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Jesuitengesetz
Jesuitengesetz
z 1. Vorgeschichte. # 2. Reichsgesetz v. 4. Juli 1872.
#563. Bundesrätliche Bekanntmachungen und einzelstaatliche
Erlasse. 4. Der örtliche Geltungsbereich. # 5. Das Reichs-
gesetz v. 8. März 1904. 1 6. Die Rückwirkung einer Auf-
hebung des Jefuitengesetzes auf die einzelstaatlichen Ber-
botsgesetze.
S 1. Vorgeschichte. In seiner Sitzung v. 23.5.72
hat der R beschlossen, die für und wider ein all-
gemeines Verbot des JIOrdens in Deutschland bei
ihm eingegangenen Petitionen dem RK
mit der Aufforderung zu überweisen:
1. Darauf hinzuwirken, daß innerhalb des Reichs ein
Zustand des öffentlichen Rechts hergestellt werde, welcher
den religlösen Frieden, die Parität der Glaubensbekennt-
nisse und den Schutz der Staatsbürger gegen Berkümmerung
ihrer Rechte durch geistliche Gewalt sicherstellt.
2. Insbesondere einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher
auf Grund des Eingangs und des a 4 Nr. 13 u. 16 der RB
die rechtliche Stellung der religiösen Ordens = Kongre-
gationen und Genossenschaften, die Frage ihrer Zu-
lassung und heren Bedingungen regelt, sowie die staats-
gefährliche Tätigkeit derselben, namentlich der Ge-
sellschaft Jesu, unter Strafe stellt. (RTDebatten am 15.
5. und 16. 5. 1872: StBer 367 ff; Bericht über die Pe-
titionen 368 ff.)
Die Reichs Reg legte noch in derselben Session
den „Entwurf eines Gesetzes, betr. die Beschrän-
kung des Rechts zum Aufenthalt der J. im Deut-
schen Reich“ vor.
Die kurzen Motive sagen: „Der vorliegende GesetzEntw
ist dazu bestimmt, vorläufig demjenigen Teile des RITB-
schlusses, welcher sich auf den Orden der Gesellschaft Jesu
bezieht, durch eine Beschränkung der über die Freizügigkeit
im Deutschen Reiche bestehenden Vorschriften für die Mit-
glieder jenes Ordens eine gesetzgeberische Folge zu geben,
indem es vorbehalten bleiben muß, zur Regelung der sonsti-
gen in dem Beschl des Reichstags angeregten Fragen weitere
Gesetzgebungsakte nach Maßgabe der Reichsverfassung fol-
gen zu lassen". "
Die erregten Beratungen am 14. 6., 17. 6. und
19. 6. (StBer S999 ff, 1059 ff und 1123 ff) führ-
ten zu einer Amendierung des RegEntw. Die
Publikation als R, betr. den Orden der Gesell-
schaft Jesu, erfolgte am 4. 7. 72 (R#l 2353).
§#2. DTas Reichsgesetz bietet nicht das, was die
Resolution gewollt hatte. Nach der Resolution
sollten die staatsgefährlichen Bestrebungen der
Orden strafrechtlich geahndet werden. Das Gesetz
aber trifft nur die J. und verwandten Genossen-
schaften; es unterstellt deren Staatsgefährlich-
keit schlechthin, und reagiert nicht mit Strafen,
sondern mit polizeilichen Maßregeln.
Bcei diesem Ausgang streitet man darüber, ob
das Reich zur Erlassung des JG. zuständig
war, bezw. auf welcher Ziffer des a 4 der Vu
die Kompetenz, besonders für den # 1, beruht.
Man hat für die Zuständigkeit des Reichs teils
Ziff. 1 — die aber nur für §5 2 des J. die Zu-
ständigkeit begründet —, teils Ziff. 13 — obschon
das endgültige Gesetz gar nichts Strafrechtliches
enthält —, teils Ziff. 16 angerufen, während
andere alle diese Kompetenztitel bekämpfen und
unter Zuhilfenahme des a 78 stillschweigende, ad
noc vorgenommene Kompetenzerweiterung an-
nehmen. Ucber die einzelnen Meinungen vogl.
