Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Fideikommisse 
  
mit Zustimmung aller lebenden Anwärter oder 
ihrer gesetzlichen Vertreter zu, wobei Anwärter, 
die innerhalb der ihnen behördlich gesetzten Er- 
klärungsfrist schweigen, kraft Verschweigung als 
zustimmend gelten, unbekannte Anwärter im 
Wege des Aufgebots ausgeschlossen werden kön- 
nen, und die grundlos verweigerte Zustimmung 
einzelner Anwärter von der Anwartschaftsbehörde 
ersetzt werden kann; bei minder eingreifenden 
Verfügungen genügt nach preußischem Vorbild 
auch in Sachsen die Zustimmung zweier „An- 
wärtervertreter“, die gesetzlich berufen sind (die 2 
nächsten geschäftsfähigen Anwärter) oder von der 
Anwartschaftsbehörde bestellt oder von gewissen 
Anwärtern gewählt werden. 
Auf einem F. Grundstück ruht als öffent- 
liche Last (§ 10 Nr. 3 Zwangsversteigerungs G) 
gemäß Reichsstempel G § 89 eine in dreißigjähri- 
gen Zeitabschnitten im voraus zu entrichtende 
Abgabe von ½0 des Werts; der erste dreißig- 
jährige Abschnitt beginnt mit dem Zeitpunkt, in 
dem das Grundstück der fideikommissarischen Bin- 
dung unterworfen wird, und sofern dieser vor dem 
Inkrafttreten des Reichsstempelgesetzes liegt, mit 
dem 1. 10. 09. Wird das Grundstück vor Ablauf 
des dreißigjährigen Zeitabschnitts veräußert, so 
wird ein entsprechender Teil der Abgabe erstattet. 
Auf Antrag des F. Besitzers muß ihm die Steuer- 
behörde gestatten, die Abgabe während des 
dreißigjährigen Zeitraums in gleich hohen Jahres- 
beträgen zu zahlen: die Jahresbeträge werden so 
bemessen, daß die Steuerschuld bei einer Ver- 
zinsung von 40% innerhalb des bezeichneten Zeit- 
abschnitts getilgt wird. Bis das Reichsgesetz über 
die Erhebung einer Zuwachssteuer in Kraft tritt, 
wird zu der Abgabe ein Zuschlag von 10000 er- 
hoben. Abgabenfrei sind solche Grundstücke oder 
Grundstücksteile, die ohne landesherrliche Geneh- 
migung und ohne Zustimmung Dritter veräußert 
werden können. 
5. Die Fideikommißfolge. Die F. Folge 
tritt bei Tod oder Verzicht des Besitzers sowie 
dann ein, wenn er die stiftungsmäßig oft an be- 
stimmte Voraussetzungen (z. B. bestimmte Kon- 
fession) geknüpfte Anwartschaftsfähigkeit verliert. 
Folgerecht und Folgeordnung richten sich nach 
dem Willen des Stifters. Im Zweifel sind nur 
eheliche männliche Familienmitglieder des Manns- 
stamms berechtigt. Unter den möglichen Folge- 
ordnungen ist die Primogenitur die ver- 
breitetste; Bayern, Hannover und Braunschweig 
gestatten nur sie. In Hannover und Sachsen 
sowie für Landgüter im ALn ist zwar nicht ge- 
rade sie, aber irgend eine Form der Indivi- 
dualsukzession zwingendes Recht. Im ge- 
meinen und badischen Rechte ist auch Simul- 
tansukzession statthaft, und da beim Fehlen 
einer Anordnung des Errichters nach gemeinem 
Recht die gesetzliche Erbfolge eintritt, so kommt 
es dann immer zu einer Simultansukzession, 
wenn Miterben berufen sind; vielfach (insbeson- 
dere in Kurhessen und Ostfriesland häufig) findet 
sich kraft ausdrücklicher Anordnung des Errichters 
die Simultansukzession der verschicdenen Linien 
vorgeschrieben, so daß die Häupter der Linien 
in dauernd unteilbarem Gesamthandsverhältnis 
stehen (Ganerbschaft): dabei ist es im Laufe der 
Jahrhunderte durch fortgesetzte Linienspaltungen 
zu so hohen Zahlen von Mitbesitzern gekommen, 
  
