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Gerichtsverfassung
(Reichsbeamtengesetz 3 79), die Ansprüche wegen
Rückzahlung von Reichsstempelabgaben (Reichs-
stempel G v. 15. 7. 09 #5 94), die Entschädigungs-
ansprüche für Rayonbeschränkungen (Rayon G v.
21. 12. 71 & 40) Im übrigen ist die Frage,
was als bürgerliche Rechtsstreitigkeit vor die
ordentlichen Gerichte gehört, nach Landesrecht
zu beantworten. Die Reichsgesetzgebung hat sich
absichtlich auf diesen Standpunkt gestellt, weil der
Umfang der sog. Justizsachen nach den einzelnen
Landesrechten sehr verschieden ist und in so inni-
eem Zusammenhange mit dem gesamten Verw-
Recht steht, daß eine reichsgesetzliche Regelung
der Materie schwer ausführbar gewesen wäre
(vgl. Mot z. GG 32, Hahn, Materialien 47).
Eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit liegt vor, wenn
es sich um das Rechtsgut und die individuelle
Rechtssphäre einer einzelnen natürlichen oder
juristischen Person handelt, mag auch die Ver-
pflichtung im öffentlichen Rechte wurzeln (Re
57, 352; Pr. Verw Bl 30, 177). Der Rechtsweg
ist für alle staatsrechtlichen Ansprüche grundsätz-
lich ausgeschlossen, für privatrechtliche grundsätzlich
zugelassen (RG#Z# 53, 429; 46, 249), doch finden sich
Ausnahmen nach beiden Richtungen (Droop,
Rechtsweg in Preußen, 1899; Otto Stölzel,
Rechtsweg und Kompetenzkonflikt, 1901). Zulässig
ist es, wie z. B. in Bremen geschehen jedem, der
sich durch eine Verwaltungsmaßregel gekränkt
glaubt, ohne Einschränkung den Rechtsweg zu er-
öffnen (Brem Verf v. 1. 1. 1894 § 15, Rö IW
1911, 40727) (J Rechtsweg und Kompetenzkonfliktl.
Für Strafsachen, d. h. Angelegenheiten,
in denen eine im Gesetze zum Schutze der Rechts-
ordnung und der Rechtsgüter angedrohte krimi-
nelle oder polizeiliche Strafe verhängt werden
soll, gilt dagegen reichsrechtlich der Grundsatz, daß
die ordentlichen Gerichte, neben denen nur in sehr
geringem Umfange besondere Gerichte zugelassen
sind, über Strafsachen zu entscheiden haben.
Strafsachen können nur dann von Verw Behörden
entschieden werden — und zwar stets nur vorbe-
haltlich des Rechtswegs — wenn durch Reichs-
gesetz unmittelbar Strafsachen VerwBehörden
überwiesen sind, wie z. B. die Post= und Porto-
defraudationen durch das Reichspost G v. 28. 10.
71 34 ff, oder der Landesgesetzgebung durch
Reichsgesetz die Ermächtigung zu einer solchen
Ueberweisung gegeben wurde (vgl. St PO §## 453
bis 458 wegen der Uebertretungen). Die Militär-
gerichtsbarkeit IU in Strafsachen ist geregelt durch
die MSt GO nebst E v. 1. 12. 98.
Der Umfang der „streitigen Gerichtsbarkeit“
ist daher nur teilweise durch Reichsgesetz bestimmt,
im übrigen ist für ihn das Landesrecht maßgebend.
Wenn hienach auch im Wege der Landesgesetz-
gebung die Regeln für die Bestimmung des Um-
fanges der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit
und damit der Zuständigkeit der ordentlichen.
Gerichte getrofsen werden können, so ist doch den
Einzelstaaten verboten, in die gesetzlich bestimmte
Zuständigkeit für ein zelne Fälle einzugrei-
fen, denn nach § 16 GVW darf niemand seinem
ordentlichen Richter entzogen werden und Aus-
nahmegerichte sind, abgesehen von den die Ver-
hängung des Belagerungszustandes INI voraus-
setzenden Kriegsgerichten und Slandrechten, un-
statthaft.
