Gefängniswesen
23
über die Verhängung von Disziplinarstrafen wer-
den, soweit nicht die Bestimmungen des 8 490
St PO Platz greifen, von der Aufsichtsbehörde
entschieden. Wird die Aufsicht unmittelbar von
der obersten Aufsichtsbehörde geführt, so ist die
Entscheidung endgültig. Andernfalls steht die
Entscheidung über die von dem Gefangenen erho-
bene weitere Beschwerde der obersten Aufsichts-
behörde zu.“
In einigen größeren G der preußischen Justiz-
verwaltung sind zur Mitwirkung bei der Verwal-
tung Aufsichtskommissionen bestellt (GO #24),
deren Zusammensetzung und Geschäftskreis im
einzelnen Falle geregelt wird.
4 8. Der Dienst in den Gefängnissen (Diszi-
plin). Die Grundsätze enthalten in ##§# 8ff—16,
34—36 grundlegende Bestimmungen über: 1) Auf-
nahme der Gefangenen sowie Unterbringung und
Trennung, 2) Ausführung der Einzelhaft und der
Gemeinschaftshaft, 3) Disziplin. Die körper-
liche Züchtigung ist nur gegen schulpflich-
tige Jugendliche bedingt zulässig und den Zucht-
haussträflingen gegenüber nur beschränkt an-
wendbar (5 34 Abs 7, 8). In Bayern ist die
körperliche Züchtigung in allen Strafanstalten
unbedingt verboten (192 der Haus v. 20. 9. O7).
Außer Verweis, Kostschmälerung, Arrest sind als
Disziplinarstrafen zulässig: Beschränkung und Ein-
ziehung des Guthabens aus dem Arbeitsverdienste,
Entziehung des Spaziergangs bis zu einer Woche,
der Lektüre und der Arbeit. 4) Die Vorschrift
einer Hausordnung für jede Anstalt (§5 37). 5) Be-
stimmungen über Beschäftigung, Bekleidung, La-
gerung und Beköstigung (§§ 17—27), Besuche
und Schriftverkehr (Is 32—33) und Bewegung
im Freien (§5 31). Bei der Bekleidung ist
die Frage von Bedeutung, ob den Gefangenen
das Tragen eigener Wäsche und Kleidung zu ge-
statten sei. Bezüglich der Anrede „Sic“ oder
„Du“" wird es verschieden gehalten. Nach § 18
GO sind die erwachsenen Gefangenen mit „Sie“
anzureden. Durch die Hausordnungen sind die
Vorschriften der Grundsätze ausführlich ergänzt
und erläutert. Dabei finden sich zahlreiche Ver-
schiedenheiten, oft von sehr einschneidender Be-
deutung. Solche Verschiedenheiten bestehen z. B.
in Preußen zwischen den Bestimmungen der GO
und der DO. Herrschend ist überall das Bestre-
ben (z. B. Bayrische Haus O s 13), jeden Ge-
fangenen nach seiner Eigenart zu behandeln.
5 9. Verpflegung der Gefangenen. Die Wirk-
samkeit der Strafe, die Kosten und die Gesundheit
der Gefangenen erheischen Berücksichtigung, wel-
che dadurch erschwert wird, daß diese Gesichts-
punkte teilweise gegen einander stehen. Ein-
gehende Erforschungen und Bceobachtungen wur-
den in diesen Beziehungen angestellt, man ist bis
zu periodischen Wägungen der Gefangenen ge-
gangen. Es handelt sich darum, den Gefangenen
im richtigen Verhältnisse vegetabilisches und ani-
malisches Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate zuzu-
führen, dabei durch Gewährung von Abwechselung
den Appetit rege zu halten, das Maß aber auf das
Notwendigste zu beschränken und, entsprechend
dem Aufenthalt im Strasorte, jedes von der Ab-
wechselung nicht gebotene Reizmittel fernzuhalten.
