Gesandte
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nennt man das diplomatische Korps
(doch ist dies kein Rechtsbegriff); an seiner Spitze
steht der rangälteste (unten § 2 Z. 1) Gesandte
(Doyen).
2. Diplomatische Personen haben den Auftrag,
in fremdem Staate amtlich tätig zu sein.
Diesen Auftrag erhalten sie von ihrem eigenen,
dem Absendestaate in den gewöhnlichen rechtlichen
Formen. Sie stehen als Beamte unter dem allge-
meinen Beamtenrecht, als diplomatische Beamte
unter dem etwa für solche vorhandenen Sonder-
recht. Die zuständige Disziplinarkammer für alle
im Ausland stationierten deutschen Beamten ist
die zu Potsdam (Reichsbeamten G # 88 Abf 2).
Den im Ausland stationierten Beamten, welche
noch keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen,
muß dieselbe von dem Einzelstaat, der darum er-
sucht wird, verliehen werden (Gv. 20. 12. 75,
RGl 324). Für die persönlichen Rechtsverhält-
nisse der im Ausland stationierten Beamten gilt
in erster Linie das Reichsrecht, event. das Recht
ihrer Heimat, subeventuell das preußische Recht
(Reichsbeamten G § 19 Abs 1); Gerichtsstand ist
primär der frühere inländische, event. die Haupt-
stadt des Heimatsstaates, subevent. die Stadt
Berlin (ZPO *#l 15 Abs 1, St PO Fx 11, Reichs-
beamten G ##5 21, 22). Die Leitung der auswärti-
gen Angelegenheiten im Deutschen Reiche ist
durch positive Verfassungsvorschrift dem Kaiser
übertragen (RV a 11 Abs 1). Demgemäß ist der
Kaiser wie berechtigt so verpflichtet, den diplo-
matischen Dienst im Auslande zu organisieren,
und in dieser Organisationsgewalt nur durch das
Budgetrecht des Reichstages beschränkt. Auch
der Bundesrat ist an diesem Stück der Reichsge-
walt nicht beteiligt; der im Bundesrat bestehende
Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten,
gebildet aus den Vertretern der Königreiche
Bayern, Sachsen und Württemberg und zwei
vom Bundesrat alljährlich zu wählenden Bevoll-
mächtigten anderer Bundesstaaten (RV. a 8
Abs 3), hat rechtlich näher bestimmte Befugnisse
nicht und ist praktisch ziemlich bedeutungslos.
3. Amtliche Wirksamkeit im Staatsgebict
durch Beamte eines fremden Staates ist eine
Durchbrechung des staatsrechtlichen Grundsatzes:
Quidquid est in territorio, est etiam de territorio.
Dies trifft grundsätzlich auch dann zu, wenn, wie
dies bei den diplomatischen Personen der Fall ist,
die amtliche Tätigkeit wesentlich in Vermittelung
des Verkehrs unter den Staaten, Beobachtung
der Verhältnisse und Berichterstattung hierüber
besteht; auch diese Funktionen sind amtliche; bei
anderen tritt der amtliche Charakter auch äußerlich
scharf hervor, so bei der Legalisierung von Ur-
kunden, Vornahme von Eheschließungen u. a.
(s. unten § 3). Demgemäß vermag bei diplomati-
schen Beamten der Amtsauftrag des eigenen
Staates nicht wie bei den im Inland tätigen Be-
amten den für sich allein vollkommen ausreichen-
den juristischen Titel der amtlichen Tätigkeit zu
bieten. Es bedarf hierfür vielmehr noch der Kon-
zession des Empfangsstaates, in dessen Souveräni=
tät die amtliche Wirksamkeit eines fremdstaat-
lichen Beamten immer eingreift. Diese Konzes-
sion liegt in der offiziellen An= und Aufnahme
der fremden G. Ob eine allgemeine Annahme-
pflicht fremder G. behauptet werden dürfe, ist in
der Literatur bestritten. Die Frage ist zu vernei-
nen, weil eine Rechtspflicht dieses Inhaltes sich
nicht konstruieren, läßt. Doch geht die Uebung des
internationalen Verkehrs dahin, daß unter nor-
malen Verhältnissen die Annahme nicht verwei-
gert wird. Es ist jedoch feststehende Praxis, daß
über die Person eines G. bei dem zu besendenden
Staate zuvor amtliche Anfrage erfolgt und die
Ablehnung gerade dieser Person ohne Angabe
von Gründen (Grotius erklärt die Zurückweisung,
juristisch völlig unbestimmt, für zulässig aus
Gründen: ex eo qui mittit, ex eo qui mittitur,
ex eo ob quod mittitur) statthaft ist; England und
die Vereinigten Staaten verlangen Angabe von
Gründen.
