Gesundheitswesen (Medizinalbehörden)
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beamter (Kreis-, Bezirks-, Ober-
aMmtsarzt usw.), der meist auch Gerichtsarzt
ist, soweit nicht besondere Gerichtsärzte für ein-
zelne Orte (in Preußen) oder für die Landgerichte
(Bayern, Sachsen, Baden) vorgesehen sind. Vor-
bedingung für die Anstellung dieser Beamten ist
das Bestehen einer besonderen staatsärztlichen
Prüfung (7 Arzt § 4 S228l0. Seine amtliche
Tätigkeit, die in den meisten größeren
Bundesstaaten, z. B. in Preußen, Sachsen,
Württemberg, Baden und Hessen durch sehr aus-
führliche Dienstanweisungen geregelt ist, ist eine be-
ratende, beaufsichtigende und anregende, aber keine
ausführende, da diese in den Händen der zustän-
digen Polizei= und Verw Behörden ruht, nur in
einem Ausnahmefalle, bei der Verhütung und
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, steht
ihm das Recht der vorläufigen Anordnung zu,
wenn ein Vertreter der Ortspolizeibehörde nicht
zur Stelle ist. Er ist außerdem, selbst wenn er im
Hauptamte und nicht bloß nebenamtlich angestellt
ist, meist nicht vollbesoldet, sondern auf Erwerb
durch Ausübung ärztlicher Privatpraxis angewie-
sen, ein großer Nachteil für die Durchführung der
Aufgaben und die Forderung des GW, da bei
dieser Zwitterstellung eine den Anforderungen
der GesPPflege entsprechende Inanspruchnahme
seiner Tätigkeit mehr oder weniger ausgeschlos-
sen ist. Nur Sachsen und Hessen sowie
Hamburg und Bremen machen in dieser
Hinsicht eine Ausnahme; in Preußen ist da-
dagegen die Zahl der vollbesoldeten Kreisärzte
bis jetzt noch eine recht geringe. Einzelne Groß-
städte sind außerdem zu der Anstellung besonderer
städtischer Gesundheitsbeamten — Stadt-
ärzte — übergegangen, z. B. Breslau, Cöln,
Frankfurt a. M. usw. und haben ihnen neben
beratender und anregender Tätigkeit z. T. auch
ausführende und verwaltende Befugnisse auf dem
Gebiete des GW übertragen, soweit dieses nicht
der staatlichen GesPolizei unterstellt ist. Den
Kommunal= und Selbstverwaltungs-
behörden bleibt gerade nach dieser Richtung ein
weites Feld segensreicher Tätigkeit; liegt ihnen
doch in fast allen Bundesstaaten die Sorge für
Errichtung und Unterhaltung von Heil= und
Pflegeanstalten oder von sonstigen, den Zwecken
der Gesundheitspflege dienenden Einrichtungen
wie Wasserleitungen, Kanalisation usw. ob.
Als unterstützende und ratgebende Organe der
Lokalinstanz sind in einzelnen Bundesstaaten,
z. B. Preußen, Hessen, Elsaß-Lothringen noch
besondere Gesundheitskommissionen
(Kreisgesundheitsräte usw.) vorge-
sehen, die aus mehreren von der Gemeindever-
tretung gewählten Mitgliedern bestehen. Der
staatliche Gesundheitsbeamte ist in der Regel be-
ratendes oder stimmberechtigtes Mitglied dieser
Kommissionen; jedenfalls steht ihm das Recht der
Teilnahme an ihren Sitzungen zu.
