Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Hessen (B. Behördenorganisation) 
  
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vorlage der ständischen Beschlußfassung zu unter- 
breiten. Derartige Gesetzesvorlagen, die man 
vielleicht als „Etats-Nebengesetze“ bezeichnen 
könnte, werden wie gewöhnliche Gesetzesvorlagen 
behandelt, so daß also die den Einfluß der Ersten 
Kammer abschwächenden Bestimmungen über das 
Zustandekommen des Finanzgesetzes auf sie keine 
Anwendung finden. Von einer solchen besonde- 
ren Gesetzesvorlage ist jedoch abzusehen, wenn es 
sich um Anforderungen handelt, die gestellt werden: 
1. zur Bewirkung der dem Staate auf Grund des 
preußisch-hessischen Eisenbahngemeinschafts-Ver- 
hältnisses obliegenden vertraglichen Leistungen, 
sowie 2. überhaupt zur Erfüllung rechtlich begrün- 
deter Verpflichtungen der Staatskasse zur Durch- 
führung gesetzlich beschlossener Maßregeln und 
zur Deckung von Fehlbeträgen der Verwaltung. 
Als Besonderheit des hessischen Rechts mag er- 
wähnt werden, daß den Ständen neben den auch 
in anderen Staaten üblichen, die Ueberwachung der 
Staatsverwaltung ermöglichenden Kontrollbefug- 
nissen ein ausdrückliches Recht der Beschwerde 
an den Landesherrn zusteht (Verf a 79fff#h. 
Die Kammern haben nämlich — und zwar bei 
mangelnder Uebereinstimmung beider Kammern 
jede Kammer für sich — das Recht, „dem Groß- 
herzog alles dasjenige vorzutragen, was sie für 
eeignet halten, um als eine gemeinschaftliche Be- 
scnerde oder als ein gemeinschaftlicher Wunsch 
an Ihn gebracht zu werden“. Und zwar soll dieses 
Verfahren von den Ständen insbesondere auch 
dazu angewandt werden, „diejenigen Beschwer- 
den an den Großherzog zu bringen, welche sie 
sich gegen das Benehmen der Staatsdiener auf- 
zustellen bewogen finden könnten". 
  
B. VBehördenorganisation 
[7 Behörde, Minister; für Hessen: Kreis, Provinz, 
Gemeindeorganisation oben S. 93—97.] 
4 8. Geschichtliche Entwicklung. 1 9. Das Staatsmini- 
sterium. 1 10. Einzelministerien, insbesondere das Ministerium 
des Innern. 1 11. Provinzialbehörden. 1 12. Kreisbehörden. 
4 13. Die örtlichen Behörden. 
z 8. Geschichtliche Entwicklung. 
1. Die geschichtliche Entwicklung der modernen 
Behördenorganisation beginnt in Hessen erst mit 
dem Anfange des 19. Jahrhunderts. Während 
bis dahin — unbeschadet des Bestehens einzelner, 
dem ganzen Staate gemeinsamer Behörden — 
jede Provinz ihre eigene Behördenorganisation 
besessen hatte, wurde durch die beiden Organi- 
sationsedikte vom 12. Oktober 1803 
eine für das ganze Land gleichförmige zentrali- 
stische Organisation der höheren Staatsbehörden 
geschaffen. Das „Geheime Ratskolleg“ 
oder „Ministerium" bildete hiernach fortan 
unter der unmittelbaren höchsten Direktion des 
Landesherrn „den Zentralpunkt der ganzen 
Staatsverwaltung“. Es teilte sich in die drei De- 
partements des Ministeriums der auswärtigen 
Verhältnisse, des Ministeriums des Innern und 
des Finanzministeriums. — Bezüglich der unteren 
Behörden blieb es damals zunächst noch bei der 
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch 2. Aufl. 
  