So ist Alkohol regelmäßig verboten, der Tabak-
genuß sehr beschränkt. Es werden für eine Anzahl
von Tagen periodisch wechselnde Speisezettel an-
gefertigt. Fleisch wird den Gefangenen zwei= oder
dreimal in der Woche zusammen 200—240 Gramm
verabreicht. Neben der regelmäßigen Kost für
Gesunde wird ein Speisezettel für leicht Erkrankte
und solche, welche die GKost nicht mehr aufneh-
men können (Mittelkost), festgestellt und außerdem
eine Krankenkost zugelassen. Auch für Mittel= und
Krankenkost sind mit Rücksicht auf den GZweck
Schranken gezogen. Vgl. Grundsätze §§ 23, 24
und wegen der Bekleidung s 25, 26. Aus der
Arbeitsbelohnung dürfen die Gefangenen sich
„Zusatznahrungsmittel“ in beschränktem Maße
ankaufen. Unter bestimmten Voraussetzungen
können Selbstbeköstigung und eigene Kleider und
Betten gewährt werden. Der Koörperpflege
(Lüftung, Baden, Bewegung im Freien, Turnen),
ist besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, damit
die Schädlichkeiten der Haft ausgeglichen oder
doch auf ein erträgliches Maß beschränkt werden.
Bei Erkrankung eincs Gefangenen ist der
GArzt und bei besonderer Dringlichkeit, falls
dieser nicht erreichbar ist, ein anderer Arzt herbei-
zurufen. Von bedenklichen Erkrankungen ist dem
Vorsteher und, wenn es sich um einen Untersu-
chungsgefangenen handelt, auch dem Richter
Nachrickt zu geben. Von ansteckenden Krank-
heiten ist nach Maßgabe der gesundheitspolizci-
lichen Vorschriften der Polizeibehörde Anzeige zu
machen. Untersuchungsgefangene können sich
mit Genehmigung des Richters, Strafgefangene
in der Regel mit Genehmigung des GVorstehers
auf ihre Kosten der Hilfe eines anderen als des
Güärztes bedienen. Kranke Gefangene sind mög-
lichst in abgesonderten, vorzugsweise gesund ge-
legenen Zellen oder in einer nur für erkrankte
Gefangenc bestimmten Anstalt zu behandeln. Die
ärztlichen Vorschriften sind streng zu beobachten;
ihre Ausführung ist durch das Aufsichtspersonal zu
überwachen. Die Arzneien, welche der Arzt ver-
ordnet, sind in ein Arzneibuch einzutragen.
Schwangere müssen in der Regel bei dem Heran-
nahen der Niederkunft entweder in eine am Orte
befindliche öffentliche Entbindungsanstalt geschafft
oder einstweilen aus der Haft entlassen werden.
Die lebensge fährliche Erkrankung oder der Tod
eines Gefangenen ist ohne Verzug den Angehöri-
gen bekannt zu machen. Mit der Benachrichtigung
von dem Todesfalle ist die Aufforderung an die
Angehörigen zu verbinden, sich binnen einer be-
stimmten Frist zu erklären, ob sie die Beerdigung
der Leiche übernehmen wollen. Der Leichnam
ist ihnen auf Verlangen zu verabfolgen. Wird
die Beerdigung innerhalb der Frist von den An-
gehörigen nicht übernommen, so wird der Leich-
nam der Ortspolizcibehörde überwiesen. Auch
hat der G orsteher der Pol Behörde des Heimats-
ortes drs Gefangenen, sowie der Strafvollstrek-
kungsbehörde von dem Todcsfalle Kenntnis zu
geben. Mit der Zuweisung von Leichen an die
Anatomien wird verschieden verfahren.
Vgl. Baer, Hygiene des GWesens, 1897; Lepp-
mann, Der Gürzt, 1909.
#§s# 10. Unterricht und Seelsorge. Ein großer
Teil der GBevölkerung ist in der Erziehung ver-
nachlässigt. Viel antisoziales Benehmen hat
darin seinen Grund, daß der fehlhafte Mensch
nur mangelhaft ausgerüstet wurde mit dem durch-
schnittlichen Wissen seiner Zeit und daß er nicht
genügend gestärkt wurde in der Unterordnung