Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

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Freizügigkeit 
  
darf der Genehmigung des Ehemannes (F.G #2). 
Man wird annehmen dürfen, daß bei Mangel 
dieser Genehmigungen der Polizeibehörde 
nicht ein Recht auf Ausweisung eingeräumt wer- 
den sollte, sondern daß der (übrigens überflüssige) 
Vorbehalt die Befugnisse des gesetzlichen Ver- 
treters bezw. des Ehemannes schützen will. 
In Bayern ist das Aufenthaltsrecht des Heimat- 
berechtigten in seiner Gemeinde ein unbeschränk- 
tes. Oeffentlich-rechtliche und bürgerliche Ver- 
pflichtungen zu einem bestimmten Aufenthalt 
werden hiedurch natürlich auch in Bayern nicht 
beeinträchtigt. 
II. Der Ausländer hat in Deutschland 
eine rechtlich gesicherte F. nicht. 
In einer Anzahl von Reichs- und Landes- 
gesetzen werden Inländer und Ausländer einan- 
der gleichgestellt; doch wird beispielsweisc durch den 
erlaubten Betrieb eines Gewerbes die Auswei- 
sung [Jl des Ausländers nicht gehindert. Eines 
Passes bedarf der Ausländer weder zum Eintritt 
in das Reich noch zum Aufenthalt (s 3 des Paß- 
gesetzes). In Bayern hat der Ausländer, welchem 
eine vorläufige Heimat angewiesen ist, ein Auf- 
enthaltsrecht in der „Heimat“ und Freizügigkeit 
in Bayern (a 37 III des Heimatgesetzes). 
Ein Staatsloser ist Ausländer. Doch 
bestehen aus Staatsverträgen (Uebernahmever- 
träge, sog. Repatriierungsverträge) Verpflichtun- 
gen deutscher Staaten, einen früheren Angehöri- 
gen wieder aufzunehmen d. h. ihn in ihrem Ge- 
biete zu dulden. Ein Recht der F. entsteht daraus 
nicht; wohl aber kann unter Umständen ein An- 
spruch auf Verleihung der Staatsangehörigkeit 
begründet sein (vgl. § 21 Abs 5 des Staatsange- 
hörigkeitsgesetzes). 
III. Nimmt jemand die Zugehörigkeit zu einem 
deutschen Bundesstaat in Anspruch und erscheint 
seine Staatsangehörigkeit zweifelhaft, so besteht 
Zweifel über sein Aufenthalts rech t. Die Staats- 
angehörigkeit ist zunächst festzustellen. Zwar wird 
F. mangels der Voraussetzung in 8 21 des F. G 
nicht bestehen, andererseits aber eine Ausweisung 
aus dem Reichsgebiete unzulässig und, um dies 
geltend zu machen, auch die Klage vor den Verw- 
Gerichten möglich sein (arg. a contr. s& 130 Abs 3 
LVG). 
IV. Juristische Personen, Vereine usw. haben be- 
grifflich eine F. nicht [I noch Jesuitengesetz]; über 
ausländische juristische Personen KAusländer. 
#s# 4. Beschränkungen der Freizügigkeit sind 
nach zwei Hauptrichtungen zugelassen. Rücksich- 
ten auf das Wohl der Gemeinden be- 
stimmten das Gesetz, das Recht der Abweisung 
erwerbsunfähiger neu anziehender und die Aus- 
weisung gemeindefremder verarmter Personen 
einzuräumen. Diese „armenpolizeilichen“ Be- 
schränkungen (F.G #4, 5ff) sind im Artikel 
„Armenrecht“ behandelt (oben S. 201, auch 193). 
Rücksichten auf die öffentliche Sicher- 
heit führten zu denjenigen Beschränkungen 
bestrafter Personen, die das Gesetz in 
z 3 anordnet bezw. aufrecht erhält. 
A. Zunächst gewährt das F. Gesetz eine allge- 
meine reichsrechtliche Befugnis zur 
Landesverweisung. Man wollte den 
Befürchtungen begegnen, daß durch den freien 
Zug einzelne Staaten und Orte mit zweifelhaften 
Personen überschwemmt würden und schuf daher 
  
