Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Gefängniswesen 25 
  
sein. Auf die Untätigkeit aber der in den G be- 
schäftigten Elemente zu spekulieren, ist vom ethi- 
schen wie volkswirtschaftlichen Standpunkte gleich 
verwerflich. Sicher ist es richtig, die Arbeitskräfte 
der Gefangenen nach Möglichkeit für den Bedarf 
des Staates selbst auszunutzen, so namentlich zur 
Herstellung zahlreichen Bedarfs des Heeres und 
der Marine, zur Ausführung staatlicher Hoch--, 
Tief- und Wasserbauten u. dgl. mehr. Allerdings 
wird auch hier Konkurrenz gemacht und es können 
durch solche Arbeiten die vorhandenen Gefange- 
nen gar nicht ausreichend beschäftigt werden. 
Das freilich sollte als Grundsatz festgehalten wer- 
den, daß die Güärbeit, abgesehen von der Rück- 
sichtnahme auf deren geringere Intensität, nicht 
billiger geleistet werde als die freie Arbeit. Zur 
Regelung der einschlägigen Verhältnisse werden 
teilweise z. B. neuerdings in Preußen Beiräte 
aus den Kreisen des Handwerks, des Gewerbes 
und der Landwirtschaft zugezogen. — Anlangend 
die Art der Ausnützung der Arbeitskraft der Ge- 
fangenen unterscheidet man: Regiearbeit, Un- 
ternehmerarbeit und Akkordarbeit. Regiearbeit 
ist die Einrichtung, bei welcher der Staat auf 
seine Rechnung das Rohmaterial anschafft, durch 
die Gefangenen verarbeiten läßt und entweder 
auf Bestellung oder im freien Handel die Ar- 
beitsprodukte verwertet. Bei der Unternehmer- 
arbeit vermietet das G die Arbeitskraft der Ge- 
fangenen nach Kopf und Arbeitstag. Der Privat- 
unternehmer muß in der Regel in der Anstalt 
selbst die Arbeiten ausführen lassen; doch kommt 
es auch vor, daß die Gefangenen, wenngleich un- 
ter staatlicher Aufsicht, außerhalb des G beschäf- 
tigt werden, ja sogar während der Arbeitswoche 
außerhalb nächtigen und nur zu Sonn= und 
Feiertagen in die Anstalt zurückkehren (Außen- 
arbeit). Bei dem Akkordsysteme tritt der Ge- 
fangene in keine Beziehung zum Arbeitgeber, die 
Arbeit wird vom G geleistet, der Arbeitgeber 
empfängt die von ihm gelieferten Rohstoffe nach 
ihrer Verarbeitung zurück und bezahlt die Ar- 
beit im Tagelohn oder, was in der Regel vorzu- 
ziehen, nach der Stückzahl. Uebrigens schwankt 
bei der Benennung der Beschäftigungsformen 
der Sprachgebrauch, was z. B. für die Verglei- 
chung der Verhältnisse in verschiedenen Bundes- 
staaten oder sogar in den Ressorts desselben Staa- 
tes (Preußen) sehr wichtig ist. 
Wegen der Unfallfürsorge vgl. das G 
v. 30. 7. 00 (RGl 536). 
5 12. Anteil der Gesangenen am Urbeits- 
verdienst. Früher wurde der Ertrag der Gefange- 
nenarbeit vielfach als Ersatz für die Kosten des 
Strafvollzugs angesehen. Wenn dann der Ar- 
beitsertrag höher als die Kosten waren, so ergab 
sich ein Nutzen für den Staat. In neuerer Zeit 
wird die Frage des Kostenersatzes und der Ver- 
wendung des Arbeitsverdienstes völlig getrennt. 
Man stellt den Grundsatz auf, daß die Arbeit des 
Gefangenen dem Staate gehöre, und daß der 
Gefangene keinerlei Rechtsanspruch auf Gewäh- 
rung eines Lohnes habe. Wenn dennoch regel- 
mäßig Arbeitsverdienstanteile an die Gefangenen 
gewährt werden, so ist dies lediglich unter dem 
Gesichtspunkte eines freien Geschenkes aufzu- 
fassen, welches der Staat den Gefangenen macht. 
Bis zu seiner Entlassung soll der Gefangene, ob- 
gleich genau Buch über das Guthaben geführt 
  
