Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Gerichtsverfassung 
  
ein festes Gehalt mit Ausschluß von Gebühren und fahren in Entmündigungssachen, die Zwangs- 
nach §9 GVW darf wegen vermögensrechtlicher 
Ansprüche der Richter aus ihrem Dienstverhält- 
nisse insbesondere auf Gehalt, Wartegeld und 
Ruhegehalt der Rechtsweg nicht ausgeschlossen 
werden. Diese Vorschriften beziehen sich nur auf 
Berufsrichter und finden auf Handelsrichter, 
Schöffen und Geschworene keine Anwendung 
(GV #11). b) Vorschriften über die Bildung 
der Senate und Kammern bei den Kollegialgerich- 
ten und die Geschäftsverteilung bei ihnen (GV#G 
3s5s 62, 63, 121), welche den Zweck haben, die Zu- 
sammensetzung solcher Gerichtsabteilungen mög- 
lichst der Einwirkung der Justizverwaltung zu ent- 
ziehen. Einen ähnlichen Zweck verfolgen c) die 
Vorschriften über die Vertretung der Richter und 
die Zuweisung von Hilfsrichtern (GVG 69). 
Beim Reichsgerichte ist die Zuziehung von Hilfs- 
richtern unzulässig (GV G F# 134), ausnahmsweise 
aber durch die Novelle v. 22. 5. 10 bis zum 31. 12. 
1913 zugelassen. Bei den OL# dürfen nur fest- 
angestellte Richter als Hilfsrichter beschäftigt 
werden (GVG F· 122). 
3. Trennung der Justiz von der Ver- 
waltung. Es heißt nämlich (§4 EGGV); „daß 
durch die Vorschriften des GVG die Landesgesetz- 
gebung nicht gehindert ist, den Gerichten Geschäfte 
der Justizverwaltung zu übertragen, daß aber an- 
dere Gegenstände der Verwaltung den ordentli- 
chen Gerichten nicht übertragen werden dürfen.“ 
Durch diese Vorschrift ist den Einzelstaaten verbo- 
ten, Verweschäfte den ordentlichen Gerichten 
zu übertragen, d. h. es müssen gesonderte Behör- 
den für die Rechtspflege und für die Verwaltung 
eingerichtet sein, dagegen ist es zulässig, daß der- 
selbe Beamte gleichzeitig ein richterliches Amt 
und ein Verwümt führt. 
II. Während die Gerichte grundsätzlich Gerichte 
der Einzelstaaten sind, ist zur gleichmäßigen und 
übereinstimmenden Auslegung und Handhabung 
der Gesetze die Gerichtsbarkeit höchster Instanz auf 
das Reich selbst übertragen. Das Reichsgericht ist 
aber durch das fortdauernde Anschwellen der ge- 
richtlichen Geschäfte so überlastet worden, daß in 
den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten seine Zu- 
ständigkeit wiederholt hat eingeschränkt werden 
müssen (vgl. unten), in den Prozeßsachen mitt- 
lerer Werte liegt mithin das Schwergericht der 
Rechtsprechung jetzt bei den OLEG. Demgemäß 
gestaltet sich die Gerichtsverfassung wie folgt: 
1. Amtsgerichte. Ihnen stehen Einzel- 
richter vor; auch wenn ein Amtsgericht mit 
mehreren Amtsrichtern besetzt ist, erledigt jeder 
Amtsrichter die ihm obliegenden Geschäfte als 
Einzelrichter (5 22 GVWG). Die Zuständigkeit der 
Amtsgerichte umfaßt nach Reichsrecht in bürger- 
lichen Rechtsstreitigkeiten, soweit sie nicht ohne 
Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes 
den Landgerichten zugewiesen sind (GVG 70): 
a) Streitigkeiten über vermögensrechtliche An- 
sprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldes- 
wert die Summe von 600 Mark nicht übersteigt 
(Prozeßnovelle v. 1. 6. 09); b) gewisse, eine rasche 
Erledigung erheischende oder einfache Rechts- 
streitigkeiten und Angelegenheiten ohne Rücksicht 
auf den Wert des Streitgegenstandes (§23 GV)j: 
c) Außerdem gehören zur Zuständigkeit der Amts- 
gerichte eine Reihe besonderer Verfahrensarten 
(Mahnverfahren, Sühneverfahren, Beschlußver- 
  
