Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
#2 
Gewerbliches Unterrichtswesen (Geschichte) 
  
schulen. 3 12. Handelslehranstalten. 3 13. Handwerker-, Ge. 
werbe- und Kunstgewerbeschulen. & 14. Mädchen., Gewerbe- 
und Haushaltungsschulen. 1 15. Meisterkurse. 1 16. Sta- 
tistisches über den Besuch. 
[Gew — Gewerbe; Fortb = Fortbildung: Sch — Schuloc.] 
5S 1. Geschichtliche Entwicklung. Als die ersten Fach- 
Sch kann man die „Deutschen Lese-, Schreib= und 
Rechenschulen" bezeichnen, private Unternehmungen, 
die im Mittelalter, namentlich im 13. und 14. Jahrh. ent- 
standen sind und die Aufgabe hatten, den angehenden Hand- 
werkern und Kaufleuten die für die Ausübung ihres Berufs 
wichtigsten Kenntnisse im Schreiben, Lesen und Rechnen zu 
vermitteln. Denn eine Volksschule (Al im heutigen Sinne gab 
es damals noch nicht, und die lateinischen Dom., Pfarr- und 
Klosterschulen waren fast ausschließlich zur Heranbildung von 
Klerikern bestimmt und daher in ihrem Lehrplan auf deren 
Ausbildung zugeschnitten. Auch die Söhne wohlhabender 
Familien mußten daher, wenn sie sich nicht nur in der Lehre, 
sondern auch schulmäßig für einen praktischen Beruf vorbe- 
reiten wollten, den Unterricht eines Schreib= und Rechen- 
meisters besuchen. Als im 18. und 19. Jahrhundert die 
Volksschule einen Teil der Aufgaben der Schreib= und 
Rechen Sch übernahm, bildeten sich letztere unter allmäh- 
licher Erweiterung und Vertiefung des kaufmännischen Lehr. 
stoffs zu „Handelsschulen"“ und „Handelsakademien“ aus 
(s. unten # 12). 
Eine Ergänzung der Volks Sch bildete seit dem 18. Jahr- 
hundert der Sonntags= und Wiederholungs- 
unterricht, an dem die Jugend beiderlei Geschlechts 
bis zum 16., manchmal auch bis zum 18., 19. und 20. Lebens- 
jahre, in einzelnen Gegenden sogar bis zur Verheiratung 
teilzunehmen verpflichtet war. Dieser Sonntagsunterricht 
diente zugleich als Ersatz für den regelmäßigen Volkoschul- 
unterricht bei denjenigen Kindern, die die Volksschule zu 
besuchen durch häusliche Geschäfte verhindert waren. Aus 
dem Sonntagsunterricht entstanden durch Hinzunahme 
mehrerer Abendstunden in der Woche und durch Einfügung 
gewerblicher und kaufmännischer Lehrstosse in den Lehr- 
plan, namentlich des Zeichnens, im Laufe der Zeit die 
„Abend- und Sonntagsschulen“, und in weite- 
rer Entwicklung die „allgemeinen" und „gewerb- 
lichen und „kaufmännischen“" Fortbil- 
dungsschulen. 
Im 18. Jahrh. kamen ferner neben den Volks Sch, denen 
die Bildung der unteren Stände zufiel, die rcalen 
Unterrichtsanstalten für den Mittelstand auf. 
Bis dahin hatten für die höhere Bildung lediglich die oben 
erwähnten Dom., Pfarr-, Kloster-, Latein- und Gelehrten- 
schulen gesorat, die zwar unter dem Einfluß der Reformation 
und des Humanismus ihre Lehrziele den weltlichen Bedürf. 
nissen entsprechend etwas erweitert, aber voch in der Haupt- 
sache einen streng theologisch-philologischen Charakter behal- 
ten hatten. Im Gegensatz zu ihnen verlangten die „Nealisten“ 
die Begründung von Schulen, die sich mehr den Bedürfnissen 
des materiellen Lebens, den Bildungsansprüchen des er- 
werbenden Teils der Bevölkerung, des Handels= und Ge- 
werbestandes anpaßten. Begünstigt wurden diese Bestre- 
bungen durch dic erhöhte Bedeutung, welche HLandel, Gewerbe 
und Verkehr infolge der geographischen Entdeckungen, der 
technischen Erfindungen, sowic des Aufschwungs der Natur- 
wissenschaften seit dem 16. Jahrhundert gewonnen hatten. 
Tie ersten „Nealschulen" gründeten August Hermann 
Francke in seiner „Bürgerschule“ beim Pädagogium zu 
Halle lum 1700), sodann Christoph Semler in seiner „mathe- 
matischen und mechanischen Rcalschule“ (1707), auch in 
Halle, und Johann Julius Hecker, der in Berlin neben einer 
elateinischen Schule“" für die gelehrten Beruse und einer 
  