II. Unentbehrlich für eine erfolgreiche Lösung
der Ausgaben des GW sind Anstalten, in denen
hygienische Untersuchungen vorgenommen wer-
deren Aufgaben keineswegs identisch sind mit denen
der Untersuchungsanstalten zur Kontrolle des Ver-
kehrs mit Nahrungs-- und Genußmitteln, sollen
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch 2. Aufl. II.
vor allem dem Seuchenschutz im weitesten Sinne
des Wortes dienen, d. h. der raschen Feststellung
der ersten Erkrankungen an übertragbaren Krank-
heiten, der Offenlegung sanitärer, der Ver-
schleppung von Seuchen Vorschub leistender Miß-
stände, der sachgemäsßen Prüfung aller in bezug auf
Wasserversorgung, Reinhaltung der Ortschaften,
Beseitigung der Abfallstoffe, Wohnungs-, Schul-
usw. Hygiene in Betracht kommenden Verhält-
nisse. Die Notwendigkeit solcher, auch für die Vor-
bereitung und Begründung gesetzlicher Bestim-
mungen auf dem Gebiete des GW nicht zu ent-
behrender Anstalten ist jetzt allseitig anerkannt;
sie sind deshalb in allen größeren Bundesstaaten
entweder für sich allein oder in Verbindung mit
den hygienischen Universitätsinstituten von sei-
ten des Staates eingerichtet; desgleichen sind
vielfach größere Städte oder Kommunalverbände
diesem Beispiele gefolgt. Um ihre Benutzung
möglichst ausgiebig zu gestalten, werden die in
Betracht kommenden Untersuchungen entweder
unentgeltlich oder gegen eine mäßige Gebühr
ausge führt.
II. Die Organisation des Gesundheitswesens
und der Gesundheitsbehörden.
#4. Im Reiche. Die Organisation des GW
und der dafür zuständigen Behörden trägt hier der
Reichsverfassung entsprechend lediglich einen zen-
tralen (leitenden und aufsichtführenden) Cha-
rakter. Die Bearbeitung der hierher gehörigen
Angelegenheiten liegt dem Reichsamt des
Innern ob (Medizinalwesen: III. Abteilung),
nur das GW in den Kolonialgebieten gehört zum
Ressort des Kolonialamtes:). Als technisch-bera-
tende Behörde ist dem Reichsamt des Innern das
Kaiserliche Gesundheitsamt beigegeben, (seit
April 1876) ein ständiges Vermittelungsorgan
zwischen der reinen Wissenschaft und dem öffent-
lichen Leben. Es soll nicht nur den Reichskanzler in
der Ausübung des ihm verfassungsmäßig zustehen-
den Aufsichtsrechtes über die Ausführung der in
den Kreis der Medizinal- und Veterinärpolizei fal-
lenden Maßregeln sowie in der Vorberatung der
Gesetzgebung auf diesem Gebiete unterstützen, son-
dern auch in gewissen Fällen den Staats= und
Gemeindebehörden der einzelnen Bundesstaaten
Auskunft erteilen, sich über die bereits bestehenden
sanitären Einrichtungen unterrichten, die Ent-
wicklung der Gesundheitsgesetzgebung in und
außerhalb des Deutschen Reiches verfolgen, die
Wirkungen der im Interesse der staatlichen Ge-
sundheitspflege ergriffenen Maßnahmen beob-
achten, die literarisch oder sonst bekannt geworde-
nen Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen
vor ihrer praktischen Verwertung für die Zwecke
des Reichs kritisch sichten, nachprüsen und durch
eigene Arbeiten ergänzen. Demzufolge ist es auch
mit den erforderlichen Laboratorien usw. und zwar
für jede seiner vier Abteilungen (medizinische,
chemisch-hygienische, bakteriologische und veteri-
näre) ausgestattet. Sein Personalbestand
den können, deren Ergebnis dann die Unterlage ——
für die zu ergreifenden Maßregeln bildet. Solche
hygienischen Untersuchungsämter,
1) Es besteht im Kolonialamte eine Abteilung
für das Mcoizinalwesen mit einem Arzt als Leiter. Im
ubrigen vagl. für die Schutzgebiete den Art. „Arzt“ 17,
oben Bd. I, S. 238 und die erforderlichen Nachträge am
Schlusse des 3. Bandes.
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