Union 
(Gen. Konzession v. 23. 7.345 mit Ergänzung und 
Fübönkeung v. 23. 5.108) I/ Religionsgesell- 
aften!. 
8. In den deutschen Schutzgebieten ist eine 
staatliche Kirchenorganisation bisher nicht zur Aus- 
bildung gelangt. Die kirchlichen Angelegenheiten 
werden von den Missionen besorgt. Die Missions- 
gesellschaften sind keiner der mutterländischen 
Landeskirchen angegliedert, sondern stehen selb- 
ständig da. Dagegen haben sich die in den Kolo- 
nien errichteten Kirchengemeinden (z. B. Swa- 
kopmund, Windhufk, Karibib, Lüderitzbucht, Dares- 
salam, Tsingtau) der altpreußischen Landeskirche 
angeschlossen. Sie unterstehen der Aufsicht des 
Ev. Oberkirchenrats. Den bisher von letzterem 
verwalteten Kirchenbaufonds für die Schutzge- 
biete hat neuerdings der deutsche ev. Kirchen- 
ausschuß (oben Z. 6) übernommen. Der Grund- 
satz der Religionsfreiheit ist in den Kolonien durch 
8 14 des SchutzgebG eingeführt worden; doch 
bezieht er sich nur auf die Angehörigen der im 
Deutschen Reiche anerkannten Religionsgemein- 
schaften (Köbner in v. Holtz.-Kohlers Enzykl. 2, 
1904, 11056; v. Hoffmann, KolrR., 1907, 63 ff; 
Jacobi in Z f. Kirchenrecht 1903 S 354, 1904 
S 373; Freytag in Z f. Kol Pol. usw. 10, 1908, 
S 300 ff, 342 ff: Fleischmann im Jahrbuch über 
die deutschen Kolonien 3, 1910, 61). 
&# 2. Die Verfassung der evangelischen Kirche. 
1. Nach mehrfachen Schwankungen und Verfu- 
chen wurde die Verfassung der ev. K. in Deutsch- 
land allenthalben in der Weise geordnet, daß an 
die Stelle der Verfassungsträger in der katholi- 
schen Zeit, des Papstes und der Bischöfe, der 
Landesherr als Trägerdes Kirchen- 
re gimentes (summus episcopus) 
eintrat. Wenn auch die unmittelbare Veranlassung 
hierzu der Notstand des Mangels einer anderen 
Verfassungsgrundlage war, so wirkten dabei doch 
auch innere Gründe mit, so der Gedanke, daß das 
Kirchenwesen ein Teil der „Landespolizei“ sei, 
und insbesondere die theokratische Vorstellung, 
daß es Aufgabe des Staates sei, nicht allein für 
das äußerc Wohl, sondern auch für das Seelen- 
heil der Untertanen zu sorgen (custodia utriusque 
tabulae, Zorn K R 154 f). Auf diesem letzteren 
Gedanken sind alle Kirchenordnungen der Refor- 
mationszeit ausgebaut. Dogmatischen Charakter 
aber hat die Einrichtung des Summepiskopates in 
der ev. Kirche nicht. 
Die Verfassungsgrundlage des landesherrlichen 
Kirchenregimentes ist in allen ev. Kirchen Deutsch- 
lands auch heute noch geltendes Recht, wenn auch 
die inneren Gründe, welche in der Reformations- 
zeit hierzu geführt hatten, längst dahingefallen 
sind. Nur der Kaiser von Oesterreich hat auf das 
evangelische Kirchenregiment (1861) verzichtet, 
nicht aber dic katholischen Könige, von Bayern 
und Sachsen; doch muß letzterer alle Rechte des 
Kirchenregiments ausüben durch 4 „in evangelicis 
beauftragte“ Staatsminister, ersterer durch ein 
„selbständiges“ Oberkonsistorium (in der Pfalz 
durch das Konsistorium in Speyer), welches je- 
doch in vollständige Unterordnung unter das 
staatliche Kultusministerium gebracht ist (Zorn 
361 f). In Württemberg ist seit 1898 für 
den Fall der Zugehörigkeit des LLandesherrn zu 
einer nichtevangel. Konfession die Ausübung des
	        
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