Gesetz
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einer unwiderleglichen Rechtsvermutung als echt
und korrekt, bis er berichtigt ist. Die Frage, wer
zuständig ist, solche Berichtigungen vorzunehmen,
ist dahin zu beantworten: der, welcher den Fehler
begangen hat bezw. für die Begehung verantwort-
lich ist (Näheres bei Laband 2, 52 ff, und in der
DJZ 1903, 301 ff; Meyer-Anschütz S 567, 568;
Lukas, Fehler im Gesetzgebungsverfahren (1907)).
— Das Gesetz tritt in Ermangelung einer beson-
deren, von ihm selbst getroffenen Zcitbestimmung
an demjienigen Tage in Kraft, welcher durch allge-
meines Geses für das Inkrafttreten der Gesetze vor-
geschrieben ist (nach RV a 2 und den meisten Lan-
desrechten mit dem Ablauf des 14. Tages nach Aus-
gabe des betreffenden Stückes des Gesetzblattes.)
Näheres / Gesetzblatt bei den einzelnen Staaten.
##5. Reichs= und Landesgesetzgebung. RV aà 2
spricht dem Reiche das Recht der Gesetzgebung zu
„nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und
mit der Wirkung, daß die Reichsgesetze den Lan-
desgesetzen vorgehen“.
1. „Nach Maßgabe des Inhalts
dieser Verfassung“ bedeutet vor allem,
daß die gesetzgebende Gewalt des Reiches gegen-
ständlich beschränkt ist auf den Umfang der Reichs-
kompetenz, wie er sich aus dem Inhalt der Ver-
fassung, vor allem aus a 4 RV, ergibt. Damit,
daß dem Reiche in einer bestimmten Materie das
Recht zur Gesetzgebung zusteht, ist noch nicht ge-
sagt, daß ihm dies Recht ausschließlich zu-
steht. „Ausschließlich“ ist eine Gesetzgebungskom-
petenz des Reiches dann, wenn schon durch das
bloße Dasein dieser Kompetenz, zeitlich also von
der Entstehung des Reiches an, eine gleichinhalt-
liche Kompetenz der Einzeolstaaten ausgeschlossen
ist. Die Ausschließlichkeit bedeutet absolute Un-
zuständigkeit der Einzelstaaten, Gesetze über die
betreffende Materie zu geben. Solche Ausschlicß-
lichkeit kann sich gründen entweder auf die Natur
der Sache oder auf ausdrückliche Bestimmungen
der Reichsverfassung. Der Natur der Sache nach
ist es dem Reiche ausschließlich vorbehalten, seine
eigenen Institutionen im weitesten Sinne — sein
Verfassungsrecht, seine Behördenorganisation, die
Ordnung und Führung seines Haushaltes, die
Rechtsverhältnisse seiner Beamten, seiner Anstal-
ten (Post, Telegraphie, Kriegsmarine) — zu
ordnen; hier ist jede Gesetzggebungskompetenz der
Einzelstaaten begriffsmäßig ausgeschlossen. Da-
fassungssatz ist nicht gleichbedeutend mit dem Prin--
zip lex posterior derogat priori, sondern besagt
ein anderes. Er statuiert nicht den Vorrang der
späteren Entstehungszeit unter gleichwertigen
Rechtsquellen, sondern den Vorrang der höheren
Rechtsquelle vor der niederen. Das Reichsgesetz
geht dem Landesgesetz nicht vor, weil es das spä-
tere Gesetz, sondern auch, wenn es das frühere,
weil es das Reichsgesetz ist.
Die Wirkung, daß das mit dem Reichsgesetz
inhaltlich konkurrierende Landesrecht aufgehoben
wird und nicht neu entstehen kann, tritt durch den
Erlaß des Reichsgesetzes von selbst (RV a 2) ein,
ohne daß es einer ausdrücklichen Erklärung be-
dürfte. Die Wirkung trifft das Landesrecht ohne
Unterschied seiner Erscheinungsform (Gesetz im
formellen Sinne, Verordnung, Gewohnheitsrecht)
und ohne Unterschied, ob es inhaltlich mit dem
Reichsgesetze übereinstimmt oder von ihm ab-
weicht. Ein Landesgesetz, welches einem be-
stehenden Reichsgesetz zuwiderläuft, ist nichtig.