—
Giese 17 ffL1I77 ff) und Falck 20 ff, welche beide mit
Haenel, Seydel u. A. die Theorie stillschweigender
Zuständigkeitserweiterung vertreten, die wohl
auch richtig ist. Allerdings hat der RuT Beschl
von 1872 auch an Ziff, 16 angeknüpft und neue-
stens hat sich Friedberg (D. 3 f. K R. 1909, 19
416 ff) insbesondere auch noch auf den a 24
des Reichsvereins G berufen. Aber der a 24 muß
nicht gerade eine schöpferische Ausnahmebestim-
mung sein, sondern erklärt sich mit Cuno (S 17)
genügend als zweifelsfreie Klarstellung“.
Bei anderer Auffassung würde man zu dem
Schluß gedrängt, daß auch die Religionsgesell-
schaften selbst, in welchen die Orden ja nur Teil-
organismen sind, Vereine im Sinn der Vl seien
und das Reich in Ziff. 16 seine Kompetenz auf
das gesamte Staatskirchenrecht ausgedehnt habe.
a) Das RW trifft den „Orden der Ge-
sellschaft Jesu und die ihm ver-
wandten Orden und ordensähnli-
chen Kongregationen" (5 1). — Die an
sich recht bedenkliche Einführung des Verwandt-
schaftsbegriffs bei „Orden ([A# und Kongregationen“
will der Umgehung des Gesetzes einen Riegel vor-
schieben. Deshalb wurde das Urteil über eine
bestehende Verwandtschaft auch dem BR zu-
gewiesen (s 3). Die Absicht des Gesetzgebers
war nicht, hier bundesrätliche Willkür gutzuheißen.
„Es wird auf die Sache ankommen, auf die Ver-
fassung, auf die Statuten und auf den Zweck der
betreffenden Gesellschaften“ (BRBevollmächtig-
ter Fäustle St Ber 1068, vgl. auch den Bevollmäch-
tigten Friedberg St Ber 1007).
Insbesondere soll maßgebend sein, in welchem Umfange
ein Orden den Kampf gegen den paritätischen Staat und
Andersgläubige aufnimmt und den konfessionellen Frieden
stört; bestimmend soll sein die „Staatsge fährlichkeit“. Bei
dieser Unbestimmtheit besteht aber für den Bundesrat
tatsächlich Blankettbefugnis. Mit dieser gesetzgeberischen
Unzulänglichkeit glaubte man sich deshalb abfinden zu
können, weil sich der Staat, zumal seit der Zeit des Syl-
labus und des vatikanischen Konzils, in „Notwehr“, einem
„Notstand“ und „partiellen Belagerungszustand“ befinde.
b) Die genannten Orden „sind vom Ge-
biete des Deutschen Reichs ausge-
schlossen" (7 1), d. h., ihre Niederlassungen
in Deutschland waren aufzulösen, und die Er-
richtung von neuen Niederlassungen wurde
verboten.
c) Der #D 2 lautet: „Die Angehörigen des Or-
dens der Gesellschaft Jesu oder der ihnen ver-
wandten Orden oder ordensähnlichen Kongrega-
tionen können, wenn sie Ausländer sind, aus dem
Bundesgebiet ausgewiesen werden; wenn sie In-
länder sind, kann ihnen der Aufenthalt in be-
stimmten Bezirken oder Orten versagt oder ange-
wiesen werden" (aufgehoben unten § 5). Die ein-
zelnen Mitglieder wurden also nicht ohne
weiteres (wie der RegEntw wollte) aus Deutsch-
land ausgewiesen. Die ratio ihrer sog. „permanen-
ten Zwangszügigkeit" (St Ber 1088) war die: der J.
soll die Kraft seiner Wirksamkeit dadurch verlie-
ren, daß er seinem natürlichen Kreis entrissen und
dort untergebracht wird, wo er für seine An-
schauungen keinen Boden findet. Die Grenzen
der Bundesstaaten kamen nicht in Betracht, und
ein Wechsel des verschlossenen oder angewiesenen
Gebiets war zulässig. Der § 2 war in Anlehnung
an § 39 Nr. 1—2 StEGn entstanden und nur er-