Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
746 
Evangelische Kirche (Verfassung, Rechtsbildung) 
  
tralbehörden (Oberkirchenrat in 
Altpreußen, Baden, Oldenburg; Oberkonsisto- 
rium in Bayern, Hessen; Landeskonsistorium im 
Kgr. Sachsen) geschaffen zur Handhabung des 
Kirchenregiments in unmittelbarer Verantwort- 
lichkeit unter dem Landesherrn als Oberbischof 
und zur Leitung der kirchlichen Zentralverwaltung 
über den Provinzialkonsistorien, unabhängig von 
den Staatsbehörden (Kultusministerium), vogl. 
Zorn 203; Schoen 1, 238 ff. Die Bildung dieser 
konsistorialen Zentralbehörden erfolgte nach dem 
Muster der alten Konsistorien. In Altpreußen ist 
der Ev. Oberkirchenrat durch Kab O v. 29. 6. 50 
(G 343) eingesetzt; seine Befugnisse sind durch 
Gv. 3. 6. 76 (GS# 125) und Vov.ö. p.77(GES 170) 
geregelt. In den drei neuen preußischen Provin- 
zen stehen die Konsistorien nicht unter dem Ober- 
kirchenrat, sondern prinzipwidrig unter dem Kul- 
tusminister. " 
b) Der gleichen Bewegung auf kirchliche Selb- 
ständigkeit entsprang die Einrichtung von Pres- 
byterien und Synoden in fast sämt- 
lichen deutschen Landeskirchen nach dem Muster 
der reformierten Kirchenverfassung (Zorn 203 ffh. 
Unter Feststellung der rechtlichen Voraussetzungen 
für Wahlrecht und Wählbarkeit (ein im einzelnen 
noch nicht gelöstes Problem) wurden, aus Wahl 
der Gemeinde hervorgehend und unter entspre- 
chender Beteiligung der Patrone, Presby- 
terien (Gemeindekirchenrat, Kir- 
chenvorstand) gebildet zur Verwaltung der 
Gemeindeangelegenheiten, insbesondere der ver- 
mögensrechtlichen; für wichtigere Sachen tritt 
ihnen eine erweiterte Repräsentation, die Ge- 
meindevertretung, beide unter amt- 
lichem Vorsitz des Pfarrers, zur Seite. In ähn- 
licher Weise wurden als Vertretung der Gemcin- 
den eines größeren Bezirkes (Kreis, Dekanat, 
Propstei, Diözese usw.) Synodern geschaffen, 
welche für die Zeit ihres Nichtversammeltseins 
einen ständigen Ausschuß bestellen. Je nach 
Bedürfnis erfolgt diese synodale Gliederung in 
mehreren Stufen; am umfassendsten ist sie in der 
altpreußischen Landeskirche (Kirchengemeinde= und 
Synodal O v. 10. 9. 73, Gen Syn O v. 20. 1. 76), 
wo über der Einzelgemeinde der kirchliche Kreis 
(Superintendenturbezirk), die kirchliche Provinz 
(= Staatsprovinz) und die gesamte Landes- 
kirche in der angegebenen Weise synodal or- 
ganisiert sind (Kreisfynode, Provinzialsfynode, 
Generalsynode) und ihre ständigen Ausschüsse, die 
Landeskirche sogar in doppelter Form (Kreissy- 
nodalvorstand, Provinzialsynodalvorstand, Gene- 
ralsynodalvorstand und Generalsynodalrat) haben. 
Alle synodalen Organisationen beruhen aber auf 
dem nämlichen Gedanken wie die Presbyterien: 
Vertretung der Gemeinde (Zorn 376 f). Sie 
stehen durchweg unter der leitenden Kontrolle 
der Konsistorialbehörden als der Organe der 
Kirchenregierung und ebenso ist in verschiedener 
Weise eine Staatsaufsicht über ihre Wirksamkeit 
vorgesehen. Die Kompetenz der Synodalorgane 
unter sich und gegenüber den Konsistorialbe- 
hörden ist in sehr verschiedener Weise abgegrenzt 
(Schoen 1, 366 ff, 400 ff, 417 ff, 435 ff). 
hc) Die Verbindung der Konsistorial- und Syno- 
dalverfassung, welche derzeit das charakteristische 
Merkmal der evangelischen Kirchenverfassung in 
Deutschland ist, tritt am schärfsten in der in einigen! 
