Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Gewissensfreiheit 
# 1. Begriff: Gewissens= (Glaubens-, Bekenntnis-) und 
Religionsfreiheit. 1 2. Gewissens- und Religionsfreiheit 
nach deutschem Rechte. Im allgemeinen. 1 3. Ihre Durch- 
führung in den deutschen Staaten. # 4. Gewissens- und 
Religlonsfreiheit in den deutschen Schutzgebieten. 3# 5. Ver- 
hältnis der Gewissens= und Religionsfreiheit zur staat- 
lichen Ordnung. 
5# 1. Begriff: Gewissensfreiheit, Glaubens- 
oder Bekenntnisfreiheit (mitunter wird auch 
Religionsfreiheit damit als gleichbedeutend ge- 
braucht) ist das Recht des Einzelnen, seinen Glau- 
ben oder auch seinen Mangel an jedem Glauben. 
ohne Nachteile zu bekennen, also die Ausschließung 
jedes direkten oder indirekten Glaubenszwanges, 
vorbehaltlich jcdoch der Aufrechterhaltung der 
staatlichen Ordnung gegenüber jeder Betätigung 
der Gewissensfreihcit. 
Verschieden von der GF. ist die Reli- 
gions- oder Kultusfreiheit, d. h. das 
Recht derjenigen, welche dieselben religiösen An- 
Gewissensfreiheit 
– — — — —- 
schauungen teilen, sich zu Vereinigungen zusam- 
men zu tun und in Gemeinschaft ihre Religion 
und ihren Kultus zu üben. Immerhin bildet aber 
die Religionsfreiheit die notwendige Ergänzung 
der GF., da jedem religiösen Glauben der Trieb 
nach gemeinsamer Betätigung innewohnt, und 
derselbe verkommen muß, wenn seine Bekenner 
lediglich auf sich selbst und auf die Andacht im 
Kreise ihrer Familien, die sog. Hausandacht, 
beschränkt bleiben. Aber auch der Religionsfrei- 
heit sind dieselben Grenzen durch die staatliche 
Ordnung gesteckt wie der Gewissensfreiheit. 
2. Die Gewissens= und Religionsfreiheit 
nach deutschem Recht. Im allgemeinen. Die 
katholische Kirche, welche die allein berechtigte 
Form des religiösen Lebens zu sein behauptet, 
verwirft die G.= und Religionsfreiheit prinzipiell 
(ist sie doch noch von Gregor XVI. in der Enzyklika: 
Mirari v. 15. 8. 1832 als ein deliramentum be- 
zeichnet worden) und verlangt im Prinzip, daß der 
Staat die katholische Kirche behufs Durchführung 
des strengsten Glaubenszwanges mit seiner Macht 
bis zur Vernichtung der Andersgläubigen unter- 
stütze. Erst als wesentlich durch die deutsche Re- 
formation und durch ihre Folgen die Alleinherr- 
schaft der katholischen Kirche gebrochen war, 
konnte sich der Grundsatz der G.= und Religions- 
freiheit, der an sich der Reformation ebenso fremd 
ist wie der mittelalterlichen Kirche, allmählich zur 
Anerkennung durchringen. Der Augsburger Re- 
ligionsfriede und der westfälische Friede erkann- 
ten für die Reichsstände die GF. betreffs der 
katholischen und protestantischen Religion, aber 
nicht eine allgemeine GF. hinsichtlich jeglichen Be- 
kenntnisses an, und den einzelnen Untertanen war 
auch nicht einmal dieses Recht der GF. gewährt. 
Erst mit dem 18. Jahrhundert wurde in Deutsch- 
land und vor allem in Preußen eine weitergchende 
Duldung geübt, und das A### stellte den Grund- 
satz der GF. auf (II 11 & 2: „Jedem Einwohner 
im Staat muß eine vollkommene Glaubens= und 
GF. gestattet werden"), während es, da die Bil- 
dung von Religionsgesellschaften noch von der 
staatlichen Genehmigung abhängig gemacht ist 
(5 10, 21), allerdings das Komplement der GF., 
  
