Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Freiwillige Gerichtsbarkeit — Freizügigkeit 
  
ben der Aufsicht über dieses nur einzelne vor- 
mundschaftliche Geschäfte vorbehalten sind, 
b) in den beiden Mecklenburg, wo 
die Geschäfte des Vormundschaftsgerichts in ge- 
wissem Umfange Magistraten, Klosteramts-, Hof- 
staats-, Waisen-Gerichten und sogar — was mit 
dem Reichsrechte entschieden nicht verträglich — 
Gutsherrn als solchen übertragen sind, 
c) in Hamburg, das eine besondere, aus 
einem richteramtsfähigen Vorsitzenden und 12 
Laien bestehende „Vormundschaftsbehörde“ ge- 
bildet hat. 
Zur Ueberwachung der Erziehung und körper- 
lichen Pflege ist ein Gemeinde-Waisen- 
rat bestellt, dem auch das Recht zusteht, den 
Vormund vorzuschlagen. 
Ziemlich unpraktisch geblieben ist die Einrich- 
tung des Familienrats, der auf Grund 
letztwilliger Verfügung oder auf Antrag gebildet 
werden kann und dann aus dem Vormundschafts- 
richter als Vorsitzenden und zwei bis sechs Ver- 
wandten besteht und alle Befugnisse des Vor- 
mundschaftsgerichts hat. 
Viel versprechend dagegen sind die Anfänge 
einer Einrichtung, deren in den Landesrechten 
bereits angebahnte Entwickelung durch den Vor- 
behalt des a 136 EG z. BGB geschützt wurde: 
der Berufs-Vormundschaft. Das Lan- 
desrecht kann bestimmen, daß der Vorstand einer 
öffentlichen Erziehungs= oder Verpflegungs-An- 
stalt oder ein Beamter über die in der Anstalt 
oder unter Aufsicht des Beamten erzogenen Min- 
derjährigen alle Rechte und Pflichten eines Vor- 
mundes hat, bei unehelichen Kindern selbst dann, 
wenn sie bei der Mutter erzogen werden. Die 
Waisenhäuser in Hamburg und Lübeck 
hatten diese Rechte lange vor dem BG, Ham- 
burg hat sie neuerdings durch Gv. 11. 9. 07, 
Bayern durch G v. 23. 2. 08, Hessen 
durch G v. 19. 8. 05 neu geordnet; in Preu- 
ßen und wohl den meisten anderen Bundes- 
staaten ist sie in den A z. BG geregelt. Bis 
jetzt bestehen in Deutschland etwa 200 Berufs- 
Vormundschaften mit 50 bis 80 Tausend Mündeln. 
Literatur: Die Kommentare zum G#G von 
Dorner, Schultze-Görlitz, Wellstein, Rauenitz, Birkenbihl, 
Weißler, Fuchs, Josef und Ehbert-Dudek. Lindemann; 
Lehrbücher von Simßon und Josef; Kommentare des preu- 
ßbischen GFEG# von Schultze= Görlitz und Lberneck, 
sowie Wellstein; Frese, Die freiwill. Gerichtisb. in 
Sachsen, 1903; Keidel, Hu der freiwill. Gerichtsb. in 
Bayern, 1903. Für das Urkundenwesen besonders: Franzz, 
Das deutsche Notariat nach Reichsrecht, 1907; Jastrow, 
Formularbuch und Notariatsrecht, 15. Auflage 1910; 
Weißler, Formutarbuch für freiwill. Gerichtsb., 1 1911; 
Das Urkundenwesen der deutschen Staaten, herausgegeben 
vom Deutschen Notarverein 1907 (das Landesrecht aller Stao- 
ten und Oesterreichs enthaltend); Kloß, Das Beurkun- 
dungswesen (mit Ausschluß des Notariats) im Kgr. Sachsen, 
1901; Ders., Das Notariat im agr. Sachsen, 1900; Kai- 
senberg, Kommentar zum bayrischen Notariatsgesetze, 
1907; Dorner, Kommentar zur badischen Rechtspolizei- 
Gesengebung 1901; Reich, Oesterreichisches Notariats- 
Handbuch 1908. Kommentare zur Grundbuch- Ord- 
nung von Turnau, Förster, Predari, Güthe, Fuchs-Arn- 
heim, Willenbücher; zweibändiges Lehrbuch von Ober- 
neck; mit besonderer Rücksicht auf Württemberg: Klumpp 
1901—1904. Cohn, Das Handels= und Genossenschafts- 
  
