Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
94 Gemeinde (III. Organisation) 
  
der Frauen, Minderjährigen und Nichthessen, die- 
jenigen Gem Angehörigen, welche kraft einer be- 
sonderen Rechtshandlung die Ortsbürgerrechte be- 
sitzen. Diese Rechte umsassen den Anteil an den 
Nutzungen der Allmende, auch treten zur Zeit die 
Ortsbürger früher wie die anderen Einwohner in 
den Besitz der Gem Wahlrechte ein. 
Als Organe der Stadt Gem dienen nach der StO 
v. 13. 6. 74 die Stadtverordnetenversammlung, der 
Bürgermeister, die Beigeordneten, die VerwiDepu- 
tationen und gewisse Gem Beamte. Der Bürger- 
meister ist die Obrigkeit der Stadt und verwaltet 
die städtischen Gem Angelegenheiten. Als Stadt- 
vorstand ist jedoch nach der derzeitigen Städte- 
ordnung zur Zeit der Bürgermeister und die 
Stadtverordnetenversammlung zu verstehen. Bür- 
germeister und Beigeordnete werden nach a 30 
St O als „Magistratspersonen" bezeichnet. Doch 
ist diese Bezeichnung nicht korrekt, da das Gem- 
Verfassungsrecht dic Möglichkeit einer Magistrats- 
verfassung erst in zweiter Linie kennt und zur Zeit 
ein Magistrat auf Grund der gegenwärtigen. 
Städteordnung noch nicht einge führt ist. 
A. Stadtgemeinden 
I. Verfassungsmäßige Organe im eigentlichen 
Sinne 
  
## 2. 1. Stadtverordnetenversammlung. Die 
Stadtverordnetenversammlung besteht je nach 
der Einwohnerzahl der Stadt aus 12 bis 42 ge- 
wählten Mitgliedern; außerdem gehören ihr der 
Bürgermeister und die Beigeordneten mit vollem 
Stimmrechte an. Die Wahl der Stadtverordne- 
ten geschicht durch alle Angehörigen der politischen 
Gem kraft gleichen Wahlrechts. Die politische Gem 
umfaßt die Einwohner männlichen Geschlechts, 
welche 25 Jahre alt sind, die deutsche Reichs- 
angehörigkeit besitzen und in der Gem kommnnal- 
stcuerpflichtig sind. Das Wahlrecht erfordert 
außerdem den Erwerb des Unterstützungswohn- 
sitzes seit mindestens 2 Jahren. (In Zukunft 
genügt dreijähriges Wohnen). Die Wahl der 
Stadtverordneten geschieht auf 9 Jahre. Alle 
3 Jahre scheidet ½ aus und wird durch Neu- 
wahlen ersetzt. Das passive Wahlrecht zur Stadt- 
verordnetenversammlung hat im wesentlichen die 
gleiche Voraussetzung wie das aktive Wahlrecht, 
doch muß die Hälfte der Stadtverordneten eines 
jeden Wahlbezirks dem höchstbesteuerten Drittel 
der Wählbaren angehören. Das Amt des Stadt- 
verordneten ist ein Ehrenamt. Eine Bestätigung 
der Wahl ist nicht erforderlich. Der Stadtver- 
ordnete ist an die Anweisungen seiner Wähler 
nicht gebunden. Er ist verpflichtet, sich an den 
Verhandlungen zu beteiligen. Lehnt er an- 
dauernd seine Teilnahme ab, so wird er vom 
Gesetze so behandelt als ob er die Wahl ablehnt. 
Die Stadtverordnetenversammlung hat über alle 
Gem Angelegenheiten zu beschließen, soweit die- 
selben nicht ausschließlich dem Bürgermeister über- 
wiesen sind. Sie gibt ihr Gutachten über alle 
Gegenstände ab, die ihr zu diesem Zwecke durch die 
Aufsichtsbehörde vorgelegt werden. Ueber andere 
als Gem Angelegenheiten darf die Stadtverord- 
netenversammlung nur dann beraten, wenn solche 
durch besondere Gesetze oder in einzelnen Fällen 
durch die Aufsichtsbehörde an sie gewiesen sind 
  
