Gesetz
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(nur beratende, nicht beschließende!) Mitwirkung
bei der allgemeinen Gesetzgebung nach der „Frei-
heit= und Eigentum“-Formel abgegrenzt war,
ebenso wie die legislative Kompetenz des durch
Zusammenfassung der Provinzialstände (Patent
v. 3. 2. 47) geschaffenen Vereinigten Landtags.
Nachdem dieses Scheinparlament die konstitu-
tionellen Forderungen des Landes unbefriedigt
gelassen hatte, erging, unverzügliche Erfüllung
derselben versprechend, die Kgl V v. 6. 4. 48 über
einige Grundlagen der preußischen Verfassung.
Nach §# 6 dieser Verordnung soll „den künfti-
gen Vertretern des Volkes jeden-
fsalls die Zustimmung zu allen
Gesetzen zustehen."“ Wenn es hier kurzab
(ähnlich wie in der württ. und sächs. Verfassung)
heißt „zu allen Gesetzen“, so mußte jedenfalls
irgend ein materieller Gesetzesbegriff vor-
schweben. Aber welcher? Die Antwort kann nicht
zweifelhaft sein, denn es gab damals, 1848, wie
vorher, wie heute nur einen materiellen Gesetzes-
begriff, den, der durch die Gleichung Gesetz
Rechtsfatz gegeben ist, der, was Preußen anlangt,
dem A#dn überall zu Grunde liegt (darüber An-
schütz, Gegenwärt. Theorien 124 ff, 163 ff), der
die „Freiheit und Eigentum“-Formel umschreiben
will und umschreibt. a 62 Abs 1 der preuß. VU
v. 31. 1. 50 hat das Versprechen der V v. 6. 4. 48
erfüllt. Er sagt: „Die gesetzgebende Gewalt wird
gemeinschaftlich durch den König und durch zwei
Kammern ausgeübt.“ Damit werden der Weg
und die Gegenstände der Gesetzgebung bezeichnet.
Es wird gesagt einmal: ein Gesetz im formellen
Sinne kommt zustande als gemeinsamer Willens-
akt von König und Landtag, und: ein solches
Gesetz im formellen Sinne ist überall notwendig,
wo es sich um den Erlaß eines Gesetzes im mate-
riellen Sinnc, einer Rechtsnorm handelt. Die
Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich auch aus
den Materialien der VlU, insbesondere den Ver-
handlungen der Revisionskammern von 1849/50
(Angaben bei Anschütz 136 ff), und aus dem Ge-
gensatze, in welchem a 62 zu dem die Stellung der
vollziehenden Gewalt und das Verordnungsrecht
des Königs als Trägers dieser Gewalt regelnden
à 45 Vu steht. Auch die Staatspraxis ist davon,
daß Normen, die Freiheit und Eigentum ein-
schränken, — daß alle Rechtsnormen im
Wege der Gesetzgebung und auf einem andern,
dem Verordnungswege, nur mit gesetzlicher Er-
mächtigung zu erlassen sind, niemals abgewichen
(Anschütz 147 ff). Uebereinstimmend ferner die in
der Wissenschaft überwiegend herrschende Meinung
(Laband, G. Meyer, Jellinek, Rosin, v. Rönne,
Schulze, Schwartz, Anschütz, O. Mayer, van Calker,
Preuß, v. Savigny, Hubrich, Fleischmann, Smend
u. a., Zitate bei Meyer-Anschütz 5 157 Anm. ö).
Abweichende, das Vorbehaltsgebiet der Legislative
wesentlich enger begrenzende Ansichten vertreten
Gneist, Zorn, besonders aber Arndt und Bornhak,
deren Argumente Anschütz, Gegenwärt. Thceorien,
eingehend untersucht und bekämpft (vgl. auch
Meyer-Anschütz a. a. O.). Doch wird neuerdings
auch von Arndt (Komm. zur preuß. Vl, 94) wie
von Bornhak (Grundriß des deutsch. St. R., 98),
wenn auch mit gewissen Verklausulierungen, zu-
gegeben, daß Normen, welche in Freiheit und
Eigentum eingreifen, grundsätzlich nur in Ge-
setzesform ergehen können; damit ist der bisherige
Abstand zwischen diesen Schriftstellern und der
herrschenden Meinung erheblich verkleinert.