— 
Register, 1910; Weißler, Das deutsche Nachlaßverfah- 
ren, 1900; Köhne u. Feist (früher Märcker), Die Nach- 
laßbehandlung, 1902; Borcherdt, Erbrecht und Nach- 
laßbehandlung, 1907; Boschan, Die Nachlaßsachen, 1905; 
Hoberstumpf-Barthelmeß, Das bayerische G 
v. 9. 8. 02, betr. das Nachlaßwesen, 1906. Die Lehrbücher 
und Erläuterungen des Bormundschaftsrechts 
von Fuchs, Philler, Schultzenstein u. Köhne, Schultheis, 
Schultetus und v. Blume liegen alle etwas zurück; besser 
unterrichtet man sich aus den großen Kommentaren des 
Ben und Frank, Handbuch des Vormundschaftswesens 
1910. Weisler. 
Freizügigkeit 
A. Reichsgebiet 
5s 1. Begriff und Wesen. 1 2. Inhalt des Rechtes. #3 
Voraussetzungen. 1 4. Beschränkungen. 
# 1. Begriff und Wesen der Freizügigkeit. 
I. Unter Freizügigkeit im weite- 
ren Sinne versteht man die rechtlich gesi- 
cherte freie Wahl des Aufenthalts- 
ortes (persönliche F.). In den Begriff der F. 
pflegt man auch das Recht einzuschließen, das 
Staatsgebiet zu verlassen (1 Auswanderungl. 
F. kann jemand besitzen zunächst in demjenigen 
Staate, dem er angehört. 
International wird die F., wenn das 
Aufenthaltsrecht nicht nur im Heimatstaat, son- 
dern in allen Staaten oder doch wenigstens in 
einer Anzahl von Staaten besteht. — 
Die freie Wahl kann begrifflich nur zustehen 
demjenigen, der wählen kann, also demjenigen, 
der willensfrei ist. Bestimmung des Aufenthalts- 
ortes durch den Willensvertreter (Eltern, Vor- 
mund) widerspricht nicht dem Grundsatz der F. 
Ebensowenig widerspricht der F., wenn zur Strafe 
(so auch nach § 39 StGB) oder zur Erfüllung 
öffentlich rechtlicher Pflichten z. B. der Wehr- 
pflicht die freie Wahl des Aufenthaltsortes auf- 
gehoben ist. Dem Gedanken der F. wäre auch 
nicht entgegen, wenn eine freiwillig übernommene 
Verpflichtung, einen gewissen Aufenthaltsort zu 
wählen, wie sice unmittelbar oder mittelbar bei 
Verträgen z. B. über Leistung persönlicher Dienste 
eingegangen wird, vom Rechte auch durch die 
staatliche Zwangsvollstreckung in ähnlicher Weise 
erzwungen würde, wie andere Leistungen. Allein 
dem steht die Erwägung entgegen einerseits, daß 
solche Verpflichtungen mitunter unüberlegt oder 
von wirtschaftlich Schwächeren gegenüber wirt- 
schaftlich Stärkeren eingegangen werden, anderer- 
seits, daß die eigene Bestimmung des Aufenthalts 
eines der wichtigsten Persönlichkeitsrechte ist. 
Darum schützt das Recht schon materiell nur mit 
Beschränkungen Verträge, welche die eigene Wahl 
des Aufenthalts auf längere Zeit hemmen; es 
lehnt aber auch eine zwangsweise Aende- 
rung des Aufenthaltsortes ab, sogar in der milde- 
ren Form des Zwanges durch Strafen (vgl. auch 
8 888 Abs. 1 3PO). 
Völlig durchgeführt ist diese Regel aber nicht 
und insofern ist das Prinzip der F. zwar nicht ver- 
letzt, aber doch tatsächlich gehemmt. Insbesondere 
im Bereich des Gesindewesens gelten in Deutsch-
	        
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