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Evangelische Kirche (Verfassung, Rechtsbildung)
tralbehörden (Oberkirchenrat in
Altpreußen, Baden, Oldenburg; Oberkonsisto-
rium in Bayern, Hessen; Landeskonsistorium im
Kgr. Sachsen) geschaffen zur Handhabung des
Kirchenregiments in unmittelbarer Verantwort-
lichkeit unter dem Landesherrn als Oberbischof
und zur Leitung der kirchlichen Zentralverwaltung
über den Provinzialkonsistorien, unabhängig von
den Staatsbehörden (Kultusministerium), vogl.
Zorn 203; Schoen 1, 238 ff. Die Bildung dieser
konsistorialen Zentralbehörden erfolgte nach dem
Muster der alten Konsistorien. In Altpreußen ist
der Ev. Oberkirchenrat durch Kab O v. 29. 6. 50
(G 343) eingesetzt; seine Befugnisse sind durch
Gv. 3. 6. 76 (GS# 125) und Vov.ö. p.77(GES 170)
geregelt. In den drei neuen preußischen Provin-
zen stehen die Konsistorien nicht unter dem Ober-
kirchenrat, sondern prinzipwidrig unter dem Kul-
tusminister. "
b) Der gleichen Bewegung auf kirchliche Selb-
ständigkeit entsprang die Einrichtung von Pres-
byterien und Synoden in fast sämt-
lichen deutschen Landeskirchen nach dem Muster
der reformierten Kirchenverfassung (Zorn 203 ffh.
Unter Feststellung der rechtlichen Voraussetzungen
für Wahlrecht und Wählbarkeit (ein im einzelnen
noch nicht gelöstes Problem) wurden, aus Wahl
der Gemeinde hervorgehend und unter entspre-
chender Beteiligung der Patrone, Presby-
terien (Gemeindekirchenrat, Kir-
chenvorstand) gebildet zur Verwaltung der
Gemeindeangelegenheiten, insbesondere der ver-
mögensrechtlichen; für wichtigere Sachen tritt
ihnen eine erweiterte Repräsentation, die Ge-
meindevertretung, beide unter amt-
lichem Vorsitz des Pfarrers, zur Seite. In ähn-
licher Weise wurden als Vertretung der Gemcin-
den eines größeren Bezirkes (Kreis, Dekanat,
Propstei, Diözese usw.) Synodern geschaffen,
welche für die Zeit ihres Nichtversammeltseins
einen ständigen Ausschuß bestellen. Je nach
Bedürfnis erfolgt diese synodale Gliederung in
mehreren Stufen; am umfassendsten ist sie in der
altpreußischen Landeskirche (Kirchengemeinde= und
Synodal O v. 10. 9. 73, Gen Syn O v. 20. 1. 76),
wo über der Einzelgemeinde der kirchliche Kreis
(Superintendenturbezirk), die kirchliche Provinz
(= Staatsprovinz) und die gesamte Landes-
kirche in der angegebenen Weise synodal or-
ganisiert sind (Kreisfynode, Provinzialsfynode,
Generalsynode) und ihre ständigen Ausschüsse, die
Landeskirche sogar in doppelter Form (Kreissy-
nodalvorstand, Provinzialsynodalvorstand, Gene-
ralsynodalvorstand und Generalsynodalrat) haben.
Alle synodalen Organisationen beruhen aber auf
dem nämlichen Gedanken wie die Presbyterien:
Vertretung der Gemeinde (Zorn 376 f). Sie
stehen durchweg unter der leitenden Kontrolle
der Konsistorialbehörden als der Organe der
Kirchenregierung und ebenso ist in verschiedener
Weise eine Staatsaufsicht über ihre Wirksamkeit
vorgesehen. Die Kompetenz der Synodalorgane
unter sich und gegenüber den Konsistorialbe-
hörden ist in sehr verschiedener Weise abgegrenzt
(Schoen 1, 366 ff, 400 ff, 417 ff, 435 ff).
hc) Die Verbindung der Konsistorial- und Syno-
dalverfassung, welche derzeit das charakteristische
Merkmal der evangelischen Kirchenverfassung in
Deutschland ist, tritt am schärfsten in der in einigen!