Das Landesgesetz läuft dem Reichsgesetz nicht nur
dann zuwider, wenn es Vorschriften trifft, die
von letzterem abweichen, sondern auch, wenn es
dessen Vorschriften wiederholt oder interpretiert.
Das Vorhandensein von Widersprüchen zwischen
Reichs-- und Landesrecht ist vom Richter frei zu
prüfen und kann dieses Prüfungsrecht landes-
gesetzlich nicht aufgehoben oder beschränkt werden:
Bestimmungen wic a 106 Abs 2 der preuß. Vu
sind hier nicht anwendbar.
Nur dem Namen nach „Landes“-, in Wahrheit
aber Reichsgesetze sind die sog. Landesgesetze für
Elsaß-Lothringen (oben §4 31). Man versteht da-
runter, inobesondere seit dem R betr. die Lan-
desgesetzgebung von Elsaß-Lothringen, v. 2. 5. 77
solche Gesetze, welche nur im Reichslande Elsaß-
Lothringen gelten und sich auf Gegenstände be-
ziehen, welche im übrigen Reichsgebiete zur Zu-
ständigkeit der Landes, d. h. einzelstaatlichen Ge-
setzgebung gehören. Daß es sich bei diesen Geset-
zen nur um einc besondere Art der Reichsgesotze
gegen beruht dieser Ausschluß auf ausdrücklichen
geben. Vgl. S. 216, Anm. 1.
Vorschriften der RV in folgenden Angelegen-
heiten: Zollwesen, Besteuerung des Salzes,
J 4 7 4 «
Zuckers, Tabaks, Bieres und Branntweines
(a 35, 40), Post= und Telegraphenwesen (a 52
Abs 2, 3), Militärwesen (a 61).
In allen andern zur Zuständigkeit, aber nicht
ausschließlichen, Zuständigkeit der Reichsgesetz-
gebung gehörigen Angelegenheiten wird die Zu-
ständigkeit der Einzelstaaten zur Gesetgebung nicht
schon dadurch aufgehoben, daß das Reich eine
entsprechende Zuständigkeit, namentlich aus Grund
des a 4 R, besitzt, sondern erst dadurch, daß das
Reich von dieser seiner Kompetenz Gebrauch
die Be fugnis der Landesgesetzgebung, neue Nor-
men dieses Inhalts zu erlassen, außer Kraft. Denn
2. „die Reichsgesetze gehen den
Landesgesetzen vor“"“.
handelt und handeln kann, folgt aus der rechtlichen
Natur des Reichslandes, welches ein „Land“ zwar
in geographischem, nicht aber in staaterechtlichem
Sinne darstellt. Weil dem so ist, weil in Elsaß-
Lothringen eine von der Reichsgewalt verschiedene
einzelstaatliche Landes-Staatsgewalt nicht besteht,
kann es auch eine von der Reichsgesetzgebung im
Subiekt verschiedene Landesgesetzgebung nicht
Literatur: Aus der sehr reichhaltigen Literatur
ist hervorzuheben: Laband Sli I 1 ff und Reichsstaats-
recht (Leff. Recht der Gegenwart Bd. 1), 108 ff: Jelli-
nek, Gesetz und Verordnung, 1887; Derselbe, Der An-
teil der ersten Kammern an der Finanzgesetzgebung, 1908: G.
Meyer in Grünhuts Z 38, 1 f; Derselbe, Der An-
teil der Reichsorgane an der Reichegesetzgebung, 1888;
Meyer--Anschütz #8 155 ff; Seligmann, Der Be-
griff des Gesetzes, 1886; Rofin, Das Polizeivererdnungs-
recht in Preußens, 1995: Seydel StRR 2, 304 ff: An-
schütz, Kritische Sindien zur Lehre vom Rechtssatz und
macht. Geschieht letzteres, so tritt das in der be-
treffenden Materic bestehende Landesrecht und
Dieser Ver-
sormellen Gesetz, 1391; Derselbe, Die gegenwärtigen
Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt und
der Umsfang des Kal Verordnungerechts nach preuß. Staats-
recht 2, 1901: Derselbe, Deutsches Staatorecht, in v.
Holtzendorff-Kohlers Enzyklopädie 2, 592 ff; Zorn 1,
# 4 ff; Derselbe in Annalen 1885, 301 ff. 1889, 344 f;