Gerichtsverfassung (Gerichtsgemeinschaften)
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(a 6) enthalten die ausdrückliche Vorschrift, daß
die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz
im Sinne des 88 EG GVG dem Reichsgericht zu-
gewiesen wird. Daher ist das Oberste Landes-
gericht für das bürgerliche Recht, soweit es auf
Reichsrecht beruht, jetzt im wesentlichen ausge-
schaltet.
Nach §+ 142 GV muß bei jedem Gericht eine
Staatsanwaltschaft bestehen. Das Amt
der Staatsanwaltschaft wird ausgeübt: 1. bei
dem Reichsgerichte durch den Oberreichsanwalt
und durch einen oder mehrere Reichsanwälte;
2. bei den Oberlandesgerichten, bei den Land-
gerichten und Schwurgerichten durch einen oder
mehrere Staatsanwälte; 3. bei den Amtsgerichten
und den Schöffengerichten durch einen oder meh-
rere Amtsanwälte (5 143N GV0) (Näheres
Staatsanwaltl.
Bei jedem Gerichte muß eine Gerichts-
schreiberei bestehen. Ihre Geschäftseinrich-
tung überläßt aber § 154 GWV bei dem Reichs-
gerichte dem Reichskanzler, bei den Landesgerich-
ten der Landesjustizuerwaltung. Ebenso werden
nach § 155 GVG die Dienst= und Geschäftsver-
hältnisse der Gerichtsvollzieher bei dem
Reichsgerichte durch den Reichskanzler, bei den
Landesgerichten durch die Landesiustizverwaltung
bestimmt [Näheres N Justizbeamtel.
Die Rechtsverhältnisse der Rechtsanwalt-
schaft (Jl sind durch die Rechtsanwalts O v.
1. 7. 78 geregelt. Sie beruht auf dem Grund-
satze der freien Anwaltschaft. Zeder
zum Richteramte fähige Bewerber muß zur
Anwaltschaft zugelassen werden, sofern nicht be-
stimmte eng begrenzte Hinderungsgründe im
Wege stehen. Der Anwalt wird nur bei einem
bestimmten Gericht zugelassen, die örtliche Be-
schränkung ist aber im wesentlichen nur für den
Anwaltsprozeß bedeutsam. Auch im Anwalts-
prozeß kann jeder Anwalt neben dem Prozeß-
bevollmächtigten oder als dessen Vertreter die
Parteirechte ausführen, außerhalb des
Anwaltszwanges kann jeder Anwalt bei jedem
Gericht Anträge stellen oder eine Verteidigung
führen. Besonderes gilt für die Rechtsanwälte
beim Reichsgerichte. Ihre Zahl ist geschlossen,
über die Zulassung entscheidet das Präsidium des
Reichsgerichts; sie dürfen vor keinem andern
Gericht auftreten. 7## t
Die Rechtsverhältnisse der Notare I#I sind
nur landesgesetzlich geregelt (Pr. NVGG a#7—103,
Bad. Rechtspolizeich § 2 ff, 56 ff, Bayr. Not.G
v. 9. 6. 99, Württ. A# B B a 94 ff). Auch ihre
Zuständigkeit ist reichsrechtlich nur dahin bestimmt,
daß sie wahlweise neben der der Gerichte be-
steht, aber durch Landesgesetz entweder zur aus-
schließlichen gemacht oder auch beseitigt werden
kann. Nur für die Beglaubigung von Unter-
schriften oder Handzeichen darf die Zuständig-
keit des Notars nicht ausgeschlossen werden
(SllcI Abs 2 FG).
