Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Gutsbezirke 
Rlecke, Die neuen württembergischen St Kataster, Finanz- 
Arch 5, 320 fff Lesigang, Art. „Grundsteuer“ im 
OW Staats ## Bd. 5 und v. Heckel, Art. „Grundsteuer“ 
im W BBolksw Bd. 1. v. Hedel. 
Gutsbezirke (selbständige) .) 
A. Preußen 299—304; B. Sachsen 304 
A. Preußen 
1. Begriff und Ausdehnung. 3 2. Geschichte. 1 3. Um- 
grenzung. 1 4. Rechtslage. # 5. Gutsvorsteher. # 6. Zweck- 
verband. 1 7. Staatsaufsicht. 
5 1. Vegriff und Ausdehnung. Unter einem 
selbständigen G. versteht man einen räumlich 
abgegrenzten Teil des platten Landes, dessen 
Gebiet und Bewohner der obrigkeitlichen Gewalt 
eines Gutsherrn unterstehen. Zum erstenmal 
tritt die Bezeichnung G. im Gesetz über die Ar- 
menpflege v. 31. 12. 42 hervor. Eine Begriffs- 
bestimmung fehlt aber. Ebenso haben die Gesetze 
über die ländlichen Kommunalverhältnisse davon 
abgesehen, den Begriff der G. ausdrücklich zu be- 
stimmen; sie beschränkten sich vielmehr darauf, 
ihre Rechtsverhältnisse als tatsächlich vorhandener 
und zu Recht bestehender kommunaler Verbände 
im einzelnen zu regeln. Der G. ist eine räumlich 
abgegrenzte Fläche, innerhalb deren staatliche 
Aufgaben verrichtet werden, nicht ein korpo- 
rativer Verband. Eine Ausnahme un- 
ten # 4. 
. Man unterscheidet G. des älteren und des 
naueren Rechts. G. des älteren Rechts sind 
solche, denen die Eigenschaft als G. auf Grund 
der geschichtlichen Entwicklung zukommt, wäh- 
rend die des neueren Rechts diese Eigenschaft 
durch einen Akt der Staatshoheit verliehen er- 
halten haben. Dafür kommt die Erhebung zum 
Rittergut in Betracht, die in Altpreußen nur dem 
Könige zustand (Erl v. 26. 10. 59 — Mhl 113). 
Eine Bsonderheit besteht in Hannover. Hier ist 
seit 1874 der Oberpräsident für die Bildung und 
Aufhebung von G. zuständig (OVG 19, 155). 
Erforderlich ist aber ein vorheriger Beschluß des 
Kreisausschusses, wenn der neue G. aus Teilen 
von einem anderen G. oder von Gemeindebezir- 
ken gebildet werden soll (OVG 37, 165). 
Am 1. 12. 10 gab es in Preußen 15 368 G. mit 2037 731 
Einwohnern; davon entfallen auf Ostpreußen 2269, West- 
preußen 1161, Brandenburg 1939, Pommern 2332, Schle- 
sien 3722, Sachsen 1128, Schleswig-Holstein 347, Hannover 
333, Reg Bezirk Kussel 273, Westfalen 22 (und zwar nur 
in den RegBezirken Minden und Arusberg, während es 
im R’gBezirk Münster tatjächlich keine G. gibt). 
Im RegBezirk Wiesbaden finden sich G. eben- 
sowenig wie in der Rheinvrovinz und Hohen- 
zollern, weil hier die gesetzliche Grundlage fehlt. 
  
  
) Die „abgesonderten Gemarkungen" Iin Biden (Walz, 
Sit d. Großh. Baden 09, 157) und Sachsen= Meiningen un- 
terscheiden sich von den G. nach Ursorung und Regelung. 
Dagegen gibt es (abgeschen von Mecklenburg) G. oder doch 
ihten gleich behandelte Ausschlüsse aus dem Gemeindebezirke; 
(landesberrliche Besi zungen. Rittergüter) in: Anhalt, Lippe, 
Reuß áä. L., Schhaumburg-Lippe, Schwarzburg. 
  