  
wird, in keine Rechtsbeziehung zu demselben 
treten. 21 der Grundsätze: „Der Ertrag der den 
Gefangenen zugewiesenen Arbeit fließt zur 
Staatskasse. Die Gutschrift einer Arbeitsbeloh- 
nung aus dem Ertrage ist nicht ausgeschlossen. 
Die Belohnung beträgt für Zuchthaussträflinge 
nicht mehr als 20 Pfennig, für G- und Haftsträf- 
linge nicht mehr als 30 Pfennig für den Arbeits- 
tag. Nur unter besonderen Verhältnissen werden 
höhere Beträge gutgeschrieben. Welche Rechte 
dem Gefangenen aus der Gutschrift erwachsen, 
wird von der obersten Aufsichtsbehörde bestimmt. 
Der Ertrag der Selbstbeschäftigung (§ 17 Abs 2), 
soweit er nicht auf die Entschädigung (§5 17 Abs 3) 
zu verrechnen ist, verbleibt dem Gefangenen.“ 
Die Erwägungen, die dazu führen, dem Gefange- 
nen einen Anteil am Arbeitsverdienste zu gewäh- 
ren, beruhen zum Teil auf der Erfahrung, daß 
nicht bloß die Furcht vor der Strafe, sondern auch 
die Aussicht auf Lohn Freude an der Arbeit und 
Gewöhnung an sie erzeugen können. “ ande- 
ren Teil soll der Arbeitsverdienstanteil ein Not- 
pfennig für die schlimme Zeit nach dem Austritt 
aus dem G sein, in welcher der Entlassene sehr 
häufig zunächst arbeits= und verdienstlos in der 
Welt steht. Hier wird von den Anstaltsverwal- 
tungen im Einvernehmen mit den Fürsorgeverei- 
nen, Heimatsbehörden, Pfarrämtern usw. gear- 
beitet. Auch während der Haftzeit wird ein be- 
schränktes Verfügungsrecht der Gefangenen über 
einen Teil der Arbeitsbelohnung anerkannt. 
§s# 13. Fürsorge für die entlassenen Gefange- 
nen. Ebenso wichtig wie die Regelung des Straf- 
vollzugs ist die Fürsorge für die entlassenen Ge- 
fangenen. Groß ist die Zahl derer, die nach der 
Entlassung um ihre Existenz schwer kämpfen müs- 
sen und dabei häufig unterliegen, so daß sie nach 
kurzer Frist den Rückweg ins G antreten. Die 
Fürsorge für die Gefangenen ist also eine soziale 
Pflicht. Aber der Staat kann nur die Bahn frei 
machen, auf der sich die genossenschaftliche und 
die Einzelhilfe entwickelt. Zahlreiche Schutz- 
vereine sind in Deutschland wie in anderen Län- 
dern vorhanden, die es sich zur Aufgabe gemacht 
haben, für die Verwaltung der Arbeitsbelohnung, 
die erste Unterkunft sowie namentlich für die Un- 
terbringung der Entlassenen in auskömmlicher 
Erwerbstätigkeit zu sorgen. Noch ist freilich die 
Abneigung des Publikums, entlassene Sträflinge 
aufzunehmen, ein schweres Hindernis für die Tä- 
tigkeit der Schutzvereine. Das Vorurteil ist übri- 
gens bei den Arbeitsgenossen oft stärker als bei 
den Arbeitgebern. Die Schutzvereine betrachten 
es als ihre Aufgabe, gegen dieses Vorurteil nach 
Möglichkeit anzukämpfen. Aber auch der Staat 
wird sein Teil dazu beitragen müssen, indem er 
die Polizeiaufsicht /X) und wenigstens in der 
Hauptsache die Aberkennung der bürgerlichen 
Ehrenrechte gesetzlich anders gestaltet. Die beiden 
Einrichtungen bringen bisher vielfach Schaden, 
indem sie dem aus dem G Kommenden den Weg 
zur Arbeit und damit zu einem gesetzmäßigen 
Leben erschweren. Vielfach übernehmen die Für- 
sorgevereine im Einvernehmen mit der Polizei 
eine Schutzaussicht über die Entlassenen und wen- 
den so die Ausübung der Polizeiaufsicht, die Ein- 
weisung in Arbeitshäuser oder die Ausweisung 
aus bestimmten Orten ab. Vorbildlich ist die Tä- 
tigkeit der badischen Schutzvereinc, des Vereins
	        
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