daß auf den Einzelnen bisweilen nur ein Jahres- 
ertrag von einer Mark oder weniger entfällt. Das 
preußische Recht hat bei Landgütern den (ohne- 
dies unüblichen) Seniorat verboten: hier 
wäre der Aelteste des ganzen Geschlechts ohne 
Rücksicht auf Verwandtschaftsnähe zur Sukzession 
berufen; dieses System führt zu allzu häufigen, 
für die Gutswirtschaft schädlichen Besitzwechseln. 
Bei GeldF. hat das ALR weder den Seniorat 
noch (was streitig ist) die Simultansukzession ver- 
oten. 
Die F. Folge ist Universalsukzession in ein Son- 
dervermögen. Der Berufene erwirbt das Gut 
nach dem Satze: „Der Tote erbt den Lebendigen“ 
ohne Antrittserklärung, aber mit Ausschlagungs- 
recht. Ist er zugleich Allodialerbe des verstorbenen 
F. Besitzers, so darf er das F. annehmen und das 
Allod ausschlagen oder umgekehrt. Die Vor- 
stellung, daß jeder F. Besitzer nicht in das Recht 
seines Vormanns sukzediere, sondern in das des 
ersten Besitzers, ist vom Lehnrecht („successio 
ex pacto et providentia maiorum“) in das F. Recht 
übertragen worden. Es findet hiernach eine suk- 
zessive wiederholte Beerbung des Erstbesitzers 
statt, so daß z. B. der Anfall des Vermögens vom 
Bruder an den Bruder für die Berechnung der 
Erbschaftssteuer nicht als Kollateralen-, sondern 
als Deszendentenbeerbung überall da anzusehen 
ist, wo die Frage gesetzlich (wie im RErbsch Steuer G 
& 5 Abs 2) nicht anders entschieden ist. 
5 6. Veränderungen und Untergang. 1. Das 
F. Vermögen kann sich durch Surrogationen in 
seinem Bestande verändern (z. B. bei Enteignung): 
es kann erweitert werden dadurch, daß dem 
F.Gegenstand Bestandteile oder Zubehörstücke 
hinzugefügt werden, sowie durch „Nachstiftungen“, 
die wie Neugründungen zu behandeln sind. Eine 
der Stiftungsurkunde zuwiderlaufende Verän- 
derung in den Rechtsverhältnissen des F. ist ge- 
meinrechtlich nicht möglich, wohl aber landes- 
rechtlich durch Familienschluß. 
2. Das F. geht nach gemeinem Rechte nur 
unter bei Untergang des F. Objektes, bei Eigen- 
tumserwerb durch eine Person, deren Redlichkeit 
reichsrechtlich geschützt wird (EG z. BGB a 61) 
und bei Aussterben der berufenen Familie. Nach 
Landesrechten kann ein F. auch durch Rechts- 
geschäft ausgehoben werden, wozu es in Preußen 
eines Familienschlusses (s. o. § 4) bedarf. In 
Schlesien und Baden bedarf die Aufhebung der 
F. der landesherrlichen Genchmigung. Mit Un- 
tergang des F. wird das Vermögen in der Hand 
des letzten Besitzers freies Eigentum, außer wenn 
durch die Stiftungsurkunde ein Anfallberechtigter 
vorgesehen ist. 
§ 7. Der Staat und die Fideikommisse. Als 
ein rein privatrechtliches Institut, das es anfangs. 
war, hat sich das F. im gemeinen Rechte erhalten: 
hier wird weder die Errichtung staatlich genehmigt, 
noch findet eine Beausfsichtigung des errichteten 
F. statt. Aber nur eine kräftige staatliche Ueber- 
wachung kann den Gefahren einigermaßen steuern, 
die der Allgemeinheit von den Grundstücks F. her 
drohen. Das hat man seit dem 18. Jahrhundert 
zu erkennen begonnen, und die meisten Landes- 
rechte tragen dem zum Teil Rechnung: Staats- 
gesetze ziehen dem freiwaltenden Stifter- 
willen Schranken. Staatliche Verwaltungs- 
tätigkeit, teils diskretionäre, teils rechtlich gebun- 
 
	        
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