Landeskirchen (Preußen, Baden, Hessen) getrof-
fenen Einrichtung hervor, daß in gewissen Ma-
terien, besonders dogmatischen und Disziplinar-
sachen ( Geistlichel, die Konsistorien nur unter
Zuziehung der Synodalausschüsse
zu entscheiden berechtigt sind (Zorn 398, 404,
504; Schoen 1, 243, 253, 255).
d) Die Stellung des Landesherrn als Trägers
des Kirchenregiments kommt auch den Synoden
gegenüber darin zu rechtlichem Ausdruck, daß die
Berufung und Schließung der höheren Synodal-
organe durch ihn erfolgt, daß seine Rechte bei den
Beratungen der Synoden durch landesherrliche
Kommissare wahrgenommen werden, sowie darin,
daß die Bildung der höheren Synodalorgane unter
seinem Einfluß steht, sei es, daß er eine bestimmte
Zahl von Mitgliedern ernennt (Preußen), sei es,
daß ihm ein Bestätigungsrecht der Gewählten zu-
kommt (Bayern r. d. Rh.; Zorn 365, 400).
§ 3. Die Rechtsbildung in der ev. Kirche.
1. Die Bildung des evangelischen Kirchenrechts
war ursprünglich rein staatlich. In derselben Form,
in welcher der Landesherr seinen Willen als Wil-
len des Staates, so brachte er ihn auch als Willen
der Kirche zum Ausdruck, zur Geltung, zur Durch-
führung. Auf diesem Wege entstanden alle evan-
gelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts.
Die spätere episkopalistische Doktrin forderte zwar
nachdrücklich den „Consensus ecclesiae“ und setzte
diese Forderung auch tatsächlich meist durch; in
feste rechtliche Form aber wurde dieser Konsens
damals nicht gekleidet.
2. Erst die neueste Entwickelung hat selb-
ständige Formen für die kirchliche
Rechtsbildung neben und unabhängig von
der staatlichen auch für die ev. K. erzeugt, wie
solche für die katholische Kirche immer bestanden.
Alle neueren evangelischen Kirchenordnungen
haben eine spezifisch kirchliche Gesetzge-
bung anerkannt und geordnet (Zorn 426 ff;
Schoen 2, 248 ff). Der Umfang der kirchlichen
Zuständigkeit für dieses Gebiet der Autonomie
ist durch die positiven Ordnungen in verschiedener
Weise umgrenzt (preuß. GSO §7). Der Schwer-
punkt der kirchlichen Gesetzgebung liegt im
Landesherrn als Oberbischof; er hat
die Sanktion ganz wie bei Staatsgesetzen. Die
landeskirchlichen Gesetze in Altpreußen werden zur
Beglaubigung vom Präsidenten des Oberkirchen-
rats gezeichnet (§6 Gen Synodal O v. 20. 1. 76).
Der Landesherr ist aber bei Erlaß von Kirchen-
gesetzen synodal beschränkt: das genaue Analogon
des Verhältnisses zwischen Staatsoberhaupt und
Volksvertretung bei Staatsgesetzen ist geschaffen
für Kirchenoberhaupt und Generalsynode bei
Kirchengesetzen. So gering die innere, so voll-
ständig ist die äußere Uebereinstimmung der beiden
Rechtseinrichtungen. Die Vorbereitung und Ein-
bringung von Kirchengesetzen erfolgt entweder
durch konsistoriale Organe oder im Schoße der
Generalsynode selbst. Die evangelischen Kirchen-
gesetze aber bedürfen durchweg des staatlichen
Plazet, und zwar vor der Vorlage zur
Sanktion an den Oberbischof; dasselbe wird erteilt
entweder durch den Kultusminister oder, wie in
Preußen, durch das gesamte Staatsministerium.
Einzelne Kirchenordnungen (so z. B. in Preußen)
fordern unter gewissen Voraussetzungen für Kir-
chengesetze noch die Zustimmung des Landtages.