Freizügigkeit (A Reichsgebiet)
855
land partikulare Sonderbestimmungen IN| Ge-
sindepolizeil.
II. Trägt die F. im obigen Sinne mehr dem
Freiheitsgefühl Rechnung, so nützt die Frei-
zügigkeit im engeren Sinne dem
wirtschaftlichen Gedeihen einer Person. Zur
Freiheit des Aufenthalts muß die Freiheit
des Erwerbes kommen, oder richtiger die
rechtliche Gleichstellung des Aufenthaltnehmenden
mit den am gleichen Orte wohnenden Personen
(wirtschaftliche Freizügigkeit).
III. Im Feudal- und dann im Patrimonial-
staate ist, wie v. Gneist in der 1. Auflage dieses
Werkes (Band I S 450ff) zeigte, aus der Um-
gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse heraus
die F. mehr und mehr beschränkt worden. Die
bäuerliche Bevölkerung wird an die Scholle ge-
fesselt; in den Städten wehren die Zünfte den
Zutritt ab. „Zahllose sichtbare und unsichtbare
Bande fesseln die arbeitenden Klassen und sichern
für Stadt und Land die nötigen Arbeitskräfte.
Noch im 19. Jahrhundert ist nach Aufhebung der
Hörigkeit auch für die Angehörigen der mittleren
und kleineren Staaten ein Wechsel der Nieder-
lassung in ihrem eigenen Staate sehr erschwert;
insbesondere wird das Recht der Eheschließung
[UIHeimatt dem Nichtansässigen verkümmert.
Die Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse
führt zunächst in Preußen durch das G v. 31. 12.
1842 zu einer grundlegenden Aenderung. „Kei-
nem selbständigen preußischen Untertan darf an
dem Orte, wo er eine eigene Wohnung oder ein
Unterkommen sich selbst zu verschaffen imstande
ist, der Aufenthalt verweigert oder durch lästige
Bedingungen erschwert werden.“
Für das Gebiet des norddeutschen Bundes
führt diesen Grundsatz in Ausführung des a 3 der
Verf das R# v. 1. 11.67 (FG) ein, das nunmehr
im ganzen Gebiete des Reiches gilt (zuletzt nach
der Kais. V v. 29. 3. 09 R GBl 335)] auch für
Helgoland), dagegen nicht in den deutschen Schutz-
gebieten (unten B).
## 2. Inhalt der Freizügigkeit. I. Jeder Deut-
sche hat hiernach das — zumeist im Verw Streit-
verfahren verfolgbare — Recht, nicht nur in dem
Bundosstaat, dem er angehört, sondern im ganzen
Gebiete des Reiches sich aufzuhalten oder sich
niederzulassen und Grundeigentum zu
erwerben. Ueberdies kann er an jedem Ort trotz
mangelnder Staats= oder Gemeindeangehörig-
keit Rechtsgeschäfte abschließen und Gewerbe
betreiben wie ein Staats= oder Gemeinde-
angehöriger; der Nichtbesitz der Staats= oder Ge-
meindeangehörigkeit kann ihm nicht schaden, um-
petehrt ihn nicht besser stellen als den „Einheimi-
Die- F. schützt daher, wenn auch obrigkeitliche
„Beschränkungen durch lästige Bedingungen" ver-
boten sind, nicht vor Erfüllung derjenigen Aufla-
gen, welche auch den „Einheimischen“ treffen;
z. B. nicht vor der Verpflichtung zur Erwerbung
des Bürgerrechts usw.
