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Zünften Berhängung von Strafen: Geldbußen nicht über
1 oder 2 Gulden, Bier= und Weinstrafen und Ausstoßen aus
der Zunftorganisation. Die Verhandlungen wegen Ueber-
tretungen fanden regelmäßig in Gegenwart einer von der
Obrigkeit deputierten Person statt. Gegen die Berurteilung
konnte der ordentliche Richter angerufen werden.
Mit dem Untergang der Zünfte in Deutschland
im Anfang des 19. Jahrhunderts hörte deren
Sondergerichtsbarkeit völlig auf. Anklänge an
die ehemalige Zunftgerichtsbarkeit findet man in
einzelnen Partikularrechten. Die preußische GewO
von 1845 schreibt z. B. unter anderem vor, daß,
falls nicht besondere Behörden — die unten be-
handelten Fabrikengerichte — zur Entscheidung
ewerblicher Streitigkeiten bestehen, die Ent-
cheidung für Mitglieder einer Innung durch den
Innungsvorsteher unter dem Vorsitz eines Mit-
glieds der Kommunalbehörde erfolgen solle. Die
GewO von 1869 schweigt über Innungsschieds-
zerichte- Die Innungen erlangten erst durch die
ovelle zur GewO v. 18. 7. 81 eine Gerichtsbar-
keit in gewerblichen Angelegenheiten für sich und
die von ihnen zu errichtenden Innungsschieds-
gerichte. Nur die Entscheidungen der Innungen
(5 8la Ziff. 4 GewO: Lehrlingsstreitigkeiten) sind
obligatorisch [J. Innungenl.
b) Fabrilkengerichte oonseils de
prud'hommes — Gewerbegerichte. Mitte
des 18. Jahrhunderts wurden in Berlin die Streitigkeiten
der Fabrikunternehmer mit ihren Arbeitern durch den Ma-
gistrat erledigt. Eine Kab O v. 4. 4. 1755 übertrug viese Ge-
richtsbarkeit dem Berliner Pol Direktorium. Durch B v.
80. 7. 1799 wurde eine besondere Deputation des Manu-
faktur- und Kommerzkollegiums errichtet. Es hatte die In-
struktion aller Zivilsachen in Fabrikangelegenheiten sowie die
summarischen Erörterungen der Uebertretungen gegen Fa-
brikgesetze. Die Urteile wurden von dem mit dem Poldirek-
torium verbundenen Fabrikengerichte abgefaßt. Mit dem
Jahre 1809 ging ihre Gerichtsbarkeit auf das Stadtgericht
Berlin über. Im Jahre 1815 schritt man wiederum zur Er-
richtung eines Fabrikengerichts als einer besonderen Depu-
tation des Stadtgerichts, bestehend aus einem entscheidenden
Mitgliede des Stadtgerichts und einem technischen Mitarbei-
ter, mit nur beratender Stimme. Das Berliner Fabriken-
gericht trat nach dem Borbild der consells de prud'’hommes.
wöchentlich einmal zusammen, um die sich ungeladen ein-
findenden Parteien zu hören und um vie Streitigkeiten mög-
lichst in Güte beizulegen. Aehnliche Einrichtungen („Fabrik.
deputationen“) wie in Berlin entstanden 1828 im Reg Be-
zirke Arnsberg. Es folgten 1834 und 1835 Fabrikgerichte in
Krefeld und Gladbach; später in Barmen, Elberfeld, So-
lingen, Lennep, Remscheid, Burscheid, Düsseldorf und
Mühlheim a. R.
Bereits 1830 war der für Aachen-Burscheid
1808, für Köln 1811 und noch für andere Städte
angcordnete „Rat der Gewerbeverständigen“
(conseils de prud'hommes) als Fabrikgericht um-
gestaltet. Damals wurde auch die Zuständigkeit
der nunmehrigen Fabrikengerichte, welche, wie
in Frankreich, nach einzelnen Industrien begrenzt
war, auf die gesamte Industrie und das Hand-
werk ausgedehnt. Die rheinischen Einrichtungen
(conseils de prud'hommes) sind auf die spätere
preußische und deutsche Gesetzgebung von Einfluß
gewesen. Sie bestanden lediglich aus Fabrikanten,
Werkmeistern und selbständigen Handwerkern.
