Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Freiwillige Gerichtsbarkeit (Nachlaß; Vormundschaft) 
gen Gerichtsbarkeit in vierfacher Beziehung an: es 
stellt klar den Bestand des Nachlasses — die Erb- 
folge — das Verhältnis zu den Nachlaß-Gläubi- 
gern — das Verhältnis unter den Miterben. 
Es erreicht diese Zwecke zum Teil mit den Mit- 
teln des öffentlichen Urkundwesens (Testament, 
Erbteilung), zum Teil mit denen des öffentlichen 
Buchwesens, indem es eingetretene Rechtswir- 
kungen, wenn auch nicht in Buchform, bezeugt 
(Erbschein). 
Die Klarstellung des Nachlaß-Bestan- 
des geschieht durch Siegelung, Verzeichnung 
oder Nachlaß-Pflegschaft, die aber nur dann an- 
geordnet werden, wenn der Erbe unbekannt ist 
oder sonst ein Notfall vorliegt (§§ 1960 ff BG „). 
Für gewöhnlich wird der Erbe mit solchen Maß- 
regeln nicht behelligt, kann vielmehr ohne behörd- 
liche Einmischung den Besitz der Erbschaft an- 
treten. Erbschaftsbesitzer, Miterben und Haus- 
genossen sind zu gewissen, unter Umständen eid- 
lichen Auskünften verpflichtet (S#& 2018, 2028, 
2057), der Eid wird auf Antrag im Verfahren 
gussterkiger Gerichtsbarkeit abgenommen (§ 163 
. J. 
Die Erbfolge wird klargestellt durch eine 
gewisse Oeffentlichkeit des Erb- 
schaftserwerbs (gerichtliche oder notarielle 
Beurkundung des Erbverzichts, Erbschafts-Aus- 
schlagung und ähnliche Erklärungen in beglaubig- 
⅝ter Form der Nachlaßbehörde einzureichen, 
#5 2348, 1945, 1955, 1491, 1492, 2081, 2281), 
durch amtliche Verwahrung und Er- 
öffnung der Testamente (&## 2246, 
2248, 2249, 2250, 2251, 2259 bis 2264) ver- 
bunden mit amtlicher Erzwingung der Heraus- 
gabe der im Privatbesitz verbliebenen Testamente 
(s 83 GFG)h, endlich durch den Erbschein,, 
d. i. ein auf Antrag erteiltes Zeugnis über die 
Erbfolge (§#§8 2353 bis 2370 BGB). 
Das Verhältnis zu den Nachlasß- 
Gläubigern wird klargestellt durch Auf- 
gebot der un bekannten Gläubiger 
(§ss 1970 bis 1974, 2061), Grundstücks- 
Versteigerung zwecks Ermittelung 
des Schuldenstandes (7* 175 Zwangs- 
versteigerungsG v. 24. 3. 97), Nachlaß- 
verwaltung und Nachlaßkonkurs 
zwecks Verwirklichung der auf den Nachlaß be- 
schränkten Haftung des Erben (§8#8 1975 bis 1992), 
Setzung der Inventarfrist und Forderung 
des Offenbarungseides zwecks Herbei- 
führung der unbeschränkten Haftung (§5 1993 ff). 
Die Auseinandersetzung unter 
den Miterben erfolgt auf Antrag in einem 
behördlichen Verfahren mit Versäumnis-Folgen 
gegen Nichterscheinende. Sonst ist hierin alles 
freiwillig: doch kann die Zwangsversteigerung 
von Nachlaßstücken durch den Widerspruch einzel- 
ner Miterben nicht gehindert werden (&5 181 
Zwangsversteigerungsgesetz); auch bietet die Te- 
stamentsvollstreckung ein Mittel, die Auseinander- 
setzung ohne Rücksicht auf den Widerspruch Ein- 
zelner zu bewirken. 