  
  
  
# 2. Die Geschichtliche Entwicklung der G. 
älteren Rechts war in Preußen verschieden. 
I. In den östlichen Provinzen haben 
sich die selbständigen G. aus dem Gegensatz heraus 
gebildet, in dem nach Aufhebung des Obereigen- 
tums des Gutsherrn am Bauernland und nach 
Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Ver- 
hältnisse das gutsherrliche Vorwerksland zur 
bäuerlichen Feldmark trat. Ausgangs= und Mittel- 
punkt der ländlichen Gemeindeverfassung bildete 
früher das Band der persönlichen Leibeigenschaft 
oder Erbuntertänigkeit der hörigen, Leute zum 
Gutsherrn. Er konnte nach seinem Belieben die 
Feldmark selbst bewirtschaften oder ganz oder zum 
Teil mit bäuerlichen Wirten besetzen. Das Recht 
des Gutsherrn, Bauernhöfe zu legen, ist aber schon 
früh im öffentlichen Interesse durch besondere 
Provinzialgesetze beschränkt worden. Die Dekla- 
ration v. 29. 5. 1816 — GS 154 — bezeichnet im 
à 4 die in den verschiedenen Provinzen festgestell- 
ten Normaljahre. Auf der anderen Seite behielt 
aber der Gutsherr das Recht, Vorwerksland mit 
Bauern zu besetzen, solange die Erbuntertänigkeit 
bestand. Hierdurch vergrößerte sich von selbst die 
bäuerliche Gemeinde (vgl. O#G 2, 119 ff. 
Das A#LR änderte an dem vorgefundenen 
Rechtszustande nichts. Auch ihm ist der Begriff 
des selbständigen G. fremd. Es kennt als kommu- 
nale Verbände auf dem Lande nur „Dorfgemein- 
den" und über, nicht neben, ihnen als obrigkeitliche 
Gewalt die „Gutsherrschaften". Den Gemeinden, 
welche als solche bereits bei Verkündung des ALR 
bestanden, verlieh § 19 II 7 die Rechte der öffent- 
lichen Korporationen. Neue Gemeinden konnten 
diese Rechte nur durch landesherrliche Verleihung 
nach den Bestimmungen des Titels 6 II ALR 
erhalten. Bezüglich der Gutsherrschaften be- 
schränkte sich das ALR auf die Regelung der Rechts- 
verhältnisse zwischen dem Gutsherrn und seinen 
Untertanen und wies hiermit auf das Untertänig- 
keitsverhältnis als Grundlage der Gutsherrschaften 
hin. Welche Gutsbesitzer Untertanen haben konn- 
ten, bestimmten die § 91, 92 11 7. Danach kam 
dieses Recht zu den Besitzern der Rittergüter, den 
Besitzern anderer freier Güter aber nur unter der 
Voraussetzung, daß es durch Provinzialgesetze, 
Privileg oder Verjährung begründet war (O##### 
Pr. VBl 26, 125). Titel 6 und 7 11 ALR (Ge- 
meinden, Bauernstand) fanden dagegen auf die 
Rittergüter, adligen Güter und Gutsherrschaften 
keine Anwendung (OVC 7, 177). 
Der bisherige Rechtszustand wurde indessen durch 
die Edikte v. 9. 10. 1807 und v. 14. 9. 1811 völlig 
geändert. Fortan trat das Eigentum der bäuer- 
lichen Gemeinde dem Eigentum des Gutsherrn 
gegenüber; es entstanden Grenzen zwischen 
Gemeinde= und Gutsbezirk. Aus diesen 
herrschaftlichen Grundstücken hat sich der G. ent- 
wickelt, indem die spätere Gesetzgebung, zunächst 
das Gesetz über die Armenpflege v. 31. 12. 42, 
sie als selbständige kommunale Gebilde beibehielt 
und den Landgemeinden an die Seite stellte. Es 
entstand sonach nicht sowohl durch ausdrückliche 
gesetzliche Vorschrift als durch die geschichtliche 
Entwicklung der Rechtszustand, wonach der Eigen- 
tümer des einen G. bildenden Gutes als solcher 
Träger der gutsherrlichen Rechte und der kommu- 
nalen Pflichten ist. Auf die wirtschaftliche Selb- 
s- 
ständigkeit kommt es dabei nicht an, ebensowenig
	        
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