  
teren heiligen Gegenstände 
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die Religionsfreiheit, noch nicht kennt. Auf die- 
sem Standpunkte sind auch die älteren VU der 
deutschen Staaten stehen geblieben (z. B. bayer. 
sog. Religions-Ed. v. 26. 5. 1818 öö 1—4; säch s. 
Vuv. 4. 9. 1831 &K# 12, 33; braunschweig. 
Landschafts O v. 12. 10. 1832 §5 29). Erst nachdem 
die nicht zur Durchführung gelangten deut- 
schen Grundrechte von 1848, a V 5FI 14, 15 
jedem Deutschen die „volle Glaubens- und Ge- 
wissensfreiheit" sowie das unbeschränkte Recht 
der „gemeinsamen häuslichen und öffentlichen 
Uebung seiner Religion“ (übergegangen als a V 
# 144, 145 in die RV v. 28. 3. 49) zugesichert 
hatten, haben die meisten deutschen Staaten, 
zum Teil in ihren Verfassungsurkunden, zum 
Teil in Spezialgesetzen die GF. und das freie 
Recht der Vereinigung zu Religionsgesellschaften 
und zur öffentlichen Religionsausübung aner- 
kannt, so zuerst Preußen (Vu v. 5. 12. 48, 
à 11, 28 und die geltende v. 31. 1. 50, a 12, 30); 
das Großherzogtum Hessen (Ed. v. 6. 3. 48; 
Gv. 8. 8. 48, sowie das geltende Gv. 23. 4. 75, 
die rechtliche Stellung der Kirchen- und Religions- 
gemeinschaften betr., a 23); Oldenburg (k(rev. 
Staatsgrundgesetz v. 12. 11. 52, getreten an Stelle 
des Gesetzes v. 18. 2. 48, àa 32, 33, 35, 36, 75—77) 
und Sachsen = Koburg-Gotha (Staats- 
grund G v. 3. 5. 52 & 5 33—35), später dagegen 
Baden (G v. 9P. 10. 60, über die rechtliche Stel- 
lung der Kirchen, § 3) und Württemberg 
  
  
(, betr. die religiösen Dissidentenvereine, v. 
9. 4. 72 à 1), von denen das erstere nur das Recht 
zur freien und gemeinsamen (also im Gegensatz 
zu den anderen Staaten, nicht öffentlichen) 
Gottesverehrung gewährt. In Bayern ist es 
bis jetzt bei der Vorschrift des angeführten Re- 
ligions-Ed. von 1818 5 26 geblieben, nach dem es 
der Kgl Genehmigung für neue Religionsgesell- 
schaften bedarf. In Elsaß-Lothringen 
ist ebenfalls für die Ermächtigung zum öffent- 
lichen Gottesdienste eines staatlich nicht anerkann- 
ten Bekenntnisses eine Verordnung des Staats- 
oberhauptes (Dekret v. 19. 3. 59 a 3) erforderlich. 
Endlich ist im Königreich Sachsen eine Geneh- 
migung seitens des Kultusministeriums notwen- 
dig, welche allerdings erteilt werden muß, „wenn 
die in den Statuten festzustellenden Religions- 
grundsätze und Normen für die Religionsübung 
mit der Ehrfurcht gegen Gott, dem Gehorsam 
gegen die Gesetze und der allgemeinen Sittlichkeit 
vereinbar sind und nicht in der geringen Zahl der 
Teilnehmer oder in deren Persönlichkeiten Grund 
zu Zweifeln über den zweckentsprechenden Fort- 
bestand liegt“. Auch erlangen in Bayern und 
in Sachsen die Religionsgesellschaften durch 
die staatliche Genehmigung nicht das Recht der 
öffentlichen Religionsausübung, sondern nur zu 
gottesdienstlichen Zusammenkünften in den dazu 
bestimmten Gebäuden. 
§ 3. Die Kousequenzen der Gewissens= und 
Religionsfreiheit und ihre Turchführung in den 
deutschen Staaten. Vermöge der GF. darf nie- 
mand zu einer religiösen Betätigung irgendwelcher 
Art gezwungen werden. Daraus folgt 
1) Unzulässigkeit staatlichen Zwangs 
zur Teilnahme am Gottesdienst 
einer anderen Religionspartei 
oder zur Verehrung der der lete 
zur
	        
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