Die Behörde, in deren Hand sich diese 
Fäden vereinen, ist kraft Reichsrechts das Ge- 
richt. Jedoch ist dem Landesrechte überlassen, 
andere Behörden dazu zu bestimmen (a 147 E# 
z. BGB). Es hat nun Baden wie die grund- 
buchamtlichen so auch die nachlaßgerichtlichen 
  
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Verrichtungen dem Notariat übertragen, und 
Württemberg eine gemeindeamtliche Vor- 
mundschafts= und Nachlaß-Behörde gebildet, die 
aus dem Notar und vier gewählten Waisenrichtern 
besteht. Bayern und Elsaß-Lothrin- 
gen haben den Notaren die Verwahrung in ge- 
wissem Umfange auch die Eröffnung der Testa- 
mente, ferner die Zwangsversteigerung und die 
behördliche Erbauseinandersetzung übertragen, 
Diese letzte Aufgabe kann überhaupt in den mei- 
sten Bundesstaaten (Sachsen, Hamburg, Bremen 
bilden Ausnahmen) vom Gerichte den Notaren 
überwiesen werden. Im übrigen liegen die we- 
sentlichen Aufgaben des Nachlaßwesens überall 
in der Hand des Gerichts. 
56. V. Die Vormundschaftließe sich insofern dem 
Klarstellungszwecke der freiwilligen Gerichtsbar- 
keit einordnen, als sie durch Eingreifen der Staats- 
gewalt eine Verwirrung der Vermögensrechte 
Minderjähriger und Entmündigter verhüten will. 
Allein die Vermögensverwaltung ist, wenigstens 
theoretisch, nicht der Hauptzweck der Vormund- 
schaft; sie will das leibliche und geistige Wohl des 
Mündels fördern, und auch in der Vermögens- 
verwaltung ist dieses Wohl, nicht aber der Klar- 
stellungs-Zweck, der leitende Gedanke. Die Vor- 
mundschaft ist daher Wohlfahrts-, nicht Rechts- 
pflege und gehört deswegen der Gerichtsbarkeit 
üÜberhaupt nicht an. 
Das Reichsgesetz über die Angelegenheiten der 
freiwilligen Gerichtsbarkeit hat sie indessen mit 
aufgenommen. Es regelt Zuständigkeit und Ver- 
fahren, während das materielle Vormundschafts- 
recht im dritten Abschnitte des vierten Buchs ent- 
halten ist. Darnach erhalten einen Vormund: 
a) Minderjährige, wenn sie nicht unter väter- 
licher oder mütterlicher Gewalt oder nicht unter 
elterlicher Sorge stehen (X 1773 BGB). 
b) Volljährige, wenn sie wegen Geisteskrank- 
heit, Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunk- 
sucht entmündigt sind (3§ 6, 1896 BGB). 
Außerhalb dieser Fälle können Pfleger 
bestellt werden in Fällen, wo Jemand an der Be- 
sorgung einzelner Angelegenheiten verhin- 
dert ist. Der Pfleger steht im wesentlichen unter 
denselben Regeln wie der Vormund. 
Der Vormund wird von der Vormundschafts- 
behörde bestellt und beaufsichtigt. Er vertritt den 
Mündel, verwaltet sein Vermögen, das er nur in 
bestimmt vorgeschriebener Weise (mündelsicher) 
anlegen darf, unter Mitwirkung eines Gegen- 
vormunds, ohne dessen Genehmigung er 
über Rechte, Forderungen und Wertpapiere nicht 
verfügen kann, und der Vormundschaftsbehörde, 
deren Genehmigung zu einer Anzahl wichtiger 
Rechtsgeschäfte (Grundstücks-Veräußerung, Erb- 
teilung u. a.) erforderlich ist. Durch Testament 
kann der Vormund von einigen dieser Beschrän- 
kungen, sowie von der Rechnungslegung befreit 
werden. 
Vormundschaftsbehörde ist das 
Amtsgericht (5 35 GFG), wenn nicht das 
Landesrecht — was a 147 EG. z. BGB erlaubt 
— eine andere Behörde dazu bestellt. Dies ist 
geschehen: 
a) in Württemberg, wo die bereits un- 
ter § 5 erwähnte, aus dem Notar und vier Waisen- 
richtern bestehende Behörde das ordentliche Vor- 
mundschaftsgericht bildet, dem Amtsgerichte ne-
	        
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