  
Ausweisungsbefugnisse, die allerdings in diesem 
Umfange kaum notwendig gewesen wären. 
1. „Solchen Personen, welche in einem Bundes- 
staate innerhalb der letzten 12 Monate wegen 
wiederholten Bettels oder wegen 
wiederholter Landstreicherei be- 
straft worden sind, kann der Aufenthalt in jedem 
anderen Bundesstaat von der Landespolizeibe- 
hörde verweigert werden.“ Die Bestimmung hat 
viele Zweifel hervorgerufen, die hier nicht erör- 
tert werden können. Folgendes entspricht der 
überwiegenden Meinung: Kein deutscher 
Staat darf seinen eigenen Staats- 
angehörigen aus seinem Staatsgebiete 
ausweisen. Den staatsfremden Deutschen 
kann aber jeder deutsche Bundesstaat ausweisen, 
auch derjenige, in welchem die Verurteilung er- 
folgt ist. Die Landesverweisung kann verfügt 
werden, wenn die Bestrafung (nicht bloß die Fest- 
stellung einer strafbaren Handlung) in die der Ver- 
fügung vorausgehenden 12 Monate fällt: Eine 
andere Verurteilung wegen der gleichen Ueber- 
tretung muß vorausgegangen sein („wiederholt"); 
wann und wo diese erfolgte, ist gleichgültig. — Die 
Staatsanwälte sollen den Landespolizeibehörden 
von jeder wegen Bettelns oder Landstreichens 
erfolgenden Verurteilung eines deshalb schon 
vorbestraften Angchörigen eines andern Glied- 
staates Mitteilung machen (Preuß. Justiz Min E 
v. 27. 5. 03). 
Die deutschen Bundesregierungen sind 1894 
übereingekommen (vgl. z. B. pr. Min. Erlaß v. 28. 
7. 94, Abdruck im preuß. Mli V S. 147; Weber, 
Bayer. Gesetzsammlung 22, 668; 23, 103; Hein- 
richs, Niederlassungsverträge 144), daß auch der 
Staat, in welchem der Bestrafte zwar nicht die 
Staatsangehörigkeit, aber einen Unterstützungs- 
wohnsitz (Heimatrecht) besitzt, ihn nicht aus- 
weisen solle. Keine Einigung wurde darüber 
erzielt, ob auch der Staat, welcher die Bestrafung 
ausgesprochen hat, ausweisen dürfe. Die süd- 
deutschen Staaten (Bayern, Württemberg, Ba- 
den; ferner Hamburg, Lübeck) halten an der Zu- 
lässigkeit auch für diesen Fall fest, Preußen an der 
entgegengesetzten Auffassung, doch handelt Preu- 
ßen gegenüber den süddeutschen Staaten so, wie 
diese nach ihrem Standpunkt gegenüber Preußen. 
Einigkeit besteht auch darüber (Bheschl v. 
26. 6. 89), daß die Ausweisung nicht dazu benützt 
werden solle, die infolge Ueberweisung an die 
Landespolizeibehörde zulässige Unterbringung in 
einem Arbeitshaus zu ersparen. 
Die Ausweisung erfolgt immer nur für den 
Staat, der sie verhängt; für jeden Staat muß 
also eine besondere Verfügung vorliegen. Welche 
Behörde hiemit betraut wird, ist Sache des Lan- 
desstaatsrechtes. Nicht unzulässig wäre es, den 
Aufenthalt zu verweigern, noch bevor der Be- 
strafte das Landesgebiet betreten hat. 
Die Landesverweisung kann sich nicht über 12 
Monate seit Verbüßung der letzten Strafe er- 
strecken, welche die Ausweisung begründete. Die 
Unterbringung in einem Arbeitshaus ist als Ne- 
benstrafe zu erachten; die Frist läuft also erst von 
der Entlassung aus dem Arbeitshaus. Die Lan- 
desverweisung erstreckt sich nur auf den Bestraf- 
ten, nicht auf seine Familienangehörigen. Doch 
kann es unter Umständen bei diesen zu einer 
armenpolizeilichen Ausweisung kommen.
	        
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