  
Landeskirchen (Preußen, Baden, Hessen) getrof- 
fenen Einrichtung hervor, daß in gewissen Ma- 
terien, besonders dogmatischen und Disziplinar- 
sachen ( Geistlichel, die Konsistorien nur unter 
Zuziehung der Synodalausschüsse 
zu entscheiden berechtigt sind (Zorn 398, 404, 
504; Schoen 1, 243, 253, 255). 
d) Die Stellung des Landesherrn als Trägers 
des Kirchenregiments kommt auch den Synoden 
gegenüber darin zu rechtlichem Ausdruck, daß die 
Berufung und Schließung der höheren Synodal- 
organe durch ihn erfolgt, daß seine Rechte bei den 
Beratungen der Synoden durch landesherrliche 
Kommissare wahrgenommen werden, sowie darin, 
daß die Bildung der höheren Synodalorgane unter 
seinem Einfluß steht, sei es, daß er eine bestimmte 
Zahl von Mitgliedern ernennt (Preußen), sei es, 
daß ihm ein Bestätigungsrecht der Gewählten zu- 
kommt (Bayern r. d. Rh.; Zorn 365, 400). 
§&# 3. Die Rechtsbildung in der ev. Kirche. 
1. Die Bildung des evangelischen Kirchenrechts 
war ursprünglich rein staatlich. In derselben Form, 
in welcher der Landesherr seinen Willen als Wil- 
len des Staates, so brachte er ihn auch als Willen 
der Kirche zum Ausdruck, zur Geltung, zur Durch- 
führung. Auf diesem Wege entstanden alle evan- 
gelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. 
Die spätere episkopalistische Doktrin forderte zwar 
nachdrücklich den „Consensus ecclesiae“ und setzte 
diese Forderung auch tatsächlich meist durch; in 
feste rechtliche Form aber wurde dieser Konsens 
damals nicht gekleidet. 
2. Erst die neueste Entwickelung hat selb- 
ständige Formen für die kirchliche 
Rechtsbildung neben und unabhängig von 
der staatlichen auch für die ev. K. erzeugt, wie 
solche für die katholische Kirche immer bestanden. 
Alle neueren evangelischen Kirchenordnungen 
haben eine spezifisch kirchliche Gesetzge- 
bung anerkannt und geordnet (Zorn 426 ff; 
Schoen 2, 248 ff). Der Umfang der kirchlichen 
Zuständigkeit für dieses Gebiet der Autonomie 
ist durch die positiven Ordnungen in verschiedener 
Weise umgrenzt (preuß. GSO §7). Der Schwer- 
punkt der kirchlichen Gesetzgebung liegt im 
Landesherrn als Oberbischof; er hat 
die Sanktion ganz wie bei Staatsgesetzen. Die 
landeskirchlichen Gesetze in Altpreußen werden zur 
Beglaubigung vom Präsidenten des Oberkirchen- 
rats gezeichnet (§6 Gen Synodal O v. 20. 1. 76). 
Der Landesherr ist aber bei Erlaß von Kirchen- 
gesetzen synodal beschränkt: das genaue Analogon 
des Verhältnisses zwischen Staatsoberhaupt und 
Volksvertretung bei Staatsgesetzen ist geschaffen 
für Kirchenoberhaupt und Generalsynode bei 
Kirchengesetzen. So gering die innere, so voll- 
ständig ist die äußere Uebereinstimmung der beiden 
Rechtseinrichtungen. Die Vorbereitung und Ein- 
bringung von Kirchengesetzen erfolgt entweder 
durch konsistoriale Organe oder im Schoße der 
Generalsynode selbst. Die evangelischen Kirchen- 
gesetze aber bedürfen durchweg des staatlichen 
Plazet, und zwar vor der Vorlage zur 
Sanktion an den Oberbischof; dasselbe wird erteilt 
entweder durch den Kultusminister oder, wie in 
Preußen, durch das gesamte Staatsministerium. 
Einzelne Kirchenordnungen (so z. B. in Preußen) 
fordern unter gewissen Voraussetzungen für Kir- 
chengesetze noch die Zustimmung des Landtages.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.