Eine Verletzung dieser Vorschrift wäre es, wenn
eine Gemeinde wegen der Aufenthaltsnahme
(also nicht wegen Benutzung gemeindlicher Ein-
richtungen) eine Abgabe erheben wollte; das ist
ausdrücklich verboten in § 8 F.G. Der „Neu-
anziehende“ ist aber sogar dadurch bevorzugt, daß
er vor Ablauf von 3 Monaten nicht zu den Ge-
meindelasten herangezogen werden darf:; von
solchen freilich, die ihren Rechtsgrund in einem
Sachverhältnis haben, z. B. in der Tatsache des
Grundbesitzes, des Gewerbebetriebes ist er nicht
befreit; vgl. Preuß. Komm Abg G # 33 (Freiheit
von der Kommunaleinkommensteuer). Die GewO
(7 13) gestattet die Heranziehung eines Gewerbe-
treibenden als solchen zum Bürgerrecht erst nach
Ablauf von 3 Jahren; dabei darf überdies das
Bürgerrechtsgeld nicht gefordert werden. Um-
gekehrt wird durch den bloßen Aufenthalt oder
die bloße Niederlassung als solche die Staats-
angehörigkeit und die Gemeindeangehörigkeit
nicht begründet (§ 11). Hiefür sind die besonderen
Gesetze, hinsichtlich der Gemeindeangehörigkeit die
Landesgesetze maßgebend. Wenn diese wie dies
z. B. in Bayern der Fall ist, den Anspruch auf
Heimaterwerb auf Grund länger dauernden Auf-
enthalts nur Staatsangehörigen zugestehen, so
wird hieran durch die F. nichts geändert.
Die F. steht der Gültigkeit landesrechtlicher Vor-
schriften über die „Anmeldung" neu Anziehender
(Fremdenpolizei) nicht im Wege (§ 10). Die Ver-
fehlung gegen solche Vorschriften bewirkt aber
nicht den Verlust des Aufenthaltsrechts (I Mel-
dewesenl.
II. Die F. gilt für den Deutschen inner-
halb des Deutschen Reiches. Der Deutsche
hat aber dauch das Recht, das Reichsgebiet zu ver-
lassen, d. h. auszuwandern (KAüber Beschrän-
kungen in dieser Hinsicht Auswanderung l.
Im Auslande besitzt der Deutsche als solcher selbst-
verständlich ein Aufenthaltsrecht nicht. Die deut-
schen Schutzgebiete sind für den Deutschen
in dieser Hinsicht Ausland [Ausweisung
#J# 71. Durch Staatsverträge, insbesondere die
sogen. Niederlassungsverträge, ist dem Deutschen
in gewissem Umfang die Möglichkeit gewährleistet,
auch in einzelnen Gebieten des Auslandes sich
aufzuhalten und tätig zu sein; doch ist der Um-
fang dieser internationalen F. hier nicht zu er-
gn IJ Ausländer, Ausweisung, Armenwe-
en!l.
§ 3. Voraussetzungen. I. Nur dem Deut-
schen ist F. gewährt. Er muß auf „Verlangen“
die Reichsangehörigkeit d. h. die Angehörigkeit zu
einem deutschen Bundesstaat nachweisen (F.G
§s 2: PaßG F+8 3). Im einzelnen sind die landes-
gesetzlichen Bestimmungen maßgebend. Diese
dürfen aber (Paß G § 1) die Vorlage von „Pässen“
1 Reisepapieren nicht fordern []Paßwe-
enl.
Aufenthaltsrecht wird nur an jenem Orte ge-
währt, an welchem der Deutsche sich ein Un-
terkommen zu verschaffen imstande ist. Als
solches gilt nicht nur die eigene Wohnung, sondern
auch ein anderer „Aufenthaltsraum“ z. B. eine
Schlafstelle (so Bayer. Min E v. 4. 5. 71). Kann
jemand ein solches Unterkommen nicht finden,
so geht er für diesen Ort des Aufenthalts rechtes
verlustig; besser gesagt: das Reichsrecht hindert
seine Ausweisung aus diesem Orte nicht (be-
stritten; dagegen u. a. Seydel StR 3, 30 18).
Für willensunfähige und für unter elterlicher
Gewalt stehende Personen bestimmt den Auf-
enthalt der gesetzliche Vertreter. Sie müssen also
auf „Verlangen“ die Genehmigung dieses Ver-
treters zu ihrem Aufenthalt nachweisen. Die
Ehefrau, welche von der F. Gebrauch macht, be-