Die Reichsverfassung weicht von den vor-
stehend dargestellten übereinstimmenden Grund-
sätzen des Landesstaatsrechts nicht ab. Auch sie ist
in ihrer einschlägigen Bestimmung, a 5 Abs 1,
dahin zu verstehen, daß jeder Rechtssatz grundsätz-
lich der Form des Gesetzes bedarf; vgl. Laband
2, 82 ff; derselbe, Deutsches Reichsstaatsrecht
(„Oeff. R. der Gegenwart“) 1, 131); Meyer-An-
schütz § 165 Nr. 10; Seydel RV 140; übereinstim-
mend die Praxis, was v. Jagemann R 94bezeugt.
#§# 3. Das Verhältnis des formellen zum ma-
teriellen Gesetzesbegriff ist nicht das der Iden-
tität, denn es gibt Rechtsnormen, also Gesetze im
materiellen Sinne, welche solche im formellen
Sinne nicht sind: Gewohnheitsrecht () kraft gesetz-
licher Ermächtigung erlassene Rechtsverordnungen
(z. B. Polizeiverordnungen)I/NI, statutarische Sat-
zungen. Das Verhältnis ist auch nicht das eines
engeren zu einem ihn umschließenden weiteren Be-
griff, wobei der materielle Begriff als der weitere
zu denken und zu behaupten wäre, daß jedes Gesetz
aim engeren“ d. h. im formellen Sinne zugleich
ein solches „im weiteren“, im materiellen Sinne,
sein müsse (Ansicht von v. Martitz, Zorn, Hänel,
vgl. Zitate bei Laband 2, 1 Anm.). Denn es gibt
formelle Gesetze, welche nicht einen Rechtssatz,
sondern etwas anderes zum Inhalt haben. Solche
Gesetze sind nicht Gesetze im formellen und ma-
teriellen, sondern im rein formellen
Sinne. Beispiele: Gesetze ohne normativen
Inhalt (RV, Einleitungsworte und a 35 Abs 2
Satz 2), Gesetze, welche Verwüälte (Hauptbei-
spiel: das Etatsgesetz im Reich und in Preußen)
oder Akte der Rechtsprechung (Entscheidung eines
Verfassungsstreites durch Reichsgesetz, R## a#76
Abs 2) enthalten. Hiernach verhalten sich die
beiden Gesetzesbegriffe wie zwei sich teilweise
deckende, einander schneidende Kreise: was dem
Bereiche des einen angehört, kann, muß aber nicht
auch in den des andern fallen. Es gibt Gesetze im
sormellen und materiellen Sinne (Regel), solche
im rein materiellen und endlich solche im rein for-
mellen Sinne.
#§ 4. Der Weg der Gesetzgebung. Dem Wesen
der konstitutionellen Legislative loben S 213)
entsprechend stellt der „Weg der Gesetzgebung“,
d. h. das Verfahren, in dem ein Gesetz im formellen
Sinne zustande zu bringen ist, sich dar als ein ver-
fassungsmäßig geordnetes Zusammenwirken der
obersten Staatsorganc, der Regierung und der
Volksvertretung: in den Einzelstaaten des Mon-
archen und des Landtags, im Reiche, wo die Zu-
ständigkeit der „Regierung" zwischen Bundesrat
und Kaiser verteilt ist, des Bundesrats, des Kai-
sers und des Reichstags. Rechtlich ist der Einfluß
der Volksvertretung auf das Ergebnis des Ver-
fahrens dem der Regierung vollkommen gleich-
wertig, faktisch aber überragt letztere (bei der
Reichsgesetzgebung ist hier nicht an den Kaiser,
sondern an den Bundesrat zu denken) die erstere,
erscheint sie als Herrin des Gesetzgebungsgeschäfts.
Die Zustimmung der Volksvertretung erscheint nach
deutschem Staatsrecht als rechtlich notwendige Vor-
aussetzung für den Erlaß (die Sanktion) des Gesetzes
durch den Monarchen bezw. den Bundesrat.
Der Weg der Gesetzgebung gliedert sich in meh-
rerc gesonderte Abschnitte, welche der Reihe nach so