Hamburg (Bürgerschaft)
329
nicht vollendet haben, die keine Einkommensteuer
zahlen oder mit ihr im Rückstand sind, die entmün-
digt sind oder sich im Konkurs befinden, denen die
bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, oder die
sich in Untersuchungshaft befinden.
Von den 80 aus den allgemeinen Wahlen hervor-
gehenden Mitgliedern werden 72 im Stadtgebiet,
8 im Landgebiet gewählt. Das Stadtgebiet ist für
die allgemeinen Wahlen in zwei Wahlbezirke zer-
legt, in die alle 6 Jahre je 36 Abgcordnete gewählt
werden. Diese Wahl erfolgt nach den Grund-
sätzen der Verhältniswahl. Zu dem Ende sind die
wahlberechtigten Bürger des Wahlbezirks in zwei
Gruppen zerlegt, von denen die erste den Wähler
mit mehr als 2 500 Mk. Jahreseinkommen, die
zweite die übrigen Wähler enthält. Auf die erste
Gruppe entfallen 24 Sitze, auf die zweite 12.
Grundlage für diese Wahl sind die Vorschlagslisten,
die gültig nur von mindestens 30 wahlberechtigten
Bürgern der betreffenden Kategorie unter Bezeich-
nung eines Vertrauensmannes aufgestellt werden
können. Diese Vorschlagslisten können verbunden
werden. Behufs Ermittlung des Wahlergebnisses
wird eine Verteilungszahl nach den abgegebenen
Stimmen berechnet und danach ausgerechnet,
wieviel Abgecordnete auf jede Liste entfallen. Nach-
wahlen finden nicht statt; beim Fortfall eines Ab-
georducten rückt als Hintermann der Kandidat mit
der besten Stimmenzahl auf seiner Vorschlagsliste
kraft Gesetzes nach. Die allgemeinen Wahlen auf
dem Landgebiet erfolgen als Einzelwahlen mit
absoluter Stimmenmehrheit eventuell unter Stich-
wahl.
Die Wahlen für die Grundeigentümer erfolgen
gleichfalls in zwei Wahlbezirken, von denen jeder
alle 6 Jahre zwanzig Abgeordnete erwählt. Für
die Notabelnwahlen bildet das ganze Staats-
gebiet einen Wahlbezirk, in dem alle drei Jahre
20 Sitze besetzt werden. Auch die beiden letzteren
Kategorien unterliegen den Bestimmungen über
die Verhältniswahlen.
Die Anordnung der Wahlen liegt beim-Senat,
dem die Zentral-Wahlkommission und die Einzel-
Wahlkommission für die einzelnen Wahlstellen zur
Seite stehen. Für Wählerlisten und Wahlverfah-
ren gelten vielfache Einzelbestimmungen.
2. Die Bürgerschaft tagt ständig und kennt
weder Sessionen noch Legislaturperioden. Sie
kann nicht aufgelöst werden. Die Verhandlungen.
sind regelmäßig öffentlich. Die Bürgerschaft ist
bei Anwesenheit von 80 Mitgliedern beschlußfähig,
sie erwählt einen Präsidenten, einen ersten und
zweiten Vize-Präsidenten und 4 Schriftführer aus
ihrer Mitte. Die Befugnisse ihrer Organc passen
sich den üblichen parlamentarischen Formen an.
Die Bürgerschaft gliedert sich in Ausschüsse, deren
Vornehmster der verfassungsmäßig festgelegte
Bürgerausschus ist. Dieser besteht aus 19
unter besonderen Kautelen erwählten Mitgliedern,
denen als zwanzigstes und als ihr Präsident der
Präsident der Bürgerschaft hinzutritt. Dieser
Bürgerausschuß vertritt in geseslich festgelegten
Fällen die Bürgerschaft, außerdem ist er zum
Wächter der Verfassung bestellt.
Die Abstimmungen in der Bürgerschaft erfol-
gen bei Wahlen mit einfacher Majorität, bei An-
tragen bedarf es, wenn nicht einc nochmalige Ab-
stimmung vorgenommen werden soll, einer 25
Mojorität.