64. Gerichtsgemeinschaften. In Mitteldeutsch-
land, namentlich in Thüringen, bestehen auf Grund
besonderer Staatsverträge gemeinschaftliche Ge-
richte, deren Bezirke über die Landesgrenzen
hinweggreifen. Diese Staatsverträge sind von
Preußen mit verschiedenen Bundesstaaten ab-
geschlossen. Die Verträge mit den Thüringischen
Staaten galten zunächst auf 25 Jahre, sie sind
am 27. 11. 03 auf weitere 25 Jahre verlängert
worden. Da die preußische Verfassung in ihren
Bestimmungen über die richterliche Gewalt nur
auf preußische Gerichte paßte, mußte sie durch eine
Zusatzvorschrift zu a 86, 87 Vl entsprechend
ergänzt werden. Das G v. 19. 2. 79 fügte folgen-
den a 87a in die Pr. Vl ein: „Bei der Bildung
gemeinschaftlicher Gerichte für preußische Ge-
bictsteile und Gebiete anderer Bundesstaaten
sind Abweichungen von den Bestimmungen der
à 86 und des ersten Absatz im a 87 zulässig“. Es
sind nun teils außerpreußiusche Gebietsteile preu-
Phischen Gerichten unterstellt, teils eigentliche Ge-
meinschaftsgerichte geschaffen.
IJ. Preußische Gerichte mit nicht-
buischen Gebieten (1 As#., 4 L.,
a) Dem Amtsgerichte Lippstadt
sind das Amt Lipperode und das Stift Cappel
unterstellt, beide zum Fürstentume Lippe gehö-
rend (Staats Vt v. 4. 1. 79 à 7, 8
b) Folgende Landgerichte umfassen au-
ßerpreußische Gebietsteile, in denen der andere
Vertragsstaat eigene Amtsgerichte unterhält:
Saarbrücken das oldenburgische Fürsten-
tum Birkenfeld (Staats Vt v. 20. 8. 78), Erfurt
das Fürstentum Schwarzburg= Sondershausen
(Staats Vt v. 7. 10. 78), Cassel das Fürsten-
tum Waldeck, Hannover das Fürstentum
Pyrmont (diese beiden auf Grund des seit 1867
zwischen Waldeck und Preußen bestehenden sog.
Akzessionsverhältnisses, jetzt Staats Vt v. 2. 3. 87).
In Waldeck-Pyrmont und ebenso in den lippi-
schen Gebietsteilen, die der preußischen Gerichts-
hoheit unterstellt sind, gelten auch die für Preu-
Hhen erlassenen allgemeinen Verw Anordnungen.
Die höheren preußischen Gerichte treten
hinsichtlich der zu a und b bezeichneten nicht-
preußischen Gebietsteile als solche ebenfalls in
Tätigkeit. Dies gilt auch im Regelfalle für das
Kammergericht (vgl. KJ8.J 28 A 3), soweit diesem
bestimmte Angelegenheiten an Stelle des sonst zu-
ständigen Oberlandesgerichts ausschließlich zu-
gewiesen sind (s. oben § 3 zu 3). Davon bestehen
aber bemerkenswerte Ausnahmen. Es bewendet
nämlich für das Fürstentum Birkenfeld bei der
Zuständigkeit des OLG# Köln und für Schwarz-
burg-Sondershausen bei der des OLG Naum-
burg (Jahrb. der Pr. Gerichtsverfassung 1910
S 68 Anm. 6). Es fehlt hier nämlich an einer
Vertragsbestimmung, aus der die Zuständigkeit
des Kammergerichts hergeleitet werden könnte.
c) Oberlandesgerichte mit vertrag-
licher Zuständigkeit für fremde Gebietsteile, in
denen eigene Land= und Amtsgerichte bestehen,
sind: Naumburg für das Herzogtum Anhalt
(Staats Vi v. 9. 10. 78), Celle für die Fürsten-
tümer Lippe und Schaumburg-Lippe (Staats Vit
v. 4. 1. 79, und v. 24./25. 2. 08).
Anhalt, Oldenburg und Sondershausen haben
für gewisse Richterstellen ein Vorschlagsrecht.
Aber auch die infolge eines solchen Vorschlags er-
nannten Richter werden preußische Beamte.
Auch die Dienstaufsicht über die vorgenannten
Gerichte steht ausschließlich Preußen zu.
II. Eigentliche Gemeinschaftsge-
richte (2 Landgerichte und 1 OLe#).
a) Das Landgericht Meiningen um-