Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

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Agrargesetzgebung (Bayern — Sachsen) 
  
setze über die Benützung des Wassers, über die Be- 
wãsserungs- und Entwässerungsunternehmungen 
zum Zwecke der Bodenkultur sowie über den 
Uferschutz und den Schutz gegen Ueberschwem- 
mungen. Für die Bodenkultur nützlich war be- 
sonders die Regelung der Genossenschaftsbildung 
und die Anordnung des Zwangsbeitrittes. Erst 
das Wasser G v. 23. 3. 07 (vgl. O. Nägele 
im Jahrb Oeff K 2, 43 ff) brachte grund- 
legende Aenderungen dieses Wasserrechtes. Zu 
erwähnen sind hier zwei merkwürdige gesetzgebe- 
rische Versuche. Das G v. 28. 5. 55 über die Guts- 
zertrümmerung und v. 22. 2. 55 über die land- 
wirtschaftlichen Erbgüter. Das erstere Gesetz er- 
wies sich sehr bald als unwirksam, schon im Jahre 
1861 ward es beseitigt; das letztere gilt noch heute, 
aber es wurden nur 3 Erbgüter mit einer Gesamt- 
fläche von 4730 ha errichtet. 
Die folgenden Jahre brachten Gesetze über die 
Gewährleistung bei VBiehveräußerungen (besei- 
tigt durch das AE z. BGB), über die Zusammen- 
legung der Grundstücke v. 10. 11. 61 sowie über 
die Vermarkung der Grundstücke v. 18. 5. 68 
(revidiert durch Gv. 30. 6. 1900, das u. a. auch 
einen staatlichen Abmarkungsfonds schuf). Zu den 
  
ten die später vielfach ergänzten Vorschriften des 
PolStGB v. 26. 12. 71. 
In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhun- 
derts wurde infolge der steigenden Bedrängnis 
der Landwirtschaft das Begehren nach gesetzgeberi- 
schem Einschreiten heftiger. Dem Landesrechte 
war, neben der reichsgesetzlichen Sicherung ge- 
nügenden Zollschutzes und der Bekämpfung der 
Tierseuchen, vor allem die Gestaltung des land- 
wirtschaftlichen Kredit= und Versicherungswesens 
verblieben. Durch G v. 21. 4. 84 (ergänzt durch 
das AG z. BG B und G v. 18. 5. 1900) wurde eine 
Landeskulturrentenanstalt (bes. Art. 1) als Staats- 
anstalt gegründet, um die Beschaffung von Ka- 
pitalien für Kulturunternehmungen zu erleich- 
tern, während zur allgemeinen Hebung des Real- 
kredites unter Bereitstellung erheblicher Staats- 
mittel i. J. 1897 eine Landwirtschaftsbank ge- 
ründet wurde. Die Mittel ersterer Anstalt wurden 
urch G v. 24. 3. 08 auch sozialen und industriellen 
Zwecken der Landwirtschaft dienstbar gemacht. 
Von besonderer Bedeutung wurde die gesetzliche 
Ausgestaltung der staatlichen Versicherung gegen 
Vermögensschädigungen. Durch G v. 13. 2. 84 
ward eine Hagelversicherungsanstalt, durch Gv. 
11. 5. 96 eine Viehversicherungsanstalt (hiezu G 
v. G. 7. 08) und durch G v. 15. 4. 1900 eine Pferde- 
versicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit errichtet; 
die Anstalten werden von der Kgl Versicherungs- 
kammer verwaltet. 
Weitgehende agrarische Reformen ermöglichte 
das Flurbereinigungs G v. 29. 5. 86, welches das 
Gv. 1861 ersetzte. Der Landespferdezucht brachte 
das G v. 26. 3. 81 (Körordnung) mit mehreren 
wichtigen Vollzugsverordnungen (Gestütswesen, 
Verbot des Gaurittes), der Rindviehzucht das Gov. 
5. 4. 88, die Haltung und Körung von Zuchtstieren 
betr., wesentliche Förderung [7 Beschälwesenlj. 
Ein Gv. 1. 3.84 bewirkte die Anwendung und Ver- 
breitung eines besseren Hufbeschlages. Die Al zum 
Reichsviehseuchen G und zum R über die Abwehr 
und Unterdrückung der Reblauskrankheit nahmen 
weitgehende Rücksicht auf die landwirtschaftlichen 
  