Letztere mußten mit einem gewissen Betrag zur
Klassensteuer veranlagt sein. Die Gerichtsmitglie-
der wurden von ihren Standesgenossen erwählt.
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Gewerbegerichte (Geschichte)
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Arbeiter waren also in diesen Gerichten nicht ver-
treten. Die Zuständigkeit betraf sowohl aus dem
gewerblichen Arbeitsverhältnis entspringende
Rechtsstreitigkeiten als auch geringere Strafsachen,
Uebertretungen gegen die Gew Polizei, Ruhe-
störungen in den Werkstätten, Vergehen der Lehr-
linge gegen die Meister. Die conseils de prud’hom-
mes zerfielen in eine Vergleichskammer — bureau
de conciliation — und Gew im engeren Sinne
— bureau de jugements. Ebenso wie bei den
modernen GewG kam erst nach ergebnislosem
Sühnetermin der Prozeß vor die entscheidende
Kammer. Die Urteile waren bei einem Objiekt
bis zu 26 Thl. 20 Sgr. endgültig. Darüber hinaus
war Berufung an das Handelsgericht zugelassen.
Die Handelsgerichte bestanden wiederum nur aus
Arbeitgebern (Kaufleuten), welche von ihren Be-
rufsgenossen gewählt worden waren.
Durch V v. 7. 8. 46 betr. die Gew G in der
Nheinprovinz ist den rheinischen Fabrikengerichten
und dem Rat der Gew Verständigen zu Aachen
die Bezeichnung „Königliche Gewerbegerichte“
beigelegt worden. -
Untetdem9.2.49ergingdieVerordnungübek
dieErrichtungvonGewGundzwarfürdenUms
fang der preußischen Monarchie, mit Ausschluß des
Bezirks des Appellationsgerichtshofes zu Köln.
In ihren Grundzügen hat sich die Verordnung
zwar der französischen Gesetzgebung angeschlossen.
Die neuen Gews unterschieden sich aber von den
rheinischen dadurch, daß sie nicht bloß aus der Klasse
der Arbeitgeber, sondern auch aus der Klasse der
Arbeiter die Richterkräfte bezogen. Ein Mangel
war, daß aus der Klasse der Arbeitgeber ein Mit-
glied des Gerichts mehr gewählt wurde und einer
von den Arbeitgebern den Vorsitz zu führen hatte.
Die Berufung ging übrigens an die ordentlichen
Gerichte. Diese Gew# sind ganz sporadisch ein-
gerichtet worden. Sie wurden sämtlich nach kurzer
Zeit auf Wunsch der Beteiligten wieder aufgeho-
ben. Die hauptsächlichste Ursache des Mißerfolges
ist in dem zu langsamen Gange und in der für die
Parteien ungünstigen Regelung der Prozeßkosten
zu suchen.
Von andern Staaten Deutsch-
lands haben nur das Königreich Sachsen (seit
1861 Meißen) und Sachsen = Gotha (seit
1849) Gew geschaffen, die jedoch nur geringe
Bedeutung gewannen.
1I. Seit der Gewerbeordnun
von 1869. Die GewO von 1869 bestätigte durch
5* 108, gleichwie die preußische GewO, die für die
gewerblichen Rechtsstreitigkeiten vorhandenen
Sondergerichte. Wo solche Behörden nicht be-
standen, sollten diese Streitigkeiten durch die
Gemeindebehörden oder durch von diesen nach
Ortsstatut unter gleichmäßiger Zuzichung von
Arbeitgebern und Arbeitern zu bildende Schieds-
gerichte entschieden werden. Die Gemeinden
machten von der Befugnis, Schiedsgerichte ein-
zuführen, verschwindenden Gebrauch. Ebenso
spärlich ist von den Landcsregierungen die Be-
stimmung des & 14 Nr. 4 des Gerichtsverfassungs-
gesetzes benutzt worden, um die gewerblichen.
Prozesse durchweg Sondergerichten zu übertragen.
Das Bedürfnis nach GeweE und nach ihrer all-
gemeinen Einführung machte sich deshalb
in Deutschland von Tag zu Tag fühlbarer. Nach
nicht verabschiedeten Vorlagen im Jahre 1873,