  
vollstreckung, das Konkursverfahren). 
In der freiwilligen Gerichtsbarkeit liegt dem 
Amtsgerichte bei der überwiegenden Mehrzahlaller 
Sachen das Verfahren erster Instanz ob, soweit 
überhaupt die Zuständigkeit der ordentlichen Ge- 
richte reichs- oder landesgesetzlich begründet ist. 
Das Amtsgericht hat also die Aufgaben des Vor- 
mundschafts= und Nachlaßgerichts, des Register- 
gerichts und Grundbuchamts zu erfüllen, es ist 
ferner Urkundsbehörde für das sog. gerichtliche 
Notariat. Landesgesetzlich gelten davon Aus- 
nahmen. So haben Bayern, Baden und Elsaß- 
Lothringen die gerichtliche Zuständigkeit für 
Urkundswesen fast ganz ausgeschlossen (Bayr. 
Not.G a 1ff; Bad. Rechtspolizeic ## 34 ff; 
Els.Lothr. AG FGG 8 44). In Baden sind 
den Notaren auch die Verrichtungen des Nachlaß- 
gerichts übertragen (Bad. Rechtspol.G 8 45). In 
Württemberg verwaltet der „Bezirksnotar“ 
das Grundbuchamt und bildet ferner mit 4 ge- 
wählten „Waisenrichtern“ das „ordentliche Vor- 
mundschafts= und Nachlaßgericht" (Württ. AG# 
BGB a 3¾, 4, 72) I/X Freiwillige Gerichtsbar- 
keit, Notarel. 
Für die Verhandlung und Entscheidung von 
Strafsachen (Uebertretungen und gewisse Ver- 
gehen), für die sie teils kraft Gesetzes, teils erst 
kraft Ueberweisung der Strafkammer zuständig 
sind, werden bei den Amtsgerichten Schöffen- 
gerichte gebildet, welche aus dem Amtsrichter 
als Vorsitzenden, und zwei Schöffen bestehen, also 
kollegialisch eingerichtet sind (§&# 25 ff GVdG). 
2. Die kollegialisch eingerichteten Landge- 
richte sind mit einem Präsidenten und der er- 
forderlichen Anzahl von Direktoren und Mitglie- 
dern besetzt; sie zerfallen in Zivil- und Straf- 
kammern (5 58—59 GV). 
Vor die Zivilkammern einschließlich der 
Kammern für Handelssachen gehören alle bürger- 
lichen Rechtsstreitigkeiten, welche nicht den Amts- 
gerichten zugewiesen sind; sie sind ferner die Be- 
rufungs= und Beschwerdegerichte in den vor den 
Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechts- 
streitigkciten (§§ 70, 71 GV). 
Die Landesjustizverwaltung kann, wenn ein 
Bedürfnis vorhanden ist, bei den Landgerichten 
für deren Bezirke oder für örtlich abgegrenzte 
Bezirksteile Kammern für Handels- 
sachen bilden. Vor sie gehören die im 9101 GG 
aufge zählten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Han- 
dels- und Wechselsachen), und zwar seit der Pro- 
zeßnovelle v. 1. 6. 09 auch die Beschwerden und 
Berufungen in Handelssachen. In der freiw. G. 
gehört die Beschwerde in Handelssachen ebenfalls 
vor die Kammer für Handelssachen (FGG 730), 
die hier sogar die Zuständigkeit der Zivilkammer 
ausschließt, während in bürgerlichen Rechts- 
streitigkeiten es nur dem Kläger (Berufungskläger) 
freisteht, Verhandlung vor der Kammer für 
Handelssachen zu venangen. Die Kammern für 
Handelssachen entscheiden in der Besetzung mit 
einem Mitgliede des Landgerichts und zwei Han- 
delsrichtern, die ihr Amt als Ehrenamt versehen 
und auf gutachtlichen Vorschlag des zur Vertre- 
tung des Handelsstandes berufenen Organs für 
die Dauer von drei Jahren ernannt werden (GVG# 
I## 100, 101, 109 ff). 
Die Strafkammenrn, die auch bei einem
	        
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