  
Interessen durch Ueberweisung aller Ersatzleistungen 
auf die Staatskasse. 
Die Novelle zum Forst G v. 17. 6. 96 brachte 
neben einzelnen Begünstigungen für die kleineren 
Landwirte vor allem schärfere Bestimmungen ge- 
gen die zunehmende Abholzung der Privatwal- 
dungen und erhöhte Sicherstellung der notwendi- 
gen Aufforstungen. 
Besondere Begünstigungen der Landwirtschaft 
enthalten die zahlreichen Novellen zum Gebühren- 
G, das AG zu den Rünfall V, welches die Ver- 
waltung der landw. Berufsgenossenschaften dem 
Staate überwies, die Nov. zum Heimat= und 
Armen Gv. 17. 6. 86, 3. 2. 88 und 10. 5.02, welche zu 
Ungunsten der Städte eine wesentliche Entlastung 
der ländlichen Gemeinden von Armenlasten be- 
wirkten; auch das Schulbedarf G v. 28. 7. 02 zog 
Kreisgemeinden und Staat zu Gunsten der land- 
wirtschaftlichen Bevölkerung mehr zur Tragung 
des Schulaufwandes heran. 
Die Verhältnisse der Fischerei waren bisher auf 
Grund des PolStGB durch die LandesfischereiO 
v. 4. 10. 84 ungenügend geregelt; am 15. 8. 08 
1 wurde ein massenes Fischereic erlassen. Vgl. 
Jahrb OeffR 3, 484 ff. [J Fischereil. 
feldpolizeilichen Bestimmungen des RSt#B tra- " 
— –.. — 
—— — 
  
Lüteratur bei den Sonderartikeln. 
J. Graßmann. 
III. Sachsen 
# 1. Aelterer Zustand. 1 2. Die neue Gesetzgebung (Ab- 
lösung, Gemeinheitsteilung, Zusammenlegung). 3 3. Agrar- 
gesetzgebung im weiteren Sinne (Grundstücksteilung, Was. 
serrecht, Landeskulturrentenbank, Berufsvertretungen, Un. 
terrichts= und Kreditwesen). 
5J 1. Aelterer Zustand. Zu Beginn des 
19. Jahrhunderts lagen in Sachsen die 
Grund= und Bodenverhältnisse noch so sehr im 
Argen, daß an eine gesunde Bewegung und 
fortschreitende Entwicklung des Grundbesitzes nicht 
zu denken war. Der Grundbesitz war in der Haupt- 
sache geteilt in einen berechtigten und einen ver- 
pflichteten. Während zu Gunsten des ersteren die 
verschiedensten Zwangs-, Baun-, Erb= u. a. Rechte 
bestanden, waren dem letzteren Beschränkungen 
im Besitze und in der persönlichen Freiheit, aller- 
lei Fronen und Dienste, Geld= und Naturalleistun- 
gen auferlegt. Am drückendsten waren diese Lasten 
in der sächs. Oberlausitz. Dort bestand noch Erb- 
untertänigkeit und Schutzuntertänigkeit, dort war 
noch das Obereigentum der Gutsherrschaft gegen- 
über dem bloßen Nutzungseigentume des Besitzers 
anerkannt. Aber auch in den Erblanden gab es 
ein solches geteiltes Eigentum noch bei Lehns- 
gütern, Erbpacht= und Erbzinsgütern, es hatte sich 
Gutspolizei und Patrimonialgerichtsbarkeit noch 
erhalten, es war der Grundbesitz der Gutsunter- 
* gebunden durch die Rechte der Gutsherr- 
aft. 
Um diese drückenden Fesseln, deren Beengung 
mit der fortschreitenden Kultur immer lästiger 
empfunden wurde, zu lösen, setzte auch in Sach- 
sen nach dem Beispiele anderer Staaten all- 
mählich eine fortschrittliche Ge- 
setzgebung ein. 
Kleine Anfänge solcher positiven Gesetzgebung
	        
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