  
edeutschen Schule“ für die kleinen Handwerker noch (1747) 
eine Realschule einrichtete, die schon drei Jahre nach ihrer 
Begründung 4 Zeichen-, 2 Mathematik., 3 Briefschreibe- 
und je eine anatomische, physikalische, ökonomische, Manu- 
faktur., Buchhaltungs-, Mechanik., Perspektiv., Zivil- und 
Militärbauklasse aufwies. Auch eine Mädchen-Abteilung 
wurde eingerichtet, in der, außer in den Elementarsächern, 
im Zeichnen, in der französischen und englischen Sprache, in 
Geschichte und in den Handarbeiten unterrichtet wurde. 
Obwohl Heckers Unternehmen sich eines hohen Ansehens 
erfreute und die Aufmerksamkeit aller Pädagogen und 
Sch Verwaltungen in viclen Ländern auf sich zog, auch in 
zahlreichen Städten Nachahmung fand, hat es doch seinen 
Schöpfer (1 1768) nicht lange überdauert. Der vielseitige 
Betrieb führte zur Oberflächlichkeit und konnte von einem 
einzigen Leiter nicht genügend übersehen werden. 
Neben den Rceal Sch wurden im 18. Jahrhundert zur Aus- 
bildung der Gewerbetreibenden, namentlich nach der zeich- 
nerischen und künstlerischen Richtung hin, die „Zeichen"“= 
und „Kunstschulen“" gegründet, deren es besonders 
in den größeren Städten eine ganze Anzahl gab und von 
denen einige, wie Frankfurt a. M., Leipzig, Weimar zu be- 
sonderem Ansehen gelangten. Um ihre Ausbreitung und 
Entwickelung in Preußen hat sich in der zweiten Hälfte des 
18. Jahrhunderts Freiherr von Heinitz besonders verdient 
gemacht, der die im Jahre 1699 zu Verlin begründete Kunst- 
Akademie reformierte, mit ihr 1787 eine „Kunstzeichenschule“ 
für die zeichnerische Ausbildung von Handwerkern verband 
und in einigen größeren Städten wie Königsberg, Danzig, 
Breslau, Magdeburg, Halle, Erfurt „Provinzial- 
kunstschulen“ einrichtete. Die volle Durchführung 
seines Plans wurde indessen durch die Napoleonischen Kriege 
vereitelt, die die Entwicklung der Schulen in ihren Grund- 
lagen völlig zerstörten. Nach den Kriegsjahren hatte der 
Kultusminister von Altenstein die Absicht, das Handwerker- 
schulwesen für den ganzen Staat in Anlehnung an die 
noch vorhandenen Trümmer der Provinzial-Kunstschulen 
neu zu regeln. Er mußte indessen aus Mangel an Mit- 
teln davon absehen. Sceitdem fristeten diese Anstalten fast 
im ganzen 19. Jahrhundert ein kümmerliches Dasein, bis 
sie gegen Ende desselben durch Auswendung reichlicher 
staatlicher und kommunaler Mittel in moderne Handwer- 
ker-, Kunstgewerbe= und Baugewerkschulen umgewandelt 
wurden (unten 4 13). 
Auf einem anderen Wege und mit glückliche- 
rem Erfolge als Altenstein suchte der um die 
Gewgörderung in Preußen hochverdiente P. 
Chr. Wilh. Beuth das gewerbliche Schulwesen ein- 
heitlich zu regeln, indem er 1821 zu Berlin das 
„Technische Institut“ — seit 1827 „Ge- 
werbeinstitut“", seit 1866 „Gewerbe- 
Akademies genannt — begründete und in 
den Provinzen „Provinzial-Gewerbe- 
schulen“" einrichtete. Die Anstalten hatten 
Vollunterricht mit zweijährigem, in Berlin drei- 
jährigem Kursus, der Lehrplan umfaßte Mathe- 
matik, Naturwissenschaften, Mechanik, Maschinen- 
lehre, Baukonstruktion, Zeichnen und Modellie- 
ren. Aufnahmebedingungen waren ein Alter 
von 14 Jahren, genügende Volksschulkenntnisse 
im Deutschen und Rechnen, sowie Uebung im 
Zeichnen. Junge Handwerker, denen die nötigen 
Vorkenntnisse fehlten, sollten in den mit jeder 
Provinzialgewerbeschule zu verbindenden Hand- 
werker-Fortbildungsschulen vorge- 
bildet werden; nach Bedarf waren auch „Vor- 
klassen“ vorgesehen. 1838 waren schon 20 Provin- 
zialgewerbe Sch vorhanden, Ende der sechziger 
Jahre 27. Sehr förderlich für ihre Entwickelung
	        
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