Die freiwillige Gerichtsbarkeit 19/1
ist jetzt gleichfalls reichsgesetzlich geregelt durch das
R über die Angelegenheiten der freiw G. (FGG)
und die Grundbuchordnung (GB0), beide in der
Fassung v. 20. 5. 98. Vereinzelte Verfahrens-
vorschriften finden sich auch im BGB und HG#B.
Die freiwillige Gerichtsbarkeit im Felde und
an Bord ist Gegenstand eines besonderen Rö
v. 28. 5. 01 (MilFGG). FGG und GB0 waren
keine Kodifikationen, sondern erwarteten ihre Er-
gänzung durch Ausführungsvorschriften, die nur
zum Teil von der Reichsgewalt erlassen worden
sind (Bundesratsvorschriften über die Führung
der öffentlichen Register), im übrigen durch Lan-
desgesetze und Rechtsverordnungen der Landes-
justizverwaltungen getroffen wurden. In der
freiwilligen Gerichtsbarkeit ist zu unterscheiden
zwischen den Geschäften, die durch Reichs-
gesetz den ordentlichen Gerichten
übertragen (Vormundschafts- und Nachlaßsachen,
Registerführung, — aber nicht Urkundsgeschäfte,
RGZ 58, 97) und solchen, die ihnen nur durch
Landesgesetz zugewiesen sind (z. B. Grund-
buchsachen). Nur für die ersten gelten nach FG
##2? die. allgemeinen Vorschriften des FG und die
Rechtshilfevorschriften (§s§158—169) des GVe#kraft
Reichsrechts; auf die letzten sind aber die meisten
Vorschriften kraft Landesrechts erstreckt (Preußen:
Pr. FGM a 1) IXN Freiwillige Gerichtsbarkeitj.
II. Neben den ordentlichen Gerichten kennt das
GVG noch besondere Gerichte, und zwar in
einer doppelten Weise, nämlich solche, die vom
Reiche selbst bestellt sind und solche, die reichsge-
setzlich zugelassen sind, so daß es den Einzelstaaten
freisteht, solche Gerichte zu bestellen. Reichsgesetz-
lich bestellte besondere Gerichte sind: I. die
Konsulargerichte; 2. die Gerichte in den Schutz-
ebieten; 3. Gewerbe= und Kaufmannsgerichte,
Innungen und Innungsschiedsgerichte, Bau-
schöffenämter (R 1. 6. 09); 4. die Schiedsgerichte
für die Arbeiterversicherung (nach der Reichsver-
icherungsordnung v. 19. 7. 11: Versicherungs-
ämter und Oberversicherungsämter und das
Reichsversicherungsamt); 5. die Militärgerichte;
6. die Prisengerichte; 7. das Bundesamt für
Heimatwesen; 8. die Secämter und das Ober-
secamt; 9. das Reichsaufsichtsamt für Privat-
versicherung; 10. das Reichseisenbahnamt; 11. die
Reichsrayonkommission.
Diesen Gerichten, die zum Teil nur Verw-
Behörden mit gerichtsähnlicher Organisation sind,
wird sich (nach einer noch schwebenden Gesetzes-
vorlage) als höchste Instanz für Sachen der
Konsulargerichte und Schutzgebietsgerichte ein
Kolonialgerichtshof anreihen (DJZ 1910 S. 567).
Reichsgesetzlich zugelassen als besondere
Gerichte sind (vgl. 14 GV0#);: 1. die auf
Staatsverträgen beruhenden Rheinschiffahrts-- und
Elbzollgerichte (J|; 2. die Auseinandersetzungs-
behörden, denen die Entscheidung von bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten bei der Ablösung von Gerech-
tigkeiten oder Reallasten, bei Separationen, Kon-
solidationen, Verkoppelungen gutsherrlich-bäuer-
lichen Auseinandersetzungen und dergleichen ob-
liegt, in Preußen Generalkommissionen und
Oberlandeskulturgericht Auseinandersetzungen);
3. Gemeindegerichte (JI.
Insoweit bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und
Strafsachen besonderen Gerichten zugewiesen
siind, gehören sie nicht mehr zur ordentlichen strei-