hergebrachten Einteilung in Aemter, an deren 
Spitze je ein Amtmann stand, dessen Geschäfts- 
kreis, abgesehen von einzelnen ihm ausdrücklich 
entzogenen Angelegenheiten, die gesamte innere 
Verwaltung, sowie die Gerichtsbarkeit 1. Instanz 
umfaßte. 
2. Unmittelbar nach Einführung der konstitu- 
tionellen Verfassung (1820) erfolgte eine weitere 
Reorganisation der Verwaltung. An Stelle des 
bisherigen einheitlichen Ministeriums traten drei 
völlig selbständige Departements, 
des Innern und der Justiz, der auswärtigen An- 
gelegenheiten und des Großherzoglichen Hauses, 
und der Finanzen, deren Vorstände dem Groß- 
herzog unmittelbar unterstellt wurden. Dem aus 
den Ministern und den Geheimen Staatsräten 
der Einzelministerien bestehenden Plenum kam 
keine rechtliche Einwirkung auf die Minister zu. 
Neben den Ministerien stand ein — aus den Prin- 
zen, den Ministern, Geheimen Staatsräten und 
anderen hohen Staatsbeamten gebildeter — 
„Staatsrat“, dem namentlich die Beratung 
von Gesetzentwürfen und die Entscheidung von 
Kompetenzstreitigkeiten zwischen Justiz= und Verw- 
Behörden, sowie von Rekursen gegen Entschei- 
dungen der VerwBehörden in Administrativ- 
justizsachen zugewiesen war (Edikt v. 28. 5. 1821). 
— Beinahe gleichzeitig wurde bei den unteren 
Behörden die lange vorbereitete Trennung 
der Justiz von der Verwaltung voll- 
zogen: An die Stelle der bisherigen einheitlichen 
Aemter traten getrennte „Landratsbezirke“ und 
„Landgerichtsbezirke“; den ersteren wurden die 
Funktionen der Administrativbehörden, den letz- 
teren Straf= und Ziviljustiz zugewiesen. Die bis- 
herigen Provinzialregierungen blieben bestehen 
(Entschl v. 14.7. 1821; Dienst Instr v. 3. 12. 1821). 
In der neu erworbenen Provinz Rheinhessen 
wurde vorerst die bisherige Kantonalverfassung 
und die besondere Gerichtsverfassung beibehalten. 
3. Zu Anfang der 30er Jahre des 19. Jahrhun- 
derts erfolgte eine wesentliche Vereinfa- 
chung der Organisation der äußeren 
Behörden: Die Zahl der unteren Verw Behörden 
wurde in den beiden alten Provinzen Starkenburg 
und Oberhessen beinahe um die Hälfte (von 23 
auf 12) vermindert; an Stelle der „Landräte“ 
traten sog. „Kreisräte“ die bisherigen Pro- 
vinzialregierungen wurden aufgehoben und in der 
Weise ersetzt, daß den Kreisräten der Provinzial- 
hauptstädte zugleich die Stellung von „Provinzial- 
kommissären“ mit bestimmten, über die Verwal- 
tung eines einzelnen Kreises (Kreisratsbezirks) 
hinausgehenden Funktionen übertragen wurde. 
Diese Reform wurde auch auf Rheinhessen aus- 
gedehnt (Entschl v. 20. 8. 32, Edikt v. 6. 6. 32; 
Kreisrats Instr v. 20. 9. 32; Edikt v. 4. 2. 35).— 
Gleichzeitig mit dieser Reorganisation der Unter- 
behörden erfolgte die Errichtung eines Admini- 
strativiustizhofs und eines Oberappellations= und 
Kassationshofs, sowic eine stärkere Zentralisierung 
des Medizinal-, Kirchen= und Schulwesens. 
4. Die Bewegung des Jahres 1848 führte zu 
einer Reform, welche zunächst zwar nur von vor- 
übergehender Dauer war, für die Zukunft aber 
von vorbildlicher Bedeutung wurde: die Heran- 
ziehung des Volks zur Teilnahme an 
den Geschäften der Staatsverwaltung. 
Unter Aufhebung der bisherigen Provinzialkom= 
II. 26
	        
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