(a 36 StO). Sollte die Stadtverordnetenver- 
sammlung auf Beschlüssen beharren, die nach der 
Entschließung der Aufsichtsbehörde als ungesetzlich 
bezeichnet werden, oder sollte sie sich fortgesetzt der 
Ausübung ihrer Amtstätigkeit entziehen, so kann 
sie durch Beschluß des Min Inn aufgelöst werden. 
Vor der Auflösung ist der Provinzialausschuß 
gutachtlich zu hören. In diesem Falle hat binnen 
4 Wochen die Anordnung einer Neuwahl der gan- 
zen Versammlung stattzufinden (a 123, 12). 
# 3. 2. Bürgermeister und Beigeordnete. 
I. Bürgermeister. Der Bürgermeister wird 
durch die Stadtverordnetenversammlung gewählt. 
Es entscheidet die absolute Stimmenmehlheit, 
sonst Stichwahl zwischen den beiden höchstbe- 
stimmten Personen. Die Wahl bedarf der Be- 
stätigung des Großherzogs. Sollte die Bestätigung 
zweimal versagt werden, so ist das Min Inn be- 
rechtigt, die Stelle einstweilen auf Kosten der Stadt 
kommissarisch verwalten zu lassen. Dasselbe findet 
statt, wenn die Stadtverordnetenversammlung 
die Wahl verweigern, oder den nach der ersten 
Wahl nicht bestätigten wieder wählen sollte. Die 
Wahl erfolgt auf 12 Jahre, eine Wiederwahl ist 
auch auf Lebzeiten möglich. Es ist jeder deutsche 
Reichsangehörige wählbar, eine besondere be- 
rufsmäßige Vorbildung ist von dem Gesetz nicht 
verlangt. Der Bürgermeister ist besoldeter Be- 
rufebeamter. Sein Gehalt und seine Pension 
wird mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde durch 
die Stadtverordnetenversammlung festgesetzt. Die 
Festsetzung des Gehalts hat vor der Wahl zu er- 
folgen. Die Pension beträgt, wenn er nicht wie- 
dergewählt oder ohne sein Verschulden dienst- 
untauglich wird, nach 12jähriger Dienstzeit die 
Hälfte, nach 24jähriger Dienstzeit 25 des Ge- 
haltes. Die Entlassung des Bürgermeisters ist nur 
im Disziplinarwege oder im Falle der erweis- 
lichen Dienstuntauglichkeit möglich. In diesem 
Falle hat die Stadtverordnetenversammlung, das 
Min Inn nach vorausgegangener kollegialischer 
Beratung und der Landesherr der Entlassung zu- 
zustimmen. Disziplinär unterliegt der Bürger- 
meister den gleichen Bestimmungen, welche für 
die nicht richterlichen Staatsbeamten gelten. 
Eine Strafversetzung ist jedoch nicht möglich. 
Die Geschäfte des Bürgermeisters sind im An- 
schluß an die heute noch in Preußen geltenden 
städterechtlichen Bestimmungen französischen Ur- 
sprungs in a 49 aufgezählt. Hiernach ist der 
Bürgermeister Ortsobrigkeit und Gem Verwal- 
tungsbehörde im weitesten- Sinne. 
1II. Beigeordnete. Die Beigeordneten 
sind bestimmt, den Bürgermeister in Verhinde- 
rungsfällen und während der Erledigung des Am- 
tes zu vertreten, auch einzelne ihnen aufgetragene 
Geschäfte oder Geschäftszweige der städtischen 
Verwaltung zu besorgen. Der Bürgermeister ist 
nach dem Gesetz die Ortsobrigkeit und hat die 
Verantwortung für die gesamte Verwaltung. 
Die Zahl der Beigeordneten ist mindestens zwei. 
Doch kann durch Ortsstatut deren Zahl höher 
bemessen und in gleicher Weise bestimmt wer- 
den, ob und wieviel Beigeordnete mit Besoldung 
angestellt werden sollen. Den Beigeordneten 
kann der Titel „Bürgermeister“ durch Dekret des 
Landesherrn verliehen werden. Sie werden in 
gleicher Art gewählt und bestätigt wie der 
Bürgermeister. Der Bürgermeister und die Bei- 
 
	        
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