4. Das Gesandtschaftswesen ist ein Stück der
souveränen Staatsgewalt, der sog. Repräsen-
tationshoheit. Wenn das staatsrechtliche
Merkmal des Gesandtschaftswesens in der Sou-
veränität liegt, muß das Gesandtschaftsrecht allen
nichtsouveränen Staaten grundsätzlich abgespro-
chen werden, also im Bundesstaat den Einzel-
staaten, im Staatenbund dem Bund, ferner den
nichtsouveränen Staaten. Im Prinzip ist dies
auch wohl anerkannt, doch entspricht die Praxis
nicht genau dem Prinzipe. In der schweizerischen
Eidgenossenschaft und in der nordamerikanischen
Union übt nur der Gesamtstaat Gesandtschafts-
recht, im Deutschen Reiche zwar auch primär
(RVa 11 Abs 1), doch haben einige Einzelstaaten
daneben ihr besonderes Gesandtschaftswesen, das
in den Verträgen mit Bayern sogar formale An-
erkennung gefunden hat (Schl. Prot zum bayr.
Bündnis Vt v. 23. 11. 70, Z. VII, VIII), ohne daß
jedoch — bedauerlicherweise — eine genaue recht-
liche Ordnung des einzelstaatlichen Gesandtschafts-
wesens gegenüber demjenigen des Reiches vor-
genommen worden wäre. Preußen hat eine
Sondergesandtschaft nur beim Papste, wo keine
Reichsgesandtschaft besteht. Die bayerischen Ge-
sandten sind verpflichtet, die Reichsgesandten in
Behinderungsfällen zu vertreten, jedoch nur, falls
sie vom Kaiser hierzu Spezialauftrag empfangen.
Im übrigen grenzt sich die Kompetenz der einzel-
staatlichen G. und der Reichsgesandten nach den
Vorschriften der Reichsverfassung ab. Abbruch
der diplomatischen Beziehungen durch das Reich
hat ipso jure dieselbe Folge für die Einzelstaaten.
Außerdem beglaubigen die deutschen Einzelstaa-
ten unter sich G., was praktisch geboten sein
mag, aber theoretisch prinzipwidrig ist; die in
Berlin beglaubigten Gesandten von Einzelstaa-
ten sind durchweg dem Bundesrate eingefügt.
Die Bevollmächtigten der Einzelstaaten zum
Bundesrat haben trotz NV a 10 (vgl. auch
GVG # 18 Abs 2) keinen diplomatischen Charak-
ter. — Der alte Deutsche Bund hat G. empfan-
gen, auch einmal (1864) das Gesandtschaftsrecht
ausgeübt. — Die halbsouveränen Staaten in der
Türkei haben gleichfalls mehrfach das Gesandt-
schaftsrecht ausgeübt. — Kolonien können kein
Gesandtschaftsrecht haben; gleichwohl unterhält
das Deutsche Reich einen diplomatischen Agenten
beim australischen Bund. — Entthronte oder
mediatisierte Fürsten haben kein Gesandtschafts-
recht. Ein eigentümliches Verhältnis besteht be-
züglich des Gesandtschaftsrechtes des Papstes.
Es trat nämlich nach dem Verluste des Kirchen-
staates irgend welche Aenderung des bis dahin ge-
übten aktiven und passiven Gesandtschaftsrechts