3. Die Kompetenz der Bürgerschaft be-
schränkt sich trotz des àa 6 nicht auf die materielle
Gesetzgebung, sondern erstreckt sich auch auf die
qualifizierten Verwakte, die man als formelle
Gesetzgebung zusammenzufassen pflegt. Weiter
aber übt die Bürgerschaft durch die Wahlen zu den
Verw Deputationen, von denen die zur Finanz-
Deputation gqualifiziert sind, auch reine Verw-
Handlungen aus.
Die Bürgerschaft hat das Recht, vom Senat
Auskunft in Verwüngelegenheiten zu verlangen,
ihr werden die Abrechnungen über Einnahmen
und Ausgaben des Staates vorgelegt.
Die Bürgerschaft erscheint also bei der Aus-
übung der Staatsgewalt durch das Mitgesetzge-
bungerecht und durch die teilweise Mitverwaltung
als eine Teilhaberin an der Herrschaft, und ist
innerhalb ihrer Kompetenz ein permanenter Bei-
rat der Regierung.
I1II. Die Gesetzgebung wird von Senat
und Bürgerschaft gemeinsam in der Weise aus-
geübt, daß zu einem Gesetz der übereinstimmende
Beschluß von Senat und Bürgerschaft notwendig
ist. Beiden Teilen steht das Vorschlagsrecht zu.
Für gewisse Dinge gibt es eine erleichterte Form,
die Uebereinstimmung herbeizuführen; für Ver-
fassungsänderungen besteht eine Erschwerung der
Abstimmung. Publikation und Ausführungsver-
ordnung gebühren dem Senat. Wenn keine Frist
gesetzt ist, tritt das Gesetz mit dem Tage der Publi-
kation im „Amtsblatt“" in Kraft.
Wenn sich bei Verhandlungen zwischen Senat
und Bürgerschaft eine beharrliche Meinungs-
verschiedenheit zeigt, wird auf Antrag
eines Teiles eine Vermittlungs-Deputation ge-
wöhnlich von 9 Mitgliedern zu ½ aus dem Senat,
zu 29 aus der Bürgerschaft eingesetzt. Falls deren
Vermittlungsvorschläge nicht angenommen wer-
den, dann entscheidet das Reichsgericht endgültig,
sofern die Meinungsverschiedenheit betrifft die
Auslegung der Verfassung oder von Gesetzen,
ein von Senat oder Bürgerschaft behauptetes
verfassungsmäßiges oder gesetzliches Recht, oder
ein angebliches Amtsdelikt von Senat oder Be-
hörden.
Betrifft die Meinungsverschiedenheit einen
andern Gegenstand und stimmen beide Teile
überein, daß für das Gemeinwesen eine Ent-
scheidung nötig ist, dann entscheidet eine, normal
aus 16 Mitgliedern — 8 aus dem Senat, 8 aus
der Bürgerschaft — bestehende Entscheidungs-
Deputation mit Gesetzeskrast. Wahl und Ver-
fahren sind mit besonderen Formen umgeben.
§s 4. Die VBerwaltung. Obwohl à 6 der Verf
die vollziehende Gewalt dem Senate zuweist, so
wird dennoch ein wesentlicher Teil der Verwal-
sünn von der Bürgerschaft und von Bürgern be-
orgt.
Der überwiegende Teil der Hamburzgischen
Verwaltung ist Staatsverwaltung. Eine eigent-
liche Selbstverwaltung findet nur auf dem Land-
gebiet durch die dortigen Kommunal= und Zweck-
verbände unter Staatsaussicht statt.
Was zunächst den Behörden-Mecha-
nismus angeht, so ist eine rein örtliche Glie-
derung im VerwBezirke, wie sie der Flächenstaat
hat, beim Hamburger Stadtstaat unmöglich ge-
wesen. Erstere kennt nur das in die 4 Land-
herrenschaften (oben &5 2 1) zerfallende